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Zur Rolle von Medien unter Corona
Information statt Impflotterie

In Österreich veranstaltet der ORF eine „Impflotterie“, in Deutschland lässt ProSieben live impfen. Solche Aktionen wirkten wie eine Form von Propaganda, findet Brigitte Baetz. Es sei Aufgabe der Politik, die Impfquote zu erhöhen. Medien hingegen machten sich damit unnötig angreifbar. Ein Kommentar.

Von Brigitte Baetz |
Das Logo des Österreichischen Rundfunks (ORF) an einem Funkhaus in Wien
Das Logo des Österreichischen Rundfunks (ORF) an einem Funkhaus in Wien (picture alliance / Daniel Kalker)
Es ist im Grunde nichts Ungewöhnliches, wenn sich Medien und Medienmacher in den Dienst einer guten Sache stellen. Wir kennen die Spendengalas zugunsten der Opfer von Krieg und Naturkatastrophen. Die heutige „Aktion Mensch“ war lange Jahre Nutznießer der ZDF-Spielshow „Der große Preis“. So weit, so unspektakulär.
Doch die derzeitige Aktion des ORF unter dem Motto „Wer impft, gewinnt“ hat einen seltsamen Beigeschmack. Es handelt sich um eine „Impflotterie“, an der alle in Österreich lebenden Erwachsenen teilnehmen können – soweit sie sich zwischen dem 1. Oktober und dem 20. Dezember haben impfen lassen. Zu gewinnen sind u.a. Kücheneinrichtungen, Smart-Fernsehgeräte und ein komplettes Einfamilienheim. Eine Idee übrigens, die kommerzielle Medien als Erste hatten: Die Tageszeitung Österreich und ihr Online-Portal oe24 starteten schon im September mit einer ebensolchen Aktion.

Eindruck der mangelnden Aktivierung durch Medien

Fertighaus statt Krankenhaus – das klingt ja erstmal gut. Aber ist die Verbindung „Tödliche Pandemie“ und „Viele schöne Preise“ für den Rundfunk, den öffentlichen zumal, eine besonders gelungene? Das ist nicht nur eine Geschmacksfrage, in Zeiten, in denen man sich Geschmacksfragen vielleicht gar nicht leisten kann. Die Situation in Österreich ist dramatisch – auf den überfüllten Intensivstationen des Landes geht es um Leben und Tod. Jeder, der geimpft wird, hilft, die Lage zu verbessern. Doch es wird der Eindruck erweckt, die fatal niedrige Impfquote im Land sei in erster Linie das Ergebnis einer mangelnden Aktivierung der Menschen durch die Medien.

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Kernkompetenz Aufklärung und Information

Wenn Medien die Aufgabe der Politik übernehmen, wenn, wie heute bei „Zervakis & Opdenhövel“ auf ProSieben extra Impfbusse aufs Sendegelände geladen werden, dann wirkt es wie eine Form von Propaganda. Sie macht Medien vollkommen unnötig angreifbar und verstärkt das Märchen von den Systemmedien.
Gerade die eigene Pressemeldung des ORF zeigt, wie wichtig gerade jetzt immer noch Aufklärung und Information sind, die Kernkompetenz der Medien: Die Sonderausgabe des beliebten Talkformats Stöckl live, in der die ORF-Impflotterie lanciert wurde, hatte fast 30 Prozent Marktanteil. Und da ging es nicht nur um die Impflotterie, sondern gerade viel um Information. Für die Sendung wurde eine eigene Hotline eingerichtet, in der sich die Menschen mit ihren Sorgen und Fragen rund um die Impfung an Expertinnen und Experten wenden konnten – und das mehrsprachig. Ein Dienst an der Öffentlichkeit, mit dem Medien auf den Ernst der Lage eingehen können, ohne selbst Partei zu sein.
Eine Impflotterie, so gut sie gemeint ist, ist dabei vollkommen überflüssig.