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Kommentar zu CDU und Maaßen
Problem und Symptom zugleich

Selbst wenn Hans-Georg Maaßen die CDU verlassen sollte, wäre das Problem für die Partei nicht gelöst, kommentiert Henry Bernhard. Denn nicht wenige in der Partei könnten oder wollten konservativ nicht von reaktionär unterscheiden.

Ein Kommentar von Henry Bernhard |
Hans-Georg Maassen am 29. August 2019 bei einer Pressekonferenz in Berlin
Steht laut Henry Bernhard für eine CDU der 80er oder vielleicht sogar der 60er Jahre: Hans-Georg Maassen (Getty Images / Sean Gallup)
"Weil ich einfach gut bin." Das war vor drei Jahren Hans-Georgs Maaßens Antwort auf die Frage, die er sich zuvor selbst gestellt hatte. Die Frage, warum man ihn wählen sollte. Es war eine Veranstaltung der Werteunion in Thüringen, durchsetzt mit AfD-Anhängern, auf der diskutiert wurde, ob es egal sei, wer einen wähle, ob es nun – so damals wörtlich – "Rechts- oder Linksextreme" seien, "Pädophile" oder "Mörder". Hauptsache, man würde gewählt.

Provinzialität in markige Worte gekleidet

Hauptsache, die Linken und Grünen würden von der Macht ferngehalten. Maaßen und seine Anhänger träumten von einer Mehrheit jenseits von Rot-Rot-Grün – namentlich einer Mehrheit von AfD, CDU und FDP. Und so kam es ja damals auch, als die Thüringer CDU nur einen Monat später gemeinsam mit AfD und FDP Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten wählte und – teilweise bis heute – nicht einsehen wollten, was genau dabei ein Problem sei.
Die Christdemokraten im Thüringer Wald wussten also sehr genau, wen sie vor zwei Jahren mit 88 Prozenten der Stimmen zu ihrem Direktkandidaten für die Bundestagswahl nominierten. Sie wählten ihn nicht trotz, sondern wegen solcher Aussagen. Sie wählten ihn wegen seiner Offenheit nach Rechts, wegen seiner Ressentiments gegen ein liberales, weltoffenes großstädtisches Milieu, wegen seiner ablehnenden Haltung zur Migration. Sie wählten einen, der Provinzialität in markige Worte kleiden konnte, der für eine CDU der 80er- oder vielleicht sogar der 60er-Jahre steht.

Maaßen repräsentiert einen Teil der CDU-Mitglieder

Damit repräsentiert Maaßen sicher nicht das Selbstverständnis des CDU-Bundespräsidiums in Berlin, das ihm gerade ultimativ zum Austritt aus der Partei aufgefordert hat, der der CDU ein langwieriges Ausschlussverfahren mit unsicherem Ausgang ersparen würde. Maaßen repräsentiert aber sicher einen Teil der CDU-Mitglieder. Gerade im Osten, gerade auf dem Land, wo so mancher Christdemokrat "konservativ" nicht von "reaktionär" unterscheiden mag oder kann.
In Maaßens Kreisverband Schmalkalden-Meiningen kann man bis heute kein Problem in dessen Äußerungen erkennen, höchstens die Nähe zum Holocaust-Gedenktag sei vielleicht etwas unglücklich gewesen.
"Ist es egal, wer für uns stimmt?" "Ist es egal, für wen wir stimmen?" Diese Fragen müssen sich gerade ostdeutsche Landesverbände der CDU in Sachsen und Thüringen stellen, die nächstes Jahr wieder in den Wahlkampf gehen und mit einer vor Kraft strotzenden AfD zu tun haben. Dann werden sie möglicherweise vor der Entscheidung stehen, entweder mit der AfD oder mit der Linken kooperieren zu müssen, egal, wie das Modell dann heißt: Koalition, Tolerierung, Expertenregierung.

Schwierige, aber notwendige Standortbestimmung

Spätestens dann muss die CDU ihren Nichtvereinbarkeitsbeschluss noch einmal überdenken, die Frage, ob sich denn AfD und Linke gleichweit von der demokratischen Mitte entfernt befinden oder ob es – aus Sicht der CDU – ein kleineres Übel gibt.
Die Bundesspitze, auch Friedrich Merz müssen eine Antwort darauf finden, wofür ihre CDU stehen soll. Und wie breit eine Volkspartei aufgestellt sein kann oder soll. Da ist Hans-Georgs Maaßen sicher ein Problem für die Partei, aber auch ein Symptom.
Porträt: Henry Bernhard
Henry Bernhard wurde 1969 geboren und wuchs in Weimar auf. Er studierte Politik, Publizistik, VWL und Völkerrecht in Göttingen. Seit 1990 arbeitete er fürs Radio, davon 20 Jahre ausschließlich an langen Radiofeatures. Sein Schwerpunkt lag dabei auf historischen Themen – Geschichten aus dem geteilten Deutschland und aus dem "Dritten Reich", von gescheiterten Kommunisten und zurückgekehrten Juden, von Überlebenden und Verlierern der Geschichte. Nach einem Ausflug zum Fernsehen ist er seit 2013 Landeskorrespondent von Deutschlandradio in Thüringen.