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Kommunalwahlen in der Türkei
"Die AKP hat keine Stimmenverluste erlitten"

Nach Ansicht des AKP-Politikers Mustafa Yeneroglu hat seine Partei die Kommunalwahlen in der Türkei "haushoch gewonnen". Die AKP habe alleine mehr Stimmen geholt als die Opposition zusammen, sagte er im Dlf. Der mögliche Wegfall der Großstädten Istanbul und Ankara wäre aber ein herber Verlust.

Mustafa Yeneroglu im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
Mustafa Yeneroglu (AKP), der Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des türkischen Parlaments
Mustafa Yeneroglu (AKP), der Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des türkischen Parlaments (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
Dirk-Oliver Heckmann: Die Wahlen in der Türkei, sie seien eine Frage des nationalen Überlebens. Der türkische Präsident Erdogan ließ kein Superlativ aus, um die Bedeutung der Abstimmung hervorzuheben. Dabei handelte es sich lediglich um eine Kommunalwahl. Andererseits ist der Druck, den Erdogan gemacht hat, nachvollziehbar, denn die Türkei steckt in der tiefsten Wirtschaftskrise seit seinem Amtsantritt. Die AKP steht vor einem Verlust von Ankara und auch Istanbul ist knapp. Am Telefon ist jetzt Mustafa Yeneroglu von der AKP. Er ist Mitglied des türkischen Parlaments. Dort war er Vorsitzender des Menschenrechtsausschusses im Parlament. Schönen guten Morgen, Herr Yeneroglu!
Mustafa Yeneroglu: Ja, hallo! Einen schönen guten Morgen nach Deutschland.
Heckmann: Einen guten Morgen auch Ihnen. Die AKP bleibt landesweit zwar stärkste Kraft, steht aber vor einem Verlust von Ankara und gegebenenfalls auch Istanbul. 20 Jahre lang hat die AKP oder eine ihrer Vorgängerparteien hier regiert. Wie empfindlich treffen Sie diese Verluste?
Yeneroglu: Zunächst einmal muss man feststellen, dass die AK-Partei alleine mehr Stimmen geholt hat als die Opposition zusammen. Darüber hinaus haben wir mehr Stimmen als bei den letzten Kommunalwahlen 2014 geholt und annähernd die Stimmen, die wir bei den letzten Parlamentswahlen letztes Jahr geholt haben. Von daher ist die AK-Partei …
"Wir sind nicht zufrieden"
Heckmann: Das heißt, Sie sind zufrieden?
Yeneroglu: Nein, wir sind nicht zufrieden. Wir warten noch die endgültigen Ergebnisse, insbesondere in Istanbul und in einigen Provinzen ab. In Ankara scheint es so zu sein, dass der Unterschied bei etwa 100.000 Stimmen liegt. Es gibt noch Unregelmäßigkeiten, die müssen aufgeklärt werden, und wir müssen abwarten, was der Wahlausschuss im Ergebnis endgültig mitteilt.
Heckmann: Aber Sie konstatieren schon, dass die AK-Partei in den großen Städten herbe Verluste einfahren muss?
Yeneroglu: Wir haben keine Stimmenverluste erlitten. Wenn es im Ergebnis so sein sollte, dass wir die beiden Großstädte Istanbul und Ankara verloren haben – das müssen die endgültigen Ergebnisse erst mal zeigen -, dann ist das natürlich ein herber Verlust vor unserem eigenen Anspruch. Aber insgesamt, wenn man von einem Vertrauensverlust gegenüber Erdogan spricht, dann muss man einfach zeigen, dass die Zahlen ein anderes Ergebnis zeigen und trotz der großen Probleme, die wir tatsächlich im Land haben, wir im Ergebnis die Wahlen haushoch gewonnen haben.
Heckmann: … haushoch gewonnen haben, aber möglicherweise wie gesagt Ankara und Istanbul vielleicht auch verloren. Was ist denn der Grund für diese Entwicklung? Was denken Sie, was ist die Ursache?
Yeneroglu: Der eine Grund ist natürlich, dass die Opposition in Istanbul und in Ankara gemeinsam angetreten ist. In Ankara war es so, dass bei den letzten Wahlen der Vertreter der Opposition, der auch diesmal angetreten ist, sowieso nur mit 30.000 Stimmen verloren hatte, und jetzt scheint er, mit 100.000 Stimmen vorne zu liegen. Und in Istanbul ist es so, dass wir jetzt bei den aktuellen Wahlen fast die meisten Stimmen, die wir überhaupt in Istanbul bisher an irgendwelchen Kommunalwahlen geholt haben, wieder auf den AK-Parteivertreter Binali Yildirim erringen konnte. Um eine endgültige Analyse vorzunehmen, muss man tatsächlich das Ergebnis abwarten. Ich denke, das dauert jetzt bis morgen, übermorgen, weil es sind in Istanbul 280.000 ungültige Stimmen gezählt worden und die müssen jetzt wahrscheinlich noch mal überprüft werden.
"Hatte weniger Stimmen für die AKP erwartet"
Heckmann: Hat die AKP Fehler gemacht? Hat Präsident Erdogan Fehler gemacht?
Yeneroglu: Wir werden die nächsten Tage sicherlich die Wahlanalysen prüfen müssen. Wir werden auch gucken müssen, ob und wo wir Fehler gemacht haben. Präsident Erdogan hat gestern in der Nacht noch deutlich gemacht, wenn Fehler gemacht worden sind, dann werden die Fehler sicherlich in der Partei voll umfänglich überprüft werden, und die Konsequenzen wird er dann ziehen.
Heckmann: Was ist denn Ihre Meinung dazu, Herr Yeneroglu? Hat Ihre Partei Fehler gemacht?
Yeneroglu: Ich muss tatsächlich sagen, dass ich eigentlich gestern noch etwas weniger an Stimmen für die AK-Partei erwartet habe. Man muss einfach feststellen, dass die AK-Partei und überhaupt auch die ganzen Analysten sowieso nicht so viele Stimmen auf die AK-Partei vor dem Hintergrund der Teuerungsrate, der Schwierigkeiten, vor überhaupt den großen Herausforderungen im Land gesehen haben. Ansonsten: Sicherlich muss man gucken. Wir haben möglicherweise in Ankara mit dem Kandidaten einen Fehler gemacht. Das muss man dann im Ergebnis feststellen. In Istanbul haben wir sicherlich keinen Fehler gemacht, weil mit Binali Yildirim konnten wir den besten Kandidaten, den es überhaupt für Istanbul geben kann, aufstellen. Deswegen muss man im Einzelnen gucken, wo die Probleme liegen, wo die Fehler liegen, was die Wähler im Ergebnis bewogen hat, dann letztendlich ihre Stimme dem Oppositionskandidaten zu geben.
Heckmann: Ein Grund für das Wahlergebnis könnte ja auch diese Wirtschaftskrise sein. Das ist die stärkste Wirtschaftskrise seit Erdogans Machtübernahme. Die Inflation liegt bei 20 Prozent. Die türkische Lira ist auf Talfahrt, die Arbeitslosigkeit ist massiv angestiegen. Präsident Erdogan hat ja das Ausland und Spekulanten für die Krise verantwortlich gemacht. Zeigt das Ergebnis, dass so eine Erklärung nicht mehr verfängt?
Yeneroglu: Ich glaube, dass die Wirtschaftskrise sicherlich die Hauptrolle dabei gespielt hat, wie die Wähler letztendlich an der Urne abgestimmt haben. Auf der anderen Seite muss man aber auch unterstreichen, dass die Wähler vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Herausforderungen immer noch nicht ihre Stimmen in einer klaren Art und Weise für die Opposition abgegeben haben, sondern im Ergebnis doch vermitteln, dass sie von der AK-Partei erwarten, diesen großen Herausforderungen Herr zu werden, und als einzige Partei überhaupt bei der AK-Partei die Möglichkeit sehen, dass sie die Probleme bewältigt.
"In jedem anderen europäischen Land wäre HDP verboten"
Heckmann: Aber zeigt das Wahlverhalten nicht auch, dass eine Erklärung, wonach das Ausland verantwortlich sei für die Wirtschaftskrise, dass die einfach zu kurz greift?
Yeneroglu: Es ist natürlich eine der Aussagen, dass letztendlich auch viele Probleme aus dem Ausland gekommen sind. Man muss einfach jetzt mit Schuldzuweisungen abwarten. Letztendlich sind wir diejenigen, die hier angetreten sind, die hier die Arbeit gemacht haben. Ich bin ein rationaler Mensch und ich bin jemand, der die Probleme und die Verantwortung, wenn überhaupt, dann bei sich selbst sucht. Dann müssen wir erst mal die Tage abwarten und analysieren. Aber wir müssen unterstreichen: Verlierer der Wahl ist die CHP, die Opposition. Die HDP, die im Südosten der Türkei viele Provinzen verloren hat, die vor allem Stimmen an die AK-Partei abgeben musste. Bitlis, in Mus – das sind Südostprovinzen, die die HDP vorher geholt hatte -, die haben wir geholt und das ist ein großer Erfolg für die AK-Partei. Letztendlich hat das Volk mitunter auch gesagt, dass eine Partei, die keine Absage dem Terrorismus gegenüber vornimmt, dann auch von den Wählern erheblich bestraft worden ist.
Heckmann: Sie haben die prokurdische Oppositionspartei HDP angesprochen. Die hat jetzt im Vorfeld der Wahlen massiven Druck auf ihre Anhänger und ihre Politiker beklagt. Während des Wahlkampfs seien über 700 HDP-Funktionäre und Anhänger festgenommen worden. Über 100 säßen in Untersuchungshaft. Können Sie uns erklären, was das noch mit Demokratie zu tun haben soll?
Yeneroglu: In jedem anderen europäischen Land wäre die HDP längst verboten. Stellen Sie sich mal vor, dass in Deutschland eine Partei, die den Terrorismus des NSU nicht als Terrorismus bezeichnet, die den NSU nicht als terroristische Partei bezeichnet und die die kriminellen Mitglieder des NSU glorifiziert, in Deutschland an Wahlen teilnimmt und entsprechend auch eine gehörige Anzahl von Stimmen holt. Man muss das vor diesen Verhältnissen beurteilen und bei der HDP ist es so, dass der Großteil der HDP eine klare Sympathie zur PKK hat, dass viele Funktionäre der HDP sich offen zur PKK bekannt haben. Die Demokratie lebt davon, dass man der Illegalität eine klare Absage erteilt, und davon ist die HDP meilenweit entfernt.
"Die HDP ist stark geprägt von der PKK"
Heckmann: Wenn das so ist, wie Sie sagen, Herr Yeneroglu, dass die HDP der verlängerte Arm der PKK ist, die ja in der Tat als Terrororganisation in den USA, in Europa, in der Türkei gelistet ist, weshalb ist dann die HDP bitte nicht verboten?
Yeneroglu: Weil die Türkei als eine offene Demokratie nicht den Weg gehen wollte, eine Kollektivbestrafung vorzunehmen, sondern sich einzelne Leute rauszupicken, die die Beziehung zur PKK auch offen unterhalten.
Heckmann: Aber Sie sagen doch, dass die HDP geprägt ist von diesen Personen, die enge Verbindungen zur PKK haben.
Yeneroglu: Meine persönliche Meinung ist sowieso, dass die HDP sehr stark geprägt ist von der PKK, und da erwarte ich natürlich von der türkischen Justiz, dass sie entsprechend auch Schritte unternimmt. Aber ich kann ihr diese Aufgabe nicht abnehmen und das zeigt wiederum, dass wir in der Türkei nach wie vor eine starke Demokratie sind. Wir haben sicherlich Mängel und die müssen wir in nächster Zeit aufarbeiten, und wir müssen eine viel stärkere, viel größere Demokratie werden. Da gibt es sicherlich Fragen, die immer wieder aus dem Ausland gestellt werden. Wir müssen uns der Kritik stellen und uns mit der Kritik auseinandersetzen.
Auf der anderen Seite muss aber auch insbesondere aus Europa die Betrachtung der HDP die Sachzwänge nicht übergehen und einfach auch erkennen, dass die HDP gegenwärtig keine Partei ist, die demokratisch legitimiert ist.
Heckmann: Das wirkt ein bisschen widersprüchlich in meinen Ohren, denn sie ist ja nicht verboten in der Türkei. Aber vielleicht gehen wir zum Schluss noch mal auf einen anderen Punkt ein, Herr Yeneroglu, wenn Sie erlauben. Und zwar hat Präsident Erdogan auf einer Wahlveranstaltung angekündigt, dass die Türkei die Syrien-Frage nach den Wahlen auf dem Feld lösen werde. Plant die Türkei eine neue Offensive in Syrien?
Yeneroglu: Wie gesagt, wir haben jetzt erst mal die Situation, dass wir uns mit den Wahlergebnissen befassen. Zu der Situation in Syrien kann ich, Stand jetzt, nichts sagen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.