Wir haben das Geld – die Taliban haben die Zeit. Viele Jahre lautete so der resigniert anerkennende Tenor westlicher Militärs, Politiker und Entwicklungshelfer am Hindukusch. Jetzt haben die Taliban nicht nur die Zeit, sondern auch die Macht und Teile unserer einstigen Waffen.
Und die westliche Politik? Sie versucht es unverändert mit Maximalforderungen. Zwei Jahre nach dem schmachvollen Abzug aus Afghanistan aber funktioniert die Devise „weitere Hilfsgelder nur gegen Wiederherstellung von Frauen- und Menschenrechten“ nicht.
Die diplomatische Anerkennung der Taliban bleibt überwiegend ein Tabu. Dabei haben die UN, die Vereinten Nationen, über die unverändert Gehälter vieler afghanischer Beamte gezahlt werden, kürzlich einen Wettstreit ausgetragen, ob und wann eine Anerkennung Sinn macht.
Mit den Taliban zu reden, ist alternativlos
Ein Pfund in der Hand der USA und des Westens sind dabei unverändert große Teile der afghanischen Geldreserven. Diese weiter zurückzuhalten, mag die Taliban schwächen, es mehrt zugleich die humanitäre Not von rund 35 Millionen Menschen im Land.
Wie also umgehen mit den neuen, alten Machthabern? Mit den Taliban zu reden, sei alternativlos, sagen führende afghanische Menschenrechtler im Exil und halten diesen zugleich ein Arsenal an Vorwürfen vor. Die Kunst besteht darin, den neuen Machthabern nicht gleich das Gesicht zu nehmen. Dann nämlich reagieren sie fast automatisch umso verschlossener. Eine kulturelle Weisheit in Asien.
Beim Zugang für Bildung von Frauen gibt es auf den ersten Blick keine Kompromisse. Selbst eine Vielzahl islamischer Regierungen betont, dass der Koran für Frauen ausdrücklich das gleiche Recht auf Wissen und Bildung vorsieht. Tatsächlich liegt ein Problem darin, dass bei den Taliban zum Teil hergebrachtes Stammesrecht mit einem religiösen Etikett versehen ist.
Kontakte zu gemäßigten Taliban ausbauen
Hilfreich wäre deshalb, die Kontakte zu sogenannten Gemäßigten unter den Taliban auszubauen, die höher führende Schulen und Studium für Frauen durchaus wollen. Dass dieser Kulturkampf sich schnell legt, scheint dabei eher unwahrscheinlich.
Gerade weil die Menschen in Afghanistan im Westen eine Hoffnung sehen, gilt es, das Andauern der humanitären Katastrophe in Afghanistan zu verhindern. Es gilt, Flucht und Migration nicht anwachsen zu lassen. Deshalb müssen wir in Menschen und Unternehmungen vor Ort investieren. Denn wenn Politik und Gesellschaft Afghanistan aufgeben, geben auch wir uns selbst auf.
Vor allem Aufarbeitung ist gefragt: Der chaotische Abzug im August vor zwei Jahren war die größtmögliche Niederlage der NATO. Eine Schmach für das hochgerüstete und technisch führende Bündnis in der Welt. Weil das so war, fühlte sich Wladimir Putin ermutigt, die Ukraine umso eher anzugreifen, rechnete er doch nicht mit der Gegenwehr eines Bündnisses, das offen seine eigenen Wunden leckte.
Deutsche Mitverantwortung am desaströsen Abzug
Die demokratische Fassade, die der Westen 20 Jahre lang am Hindukusch errichtet hatte, war auf Pump und Korruption gebaut und an einer Mehrheit der Menschen vorbei – mit idealisierten Zahlen afghanischer Streitkräfte, die durchaus kämpften, als dies noch einen Sinn machte. Deshalb tragen deutsche und westliche Politik eine Mitverantwortung am Desaster des Abzugs.
Mehrere Enquetekommissionen arbeiten nun auf, welche Lektionen es zu lernen gilt aus all dem. Die deutsche Politik möchte sich rüsten für weitere Einsätze in der Welt, heißt es dabei. Gerade aber weil die Interventionen in Mali und im Sahel so grandios gescheitert sind, ist Einhalt geboten.