Ja, man muss sich Sorgen machen. Sorgen um die Demokratie und ihre Werte, ihre Essenz: Seine Meinung offen sagen zu können, wählen zu dürfen, demonstrieren zu können; weder vor Politikern noch vor Andersdenkenden Angst haben zu müssen; in dem Wissen zu leben, dass die Rechte von Frauen und Minderheiten immer seltener verletzt werden. Das alles haben wir viel zu lange für viel zu selbstverständlich gehalten. So wie die Annahme, dass die Demokratie sich überall und weltweit durchsetzen und Diktaturen verdrängen würde.
Auch in Europa regieren Rechtspopulisten
Leider ist das Gegenteil der Fall. Nicht nur in fernen Ländern auf fernen Kontinenten „trumpt“ es, werden Populisten, Autokraten oder sogar Diktatoren beliebter, und übernehmen die Macht. Auch in Europa, und damit in unseren unmittelbaren Nachbarländern passiert das.
In Italien regieren die Rechtspopulisten, in Ungarn, in Polen und Finnland auch. Es wäre beinah in Spanien passiert. Und es kann schon bei der nächsten Wahl in Frankreich passieren. Denn bisher gibt es dort keinen ernstzunehmenden Konkurrenten, der der Rechtspopulistin Marine Le Pen in der nächsten Präsidentschaftswahl ernsthaft den Sieg und dann den Einzug in den Élysée-Palast verwehren könnte. Und dann ist Deutschland in Europa bald ziemlich allein zuhause.
Rechtspopulisten an der Macht? Das klingt – noch – abstrakt. Hält der Trend nach rechts im Rest von Europa jedoch weiter an, sieht es auch für die nächsten Europawahlen mehr als düster aus. Und was passiert, wenn dann im EU-Parlament die Rechten eine Verhinderungsmacht bekommen oder sogar die Mehrheit? Was, wenn dort die Konservativen die Brandmauer schleifen? Was, wenn dann auch noch die EU-Kommission von mehrheitlich rechtspopulistischen Kommissaren und Kommissarinnen bestückt wird, die dann die EU von innen heraus zersetzen – und all die Errungenschaften der letzten Jahre wieder zurückdrehen?
Frauenrechte würden weniger zählen
Es würde in der EU beispielsweise bedeuten: Frauenrechte zählten weniger, Minderheiten würden weniger geschützt und Flüchtende hätten überhaupt keine Chance mehr, die ohnehin schon hohen Mauern zu überwinden. Es hieße, der Klimaschutz würde geschliffen. Ginge es nach der AfD, stünde auch noch der Ausstieg aus dieser EU auf der Tagesordnung, mit entsprechenden ökonomischen Folgen. Es gäbe eine andere Chinapolitik, mehr Sympathie für Russland und weniger Unterstützung für die Ukraine.
Doch damit noch nicht genug: Es könnte auch bedeuten, dass die Angst wieder auf die Straße zurückkehrt. Für Frauen, für Menschen, die vermeintlich fremd aussehen – was immer das bedeutet. Für Homosexuelle. Für Linke, Grüne, Sozialdemokraten und Konservative. Übertreibung? Angstmacherei? Alarmismus? Von wegen. Auch in Deutschland bröckelt die Brandmauer der Demokraten gegen die Extremisten. Auch hier schrumpfen Rechtspopulisten oder sogar Rechtsradikale in manchen Gegenden bereits die Konservativen klein – man muss nur nach Thüringen schauen. Oder nach Brandenburg, wo zwei Lehrer gerade ihren Job hingeworfen haben, weil ihr Foto an Laternen klebte und unter dem stand: „Verpisst Euch nach Berlin“.
Rechtspopulisten wollen die Macht nicht wieder abgeben
Das macht Angst. Aber Angst ist das, worauf die Rechte setzt. Und genau deswegen ist es jetzt Zeit, endlich intensiver über Strategien nachzudenken, die den Populisten - mit demokratischen Mitteln - den Weg versperren. Zu viele Demokratinnen und Demokraten verlassen sich nämlich immer noch auf die Hoffnung, dass die guten Umfragewerte der AfD nur vorübergehend und ein Zwischenhoch sind - und bei der nächsten Bundestagswahl doch wieder irgendeine gemäßigte Partei wählen. Kann sein, nur vorher finden eben die Wahlen zum Europäischen Parlament statt. Und wenn die schiefgingen, hätte das wiederum fatale Rückwirkungen auf uns.
Nein, das alles ist keine Schwarzmalerei. Weltweit arbeiten Rechtspopulisten längst daran, die einmal gewonnene Macht nicht wieder abzugeben. Darin sind sie besser als die Demokraten.
Damit es so weit in Europa nicht kommt, sollten wir alle, die wir bisher die Demokratie als etwas Nettes und Selbstverständliches hingenommen haben, aufwachen. Denn selbstverständlich ist Demokratie leider nicht mehr.