Archiv

Kommunalwahlen in der Türkei
"AKP ist nach wie vor die stärkste Partei"

Die Kommunalwahlen in der Türkei werden nur geringe politische Auswirkungen haben, sagte der Leiter der Friedrich-Naumann-Stiftung in Istanbul, Hans-Georg Fleck, im Dlf. Erdogan werde aber Zugeständnisse in der Wirtschaftspolitik machen müssen. Dafür sei der wirtschaftliche Druck einfach zu groß.

Hans-Georg Fleck im Gespräch mit Philipp May |
Hinter den unscharf abgebildeten Fahnen und den Köpfen von Menschen zeichnet sich scharf das Bild des lächelnden Erdogan ab.
Anhänger des türkischen Präsidenten Erdogan schwenken nach den Kommunalwahlen Fahnen mit dessen Konterfei. (Emrah Gurel / AP / dpa)
Philipp May: "Wer Istanbul beherrscht, beherrscht die Türkei." Das hat Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan im Wahlkampf immer wieder verkündet. Kein Wunder: Hier in der Millionenmetropole am Bosporus begann für Recep Tayyip Erdogan der Aufstieg an die Staatsspitze. Hier begann für ihn selbst 1994 als Bürgermeister sein Weg bis in den Präsidentenpalast.
Doch Istanbul beherrscht in Zukunft möglicherweise die Opposition. Der sozialdemokratische CHP-Kandidat Ekrem Imanoglu hat einen hauchdünnen Vorsprung von rund 25.000 Stimmen gegenüber Erdogans AKP-Mann, dem ehemaligen Ministerpräsidenten Binali Yildirim, der sich bisher allerdings weigert, seine Niederlage anzuerkennen.
Auch in der Hauptstadt Ankara gewann der Oppositionskandidat von der CHP, aber auch hier will die AKP das Ergebnis anfechten.
Die Tourismushochburg Antalya mit der drittgrößten Stadt Izmir ging ebenfalls an die Opposition. Insgesamt aber bleibt die AKP stärkste Kraft mit 44 Prozent der Stimmen.
Das ist die Lage am Dienstagmorgen und darüber rede ich jetzt mit Hans-Georg Fleck, Leiter der FDP-nahen Naumann-Stiftung in Istanbul. Guten Morgen!
Hans-Georg Fleck: Guten Morgen, Herr May.
"Symbolische Bedeutung dieser Wahlentscheidung kann kaum überbewertet werden"
May: Herr Fleck, hier sprechen viele Kommentatoren von einer Klatsche für die AKP. Sehen Sie das auch so?
Fleck: Man muss da vorsichtig sein in der Bewertung. Einerseits: Die politischen Konsequenzen halte ich eher für gering. Die nächsten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen werden bekanntlich erst 2023 stattfinden. Die symbolische Bedeutung allerdings dieser Wahlentscheidung kann kaum überbewertet werden.
Sie haben schon darauf hingewiesen, dass Recep Tayyip Erdogan seinen politischen Aufstieg in Istanbul begonnen hat, und in diesem Jahr ist auch Ankara erstmalig an die islamistischen Kräfte in der Türkei gefallen. Da könnte man daraus schließen, dass sich eine Zeitenwende andeutet, aber da muss man sehr vorsichtig sein. Wie gesagt, die politischen Rahmenbedingungen haben sich dadurch nicht geändert. Und wir wissen ja auch noch nicht, wie die Entscheidungen der Wahlkommission in Istanbul und Ankara ausgehen werden.
Ich denke, dass es zumindest in Ankara eindeutig nur in Richtung Sieg des CHP-Kandidaten Yavas gehen kann. Was Istanbul anbelangt, das müssen wir sicher noch abwarten.
Der türkische Präsident Erdogan steht am Redepult und spricht zu den Konferenzteilnehmern.
Der türkische Präsident Erdogan (AFP/Yasin AKGUL)
May: Heißt das, da wird jetzt so lange gezählt, bis am Ende Yildirim doch noch gewonnen hat?
Fleck: Wenn das tatsächlich so gehen sollte, dass unter Hinweis auf die zahlreichen ungültigen Stimmen eine Gesamtkorrektur des Wahlergebnisses erfolgt, hätte das, denke ich, sehr, sehr schwerwiegende Folgen, weil das zeigen würde, dass die AKP nicht bereit ist, Wahlniederlagen anzuerkennen.
Es deutet allerlei darauf hin, dass das so sein könnte, weil der Präsident ja im Wahlkampf, den er mit aller Aggressivität geführt hat gegen die Opposition, schon angedeutet hat, dass er auch entschlossen sein könnte, die Wahlergebnisse zu ignorieren und die Wahlsieger abzusetzen, wenn sie ihm nicht in sein politisches Kalkül passen. Da ist schon allerlei vorbereitet worden. Wenn das aber auf nun gerade Istanbul zutreffen würde, glaube ich, würde das große Probleme im Land auslösen.
"Das Problem der Türkei ist, dass sie kein Rechtsstaat mehr ist"
May: Was würden Sie denn sagen, wie demokratisch ist die Türkei noch?
Fleck: Der formale demokratische Prozess in der Türkei existiert. Das ist am Sonntag wieder gezeigt worden. Das Problem der Türkei ist in erster Linie, dass sie kein Rechtsstaat mehr ist. Das zweite Problem ist, dass sie über keine Medienfreiheit verfügt.
Der Wahlkampf hat wieder gezeigt, wie eindeutig die Medien, sowohl die elektronischen als auch die Presse in der Türkei, den Präsidenten und seine Partei bevorzugen. Der demokratische Prozess funktioniert bis dato ganz gut und wir werden jetzt sehen, durch die Entscheidung der Wahlkommission, ob wir davon sprechen können, dass er gut funktioniert.
May: Das heißt, es gibt grundsätzlich keine Zweifel daran, dass die AKP weiterhin stärkste Kraft in der Türkei ist? Ich sagte es: 44 Prozent der Stimmen.
Fleck: Es gibt daran keinen Zweifel - insofern, als zu dieser Wahl standen Entscheidungen über Bürgermeister und Räte in den Städten und Gemeinden der Türkei. Es ging nicht um die Zentralregierung, es ging nicht um den Präsidenten. Die sind im vorigen Jahr gewählt worden und Recep Tayyip Erdogan hat dort eine absolute Mehrheit bekommen, dank seines Koalitionspartners MHP. Die AKP ist nach wie vor die mit Abstand stärkste Partei. Daran hat sich durch diese Wahl nichts geändert.
Aber es zeigt auch der AKP, auch dem Fußvolk der AKP, dass dieser Prozess des unendlichen und dauerhaften Sieges, den Erdogan versprochen hat, dass dieser Prozess irgendwann mal zu einem Ende kommen könnte. Und vielleicht - das wissen wir nicht, weil wir in die Zukunft nicht schauen können - ist das, der 31. März 2019, tatsächlich der Beginn eines Wandlungsprozesses.
Wenn man weiß, das wissen kundige Beobachter der Türkei schon lange, dass es außer der AKP-Türkei auch eine andere Türkei gibt, dann hat diese andere Türkei am Sonntag gezeigt, dass sie lebens- und aktionsfähig ist.
"Wirtschaftspolitik ohne Rechtsstaat kann nicht erfolgreich sein"
May: Aber was heißt das denn konkret, wenn jetzt die Rathäuser tatsächlich der vier größten Städte - wieviel Prozent sind das ungefähr der Gesamtbevölkerung; das ist ja eine große Masse - von der Opposition gehalten werden? Wie ändert das tatsächlich die aktuellen Kräfteverhältnisse in der alltäglichen Politik?
Fleck: Das ist schwer zu beurteilen. Es gibt zunächst mal die Tatsache, dass die Türkei ein extrem zentralistischer Staat ist. Daran hat sich durch diese Entscheidung nichts geändert. Mit anderen Worten: Die Gemeinden der Türkei können in bestimmten Rahmen ein Eigenleben führen, aber sie sind hochgradig abhängig von Entscheidungen der Zentralregierung, und die Zentralregierung hat schon in der Vergangenheit - das können wir am Beispiel Izmirs zeigen - ihr Bestes getan, um den Gemeindeverwaltungen, die von der Opposition geführt wurden, das Leben schwer zu machen.
Ich würde die Möglichkeiten, die sich jetzt ergeben für die Opposition, auf keinen Fall überbewerten. Es gibt keinerlei Zeichen, dass die Entscheidung über Izmir oder Antalya oder Istanbul auch irgendetwas an den außenpolitischen Problemen der Türkei ändert. Und vor allen Dingen: Das ändert nichts an den wirtschaftspolitischen Problemen. Es zeigt nur, dass den Menschen das nicht egal ist, welche Wirtschaftspolitik betrieben wird, und die bisherige ist nicht erfolgreich gewesen und man muss sich auf Seiten der AKP-Regierung überlegen, wie man einen anderen Kurs fährt in der Wirtschaftspolitik. Wirtschaftspolitik ohne Rechtsstaat zum Beispiel kann nicht erfolgreich sein.
Hans-Georg Fleck leitet das Büro der Friedrich-Naumann-Stiftung in Istanbul.
Hans-Georg Fleck leitet das Büro der Friedrich-Naumann-Stiftung in Istanbul. (Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit)
May: Apropos anderer Kurs. Eine Frage noch: Erdogan kontrolliert die Justiz, er kontrolliert die Medien, haben Sie schon gesagt. Wird er jetzt auch die Daumenschrauben noch mal anziehen?
Fleck: Das ist nicht ausgeschlossen. Das Marschtempo des Präsidenten ist immer auf vorwärts und Polarisierung gerichtet. Man kann sich nicht vorstellen, dass es irgendwie einen Rückwärtsgang gibt, einen Schritt zurück, ein Tempo zurücknehmen.
Er marschiert in diesem Tempo weiter und mehr Konfrontation bedeutet, dass auch in dieser Richtung noch allerlei Dinge möglich sind, an die wir heute noch gar nicht zu denken wagen.
May: Aber die Möglichkeit, dass er vielleicht mehr Konzessionen machen wird, die halten Sie für ausgeschlossen?
Fleck: Er wird bestimmte Konzessionen im Wirtschaftsbereich wohl machen müssen. Man hat die Entscheidungen da vertagt bis auf den 31. März, respektive 1. April. Da wird man jetzt sehen, inwieweit er in der Lage ist, Konzessionen zu machen. Der wirtschaftliche Druck ist einfach zu groß. Man kann nicht so tun, als ob man weiter wie bisher gehen könne.
Aber in der politischen Landschaft, zum Beispiel in außenpolitischen Fragen, kann ich mir nicht vorstellen, dass der Präsident in irgendeiner Weise abweichen wird von seinem bisherigen Kurs, der ja eindeutig auf Konfrontation mit dem Westen gerichtet ist.
May: Über die Lage in der Türkei nach den Kommunalwahlen - die Einschätzungen waren das von Hans-Georg Fleck, Leiter der FDP-nahen Naumann-Stiftung in Istanbul. Herr Fleck, vielen Dank und einen schönen Tag Ihnen.
Fleck: Danke Ihnen. Auf Wiederhören.
May: Auf Wiederhören.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.