Es ist ein Tag, an dem das aufgeschienen ist, was das Amt des Bundespräsidenten ausmacht, die Mittel des Rechts und die des Wortes. Beides hat Grenzen. Und auch das hat sich heute gezeigt.
Die Entscheidung, den Bundestag aufzulösen, wie es etwas missverständlich heißt – tatsächlich arbeitet das Parlament bis zur Wahl mit allen Rechten und Pflichten weiter – ist mindestens theoretisch eben das: Eine echte Entscheidung. Und zwar eine der ganz wenigen, die der Bundespräsident nach dem Grundgesetz überhaupt noch treffen kann.
Das ist die Folge einer Abwägung zwischen zwei Übeln, die die Väter und Mütter des Grundgesetzes getroffen haben. Nach den Erfahrungen der Weimarer Republik wollten sie einerseits keinen Präsidenten mit allzu großer Machtfülle. Andererseits aber wollten sie Stabilität, dauerhafte Regierungen. Deshalb gibt es kein Recht des Parlaments, sich selbst aufzulösen.
Mit Olaf Scholz stellten vier Kanzler die Vertrauensfrage
Zum vierten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik hat mit Olaf Scholz deshalb ein Kanzler einen Umweg mit demselben Ergebnis gewählt, nämlich stattdessen die Vertrauensfrage zu stellen, um sie dann zu verlieren. Das kann heikel sein.
Denn theoretisch könnte ein Bundeskanzler, gemeinsam mit seiner parlamentarischen Mehrheit, auf diese Weise Neuwahlen erzwingen, zu einem Termin, der ihnen taktisch günstig erscheint. Das will an sich die Verfassung nicht. Und deshalb entscheidet über die Auflösung des Bundestages der Bundespräsident, der solchen Missbrauch verhindern soll. Soweit die Theorie.
Praktisch und wohl auch rechtlich blieb dagegen Frank-Walter Steinmeier eben doch keine Wahl. Nicht im konkreten Fall: Olaf Scholz hat nach dem Bruch der Ampel keine Mehrheit mehr, da gibt es nichts zu deuteln. Und auch in anderen Fällen blieb in der Vergangenheit wenig von der Macht der präsidialen Entscheidung übrig.
Macht des Bundespräsidenten liegt im Mahnen
Denn nach den Maßstäben des Bundesverfassungsgerichts ist es zuallererst der Kanzler, der entscheidet, ob er sich noch Stabilität erwartet. Weder das Gericht noch der Bundespräsident kann hier wohl mehr als eklatanten Missbrauch verhindern – ein Grund, warum etwa die damalige Verfassungsrichterin Gertrude Lübbe-Wolff nach der letzten solchen Bundestagsauflösung sinngemäß befand, man solle eine solche Kontrolle, die keine sei, doch besser bleiben lassen.
In diesem Fall, bei so klarer Sachlage, macht das keinen Unterschied. Und so bleibt das weitere, das eigentliche Mittel des Bundespräsidenten: Die Macht des Wortes, das Mahnen und Warnen. Gemahnt hat der Bundespräsident zu Fairness im Wahlkampf, zu Respekt, Anstand und Transparenz. Und gewarnt hat er vor Einflussnahme von außen. Sei es verdeckt durch Russland, sei es offen durch Elon Musk über seine Plattform „X“.
Beides hat Frank-Walter Steinmeier wenig klausuliert benannt. Und das ist als solches schon wichtig, denn gegen schleichende Einflussnahme hilft Aufklärung – auch durch den Bundespräsidenten.