Neben der EU-Wahl fanden am 9. Juni auch Kommunalwahlen in acht Bundesländern statt: in Baden-Württemberg, Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Zudem wurde in Thüringen in Stichwahlen über zahlreiche Landräte und Oberbürgermeister entschieden.
Dabei zeigt sich: Im Osten Deutschlands dominiert die AfD. Doch auch in Baden-Württemberg ist sie nach vorläufigen Zahlen stark.
„Wir haben ein Problem mit Rechtsextremismus in West- und in Ostdeutschland“, sagt die Politologin Heike Radvan. Doch es gebe Unterschiede bei Einstellungen und Wahlverhalten, bei der Dominanz rechter Gewalt, aber auch der Mobilisierungsfähigkeit rechter Parteien und Gruppierungen über Wahlen hinaus.
Unterschiede zeigen sich unter anderem bei zwei Bundesländern, die vom Strukturwandel betroffen sind: dem Saarland und Brandenburg.
Wie sind die Wahlergebnisse in den Bundesländern?
Insgesamt waren bei den Kommunalwahlen rund 22,5 Millionen Bürgerinnen und Bürger aufgerufen abzustimmen. Als ein besonderer Stimmungstest galten die Ergebnisse in Brandenburg, Thüringen und Sachsen. Dort stehen im September Landtagswahlen an.
In Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern wurde die AfD stärkste Kraft. Das höchste Ergebnis erzielte sie dabei mit 28,1 Prozent in Sachsen-Anhalt. Nach dem vorläufigen Ergebnis in Mecklenburg-Vorpommern verdoppelte die Partei nahezu ihren Stimmenanteil auf 25,6 Prozent. Abgeschlagen sind jeweils die Ampelparteien SPD, Grüne und FDP.
Bei den Stichwahlen in Thüringen ging der Landesverband von Björn Höcke leer aus: Keinen der neun Landkreise, in denen AfD-Kandidaten den zweiten Wahlgang erreicht hatten, gewannen sie. Zumeist setzten sich CDU-Kandidaten durch. Im Mai war die AfD in dem Bundesland mit knapp 26 Prozent als zweitstärkste Kraft vor der CDU mit gut 27 Prozent hervorgegangen.
Noch liegen nicht für alle Bundesländer endgültige Ergebnisse vor, so in Rheinland-Pfalz. Oder auch in Baden-Württemberg. Allerdings zeichnet sich dort auf kommunaler Ebene ein Trend ab, der sich auch schon bei der Europawahl zeigte: ein Absturz der Grünen auf den dritten Platz hinter CDU und AfD. Deren Kandidaten kommen nun teils auf den zweiten oder dritten Platz in Gemeinderäten.
Gegen den Trend zeigt sich bisher Hamburg: Dort gewann die SPD vor Grünen und CDU, die AfD kommt auf den fünften Platz.
Wie sehen die Zahlen im Vergleich Saarland und Brandenburg aus?
Brandenburg und das Saarland sind zwei Bundesländer, die sich besonders einem Strukturwandel stellen müssen. Beim Saarland geht es nach dem Aus für die Kohle um eine grüne Transformation der Stahl- und Automobilindustrie.
In diesem Bundesland kommt die CDU auf 34,4 Prozent und landet damit klar vor den im Land regierenden Sozialdemokraten (29,9 Prozent). Auf dem dritten Platz liegt die AfD mit 10,4 Prozent, gefolgt von den Grünen mit 7,3 Prozent.
Brandenburg, das jahrzehntelang von der Braunkohleförderung geprägt war, muss sich mit dem Umbau zu erneuerbaren Energien auseinandersetzen. Ein vorzeitiger Ausstieg aus der Kohle bis 2030 ist im Gespräch.
Hier gewinnt die AfD mit 25,7 Prozent erstmals die Kommunalwahlen, fast zehn Prozent mehr als vor fünf Jahren. Dahinter folgen mit deutlichem Abstand die CDU (19,3 Prozent) und die SPD (16,6 Prozent).
Wie werden die Ergebnisse eingeordnet?
Dass im Saarland CDU und SPD ihre Ergebnisse nahezu halten konnten, liegt nach Ansicht des Politikwissenschaftlers Georg Wenzelburger an viel „Sozialkapital“. Man engagiere sich zum Beispiel in Vereinen und habe ein „starkes Gefühl“ dafür, miteinander solidarisch die Dinge zu bewegen. Sozialkapital bedeute auch, dass man in Parteien verankert sei und nicht so schnell wechsele. Ein bundespolitischer Denkzettel war es hier jedenfalls nicht.
Ministerpräsidentin Rehlinger positiv wahrgenommen
Es gibt zwar Herausforderungen in der Industriepolitik und beim ökologischen Umbau des Saarlandes. Doch Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) wird offenbar positiv wahrgenommen.
Und die Landesregierung konnte vor der Kommunalwahl einen Ansiedlungserfolg vermelden: Auf dem Gelände des Autokonzerns Ford, der sein Werk in Saarlouis 2025 schließen wird, will ein baden-württembergisches Pharma-Dienstleistungsunternehmen ein großes Werk bauen.
Kommunalpolitik ist im Saarland stark davon geprägt, dass es keine Millionenstädte gibt, betont Politologe Wenzelburger. Dort sei das politische Klima oftmals aufgeheizter. In den kleineren Städten werde häufiger auf die Kandidaten geachtet.
Dennoch gewinnt auch die AfD im Saarland hinzu. In der ehemaligen Kohle- und Stahlstadt Neunkirchen etwa, in der es stark um Strukturwandel geht, kam die Partei auf mehr als 20 Prozent. Dort konnte die AfD offenbar von der Unzufriedenheit in der Bevölkerung profitieren.
Brandenburg: Ukraine-Krieg, Migration, Überforderung
Unzufriedenheit herrscht auch in Brandenburg. Dort kommt die AfD in einzelnen Landkreisen auf knapp 40 Prozent, etwa in Spree-Neiße, der Heimat von Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD).
Ähnlich ist es mit fast 32 Prozent für die AfD im Landkreis Oberspreewald-Lausitz. Ökonomen bezeichnen die Region, die vom Ende der Braunkohleförderung betroffen ist, als bestgeförderte Region Deutschlands.
Christoph Richter, Korrespondent des Deutschlandfunks in Brandenburg, sieht für das gute Abschneiden der AfD in dem Bundesland vor allem zwei große Themen: den Ukraine-Krieg und die Migration. Es bestehe ein großes Misstrauen gegenüber Waffenlieferungen an Kiew, zudem sehe man sich durch die Migration überfordert.
Richter sieht aber auch eine „Transformationsüberforderung“: Die Menschen müssen sich seit 1990 permanent neu erfinden. Die erneute Transformation hin zur Klimaneutralität scheint ihnen besonders schwerzufallen.
Viele seien mental und finanziell erschöpft. „Es ist eine tief sitzende Unzufriedenheit zu beobachten; es gibt auch eine Politikverdrossenheit.“ Auf dem Land fühlen sich die Menschen zudem allein gelassen. Es sei ihnen gleich, ob die AfD vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall beobachtet werde.
Denkzettel für die Ampel, besonders für Scholz
Anders als im Saarland gab es in Brandenburg auch einen Denkzettel für die Ampel. Vor allem an Bundeskanzler Olaf Scholz, der im Land nach Beobachtung Richters „paternalistisch“ und „ohne Empathie“ mit den Menschen spreche: „Er wirkt fast desinteressiert.“
"Erschreckend", aber doch vorhersehbar findet die Politologin Heike Radvan den Ausgang der Wahl in Brandenburg. Es zeige sich eine deutliche Zustimmung zu vereinfachenden, unsolidarischen Antworten auf gesellschaftliche Probleme, sagt sie.
Man bewege sich auf einen Kippmoment zu. Dieser zeige sich bei rechten Parteien nicht erst bei 50 Prozent Zustimmung, sondern bereits bei 30 Prozent. Man müsse die demokratischen Werte und die Vorteile einer demokratischen Gesellschaft gegenüber autoritären Diktaturen noch deutlicher machen, so Radvan.
bth