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Kommissionspläne
Reizwort EU-Flüchtlingsquote

Die EU-Kommission plant eine verbindliche und gerechtere Regelung für Flüchtlinge. Einige EU-Länder nehmen kaum Flüchtlinge auf. Andere überproportional viele. Es geht um eine Neuverteilung von zurzeit 40.000 Menschen, die in Griechenland und Italien aufgenommen wurden – und die Idee der europäischen Solidarität.

Von Annette Riedel |
    Eine Flüchtlingsfamilie am 17. April 2015 am Hafen von Piraeus nahe der griechischen Hauptstadt Athen
    Eine Flüchtlingsfamilie am 17. April 2015 am Hafen von Piraeus nahe der griechischen Hauptstadt Athen (afp / Aris Messinis)
    Im Gespräch über die Pläne zur gerechteren Verteilung von Flüchtlingen auf alle EU-Länder möchte die Sprecherin der EU-Kommission, Natasha Bertaud, das Wort "Quote" überhaupt nicht in den Mund nehmen.
    "It's not a quota-system."
    Und auch EU-Vize-Kommissionspräsident Timmermanns sprach bei der Vorstellung der EU-Kommissionspläne lieber von einem "Verteilungsschlüssel".
    "Wir haben einen Verteilungsschlüssel vorgeschlagen – in der EU allgemein Quote genannt."
    Quote – bekannte Synonyme: Anzahl, Kontingent, Anteil. Und genau darum geht es: Alle EU-Länder sollen anteilig Flüchtlinge aufnehmen.
    Warum nicht gern von "Quoten" gesprochen wird, schon gar keinen verpflichtenden, hat etwas damit zu tun, dass es in einigen EU-Ländern ein Reizwort ist – vor allem in diversen osteuropäischen Ländern. Es sind meist die Länder, die mit einem Quoten-System, egal, wie man es nun nennt, mehr Asylsuchende aufnehmen müssten. Der Protest aus einigen Hauptstädten kam prompt und laut. Kommissions-Vize Timmermanns hat dafür kein Verständnis.
    "Es ist einfach nicht akzeptabel, dass die Menschen in der EU verlangen, dass wir etwas gegen das Sterben im Mittelmeer tun und schweigen, wenn es um die Frage geht, was dann mit den Menschen passiert, nach ihrer Rettung."
    Für die grüne Europaabgeordnete Ska Keller sind die Kommissionspläne ein wichtiger, wenn auch zu kleiner Schritt in die richtige Richtung. Der Ansatz stimme, dass bestimmte Kriterien gelten sollen, nach denen Asylbewerber auf die EU-Länder verteilt würden. Vorerst nur im Notfall der ungewöhnlichen Belastung für die eigentlich zuständige Länder Griechenland und Italien. Kriterien wären: Einwohnerzahl, Wirtschaftskraft und die Arbeitslosenquote, sowie die Zahl schon vorhandener Asylbewerber im betreffenden Land. Da geht es durchaus um größere Solidarität. Unter den EU-Ländern jedenfalls. Aber nicht gegenüber den Asylsuchenden.
    "Zum Beispiel, dass nur Syrer und Eritreer verteilt werden, weil nur Flüchtlinge von einem Land mit hoher Asylanerkennungsaussicht überhaupt verteilt werden. Das führt zu der absurden Situation, dass nur Syrer und Eritreer verteilt werden, obwohl der Asylantrag ja erst in dem Ankunftsland stattfinden soll, obwohl das Asylrecht ein persönliches ist. Man kann doch nicht davon ausgehen, dass aus zwei Ländern nur Flüchtlinge kommen können."
    Anfang der Woche haben sich die EU-Innenminister erstmals mit den Plänen der EU-Kommission befasst. Sie konnten sich nicht auf eine Quote einigen, obwohl keine Einstimmigkeit notwendig gewesen wäre.
    Plan B? Was für ein Plan B?
    Was also, wenn sich keine Mehrheit für eine verbindliche Quote nach dem angedachten Muster zur Entlastung Italiens und Griechenland findet? Hat die EU-Kommission einen Plan B?
    "The commission never has 'Plan Bs'."
    Hat sie also nicht. Jedenfalls nicht öffentlich. Auch im EU-Parlament sieht man keinen Plan B. Mehrheitsmeinung: An einer verbindlichen Quote geht nicht wirklich etwas vorbei. Aber was tun, wenn der Widerstand so groß bleibt, dass die nötige qualifizierte Mehrheit der EU-Länder nicht oder zu langsam zustande kommt? Dann sollten die Willigen mit gutem Beispiel voran gehen, findet der liberale Europa-Abgeordnete, Alexander Graf Lambsdorff.
    "Ich glaube, dass es richtig wäre, dass die Staaten, die dazu bereit sind, das Ganze gemeinsam und solidarisch zu lösen, dass die sich zusammentun. Was ich nicht akzeptieren kann, ist, wenn einzelne Mitgliedsstaaten sich hinter den Verweigerern verstecken. Wenn erst einmal einige Mitgliedsstaaten vorangehen und eine Art Avantgarde bilden, dann hat man ein System, an das die anderen sich anschließen können."
    Lambsdorffs Kollegin von den Grünen hält nicht viel von der Idee der "freiwilligen Avantgarde".
    "Es gibt immer wieder Leute, die sich überlegen, welche Alternativen es sein können. Das Problem ist nur: Freiwillig ist bis jetzt alles möglich. Es wäre großartig, wenn dann ein paar Länder vorausgingen und sagen: Wir machen es trotzdem. Aber das ist keine Alternative für mehr Solidarität, sondern es wäre die sehr lobenswerte Initiative einzelner Mitgliedsstaaten, die man dann sehr unterstützen muss. Aber es ist keine Alternative auf die Dauer."
    Auch aus Sicht der EU-Kommission, sagt deren Sprecherin Natasha Bertaud, hätte diese Idee nicht das Zeug zu einem veritablen Plan B:
    "Wir haben in der Vergangenheit gesehen, dass Freiwilligkeit nicht funktioniert. Letztes Jahr hatte die UNO-Flüchtlingsorganisation die EU insgesamt gebeten, 130.000 syrische Bürgerkriegsflüchtlinge aufzunehmen. Gerade mal 36.000 wurden aufgenommen. 30.000 davon in Deutschland. Wir glauben, alle EU-Länder sollten mitmachen."