Bundesfinanziminister Olaf Scholz plant einen milliardenschweren finanziellen Schutzschirm für die Kommunen, um die Belastungen der Coronakrise abzufangen. Bund und Länder sollen je zur Hälfte insgesamt fast 57 Milliarden Euro bereit stellen, um Gewerbesteuerausfälle des Jahres 2020 auszugleichen und die Kommunen handlungsfähig zu halten.
Der SPD-Politiker Apostolos Tsalastras ist Kämmerer von Oberhausen, einer Ruhrgebietsstadt mit besonders hohen Schulden. Wir haben mit ihm über die Planungen gesprochen.
Andreas Noll: 57 Milliarden Euro für die Kommunen, wir haben es gerade gehört, auch über Altschulden will der Bundesfinanzminister sprechen. Wären damit die Finanzprobleme von Oberhausen gelöst?
Apostolos Tsalastras: Das ist erst mal, um das vorweg zu sagen, eine wirklich gute Initiative des Bundesfinanzministers. Dass unsere Finanzprobleme vollständig gelöst werden, würde ich nicht sagen, aber es ist eine wirklich große Hilfe und würde uns einen, ja, Neuanfang auf alle Fälle ermöglichen.
Noll: Was ist für Sie in der aktuellen Situation wichtiger, die geplante oder angedachte Nothilfe oder die Altschuldenregelung?
Tsalastras: Also im Prinzip beides, weil die Nothilfe ist ganz aktuell wichtig, um die wegbrechenden Einnahmen ein Stück weit auszugleichen und uns handlungsfähig und liquide zu halten. Das wird mit diesem Paket zumindest unterstützt. Da brauchen wir natürlich auch noch weitere Unterstützung vom Land, also das muss schon Bund und Land gemeinsam versuchen. Das Zweite ist: Wir sind aufgrund unserer hohen Verschuldung nicht in der Lage, wie andere Kommunen aktiv der Krise entgegenzuwirken, und das ist natürlich dringend erforderlich, weil sonst bricht uns vor Ort die eh schon schwache Wirtschaft vollständig weg. Und mit der Initiative von Olaf Scholz bekommen wir da Unterstützung, um auch langfristig wieder halbwegs auf sicheren Beinen zu stehen.
Noll: Gehen Sie denn davon aus, dass Ihre Stadt unter die Altschuldenregelung fällt?
Tsalastras: Ich glaube, wenn eine Stadt unter die Altschuldenregelung fällt, dann wird das Oberhausen sein, weil wir die Stadt sind, die mit am höchsten verschuldet ist. Also wir sind da, was das angeht, gebeutelt durch den Strukturwandel im Ruhrgebiet seit 1985, und da haben sich Schulden aufgetürmt in einer Größenordnung von 1,9 Milliarden Euro.
"Verlust von eigenen Handlungsmöglichkeiten"
Noll: Nun gibt es auch in der Politik selten Geld umsonst. Welchen politischen Preis werden Sie wohl für die Hilfe aus Berlin und Düsseldorf, Sie haben es gesagt, zahlen müssen, wenn sie denn kommt?
Tsalastras: Also ich gehe davon aus, dass der Preis der gleiche sein wird wie das, was wir gerade in Nordrhein-Westfalen im Stärkungspakt auch bezahlen, nämlich ein Stück weit Verlust von eigenen Handlungsmöglichkeiten. Wir haben ein massives Sparprogramm aufgesetzt, um neue Schulden zu verhindern. Das ist in den letzten drei Jahren gelungen. Wir hatten einen ausgeglichenen Haushalt. Ich glaube, das, was da an Anforderungen gestellt wurde, wird auch weiter gelten, sodass wir nach wie vor in einem Konsolidierungszwang sein werden, zumal die wirtschaftliche Lage wird ja auch nicht besser, es bleibt schwierig für die Kommunen.
Noll: Wenn Sie uns das mal in der Praxis Ihrer Kommune schildern: Wie schwer belastet Corona die Finanzlage von Oberhausen derzeit?
Tsalastras: Also wir werden Gewerbesteuerverluste haben von ungefähr 30 Millionen Euro, wir werden Verluste haben beim Gemeindeanteil an der Einkommenssteuer in einer Größenordnung von auch noch mal 20 Millionen Euro, also ungefähr um 50 Millionen Euro werden wir Einnahmeverluste und Aufwand haben, den wir bisher nicht geplant haben. Wenn man bedenkt, dass unser Haushalt eine schwarze Null schreibt, dann wird man wissen, dass wir das niemals alleine ausgleichen können. Das Gleiche wird für 2021 der Fall sein. Das wird nicht so sein, dass wir nach 2020 wieder sofort in die schwarzen Zahlen kommen werden, also sind wir dringend drauf angewiesen auf eine solche Unterstützung, wie sie gerade vom Bundesfinanzminister Scholz eingebracht worden ist.
Noll: Was ist denn für Sie das größere Problem, die gestiegenen Ausgaben, zum Beispiel durch die Übernahme der Elternbeiträge bei Kitas, oder die wegbrechenden Einnahmen?
Tsalastras: Also was bei uns ganz besonders schwierig ist, sind die wegbrechenden Einnahmen, weil das ist eine Größenordnung, die ist durch den zusätzlichen Aufwand gar nicht vergleichbar. Wir haben, wie gesagt, 30 Millionen bei der Gewerbesteuer. Wir rechnen mit Mehraufwand sowohl bei den Kosten der Unterkunft für Langzeitarbeitslose, für die Kita-Kosten und all die ganzen Geschichten, ich sage mal, unter 10 Millionen Euro. Das wird nicht so viel ausmachen wie die wegbrechenden Einnahmen. Das, glaube ich, ist das größte Problem, was wir im Augenblick haben.
Noll: Nun war die Coronakrise für die Kommunen sicherlich nicht absehbar, aber das Problem mit den Kommunalfinanzen, das liegt ja tiefer. Man kann sich die Zahlen vom Statistischen Landesamt im Internet ja anschauen, jeder kann das tun, und da ist für das Jahr 2018, also in einer guten Zeit vor der Krise, vermerkt, dass die Stadt Oberhausen nicht nur 1,9 Milliarden Schulden hat, sondern sagenhafte 1,58 Milliarden an Kassenkrediten aufgenommen hat, also im Grunde das, was der Privatbürger als Kontoüberziehung kennt. Man könnte also sagen, Oberhausen hat schon in guten Zeiten vollständig auf Dispo gelebt. Jetzt kommt Corona dazu. Sind Sie in Wahrheit nicht schon längst pleite in der Stadt?
Nach "unternehmerischen Aspekten" wäre Oberhausen pleite
Tsalastras: Also wenn man das nach normalen unternehmerischen Aspekten betrachten würde, wäre das so. Nun sind wir als Kommune Teil des Staates und damit sind wir natürlich abgesichert durch Land und Bund. Deswegen kann man jetzt nicht die Maßstäbe ansetzen wie bei einem Unternehmen. Und wir haben ja Pflichtaufgaben zu erfüllen wie die Auszahlung von Sozialhilfe, die Deckung der Kosten der Unterkunft für die Langzeitarbeitslosen, wir müssen als Schulträger Schulen zur Verfügung stellen, Straßen und Infrastruktur, also das heißt, wir haben Pflichtaufgaben, die zu erfüllen sind. Und für diese Aufgaben reichen die Einnahmen nicht, die wir haben. Das ist das Problem. Und das ist seit 1985 so. Der Strukturwandel hat im Ruhrgebiet dazu geführt, damit auch in Oberhausen, dass die Steuereinnahmen weggebrochen sind, aber die Soziallasten massiv gestiegen sind durch die hohe Arbeitslosigkeit, und das hat sich natürlich ausgewirkt. Und wir hoffen, dass das jetzt endlich gelöst wird an der Stelle. Ich glaube, da sind wir jetzt auf einem guten Weg mit dieser Initiative, dort ein neues Fundament reinzubekommen.
Noll: Noch ist aber nicht klar, ob dieses Geld tatsächlich aus Berlin und Düsseldorf dann kommt. Welche Finanzierungsoptionen nehmen Sie denn als Stadt in den Blick? Sie haben die Sparmaßnahmen angedeutet. Werden Sie jetzt radikal die Angebote weiter verringern und Abgaben erhöhen?
Tsalastras: Das wäre der absolut falsche Weg. Der Bundesfinanzminister hat in einem Punkt absolut recht: Gegen die Krise anzusparen hieße, die Krise zu verschärfen. Das würde bedeuten, dass wir vor Ort die wirtschaftliche, die eh schon schwache wirtschaftliche Basis vollständig abwürgen, und nach der Krise keine Chance hätten, wieder in einen Normalzustand hineinzukommen. Das heißt, uns bleibt eigentlich als Option, um die fehlenden Finanzmittel auszugleichen, nur eine weitere Verschuldung. Und das ist, glaube ich, bei dem Schuldenstand, den wir haben, nicht verantwortlich.
"Wenn die Zinsen steigen, dann werden wir das nie mehr ausgleichen können"
Noll: Stichwort weitere Verschuldung: Wenn Sie zusätzlich noch Geld aufnehmen könnten – im Moment profitieren Sie ja vom Niedrigzinsumfeld, das muss auf Dauer nicht so bleiben –, was würde es denn für Oberhausen theoretisch bedeuten, wenn die Zinsen, sagen wir mal, von der EZB um ein, zwei Prozentpunkte erhöht würden? Könnten Sie damit überhaupt noch leben?
Tsalastras: Nein, auf alle Fälle nicht. Wenn die Zinsen steigen, dann werden wir das nie mehr ausgleichen können. Wir haben jetzt zwar unsere Verschuldung mittelfristig abgesichert, aber über die mittlere Frist, wenn der Zins um einen oder zwei Prozent steigt, dann können Sie sich ja ungefähr ausrechnen bei einer Verschuldung von insgesamt, Liquiditätskredite und Investitionskredite von 1,9 Milliarden, was das bei uns ausmacht. Das können wir im Haushalt niemals ausgleichen. Das heißt, wir müssten uns neu verschulden, um die Zinsen zu bezahlen, und das wäre ein Zustand, im Übrigen nicht nur für Oberhausen, sondern für viele Kommunen im Strukturwandel bundesweit, das wäre ein Zustand, der würde eigentlich in eine kommunale Finanzkrise, in eine dramatische Finanzkrise führen. Das kann in Bund und Land keiner wollen, deswegen glaube ich, ist schon seit ein paar Jahren die Diskussion auch, die Altschuldenfrage zu lösen. Und jetzt ist endlich mal ein wirklicher Aufschlag, der uns Hoffnung macht, dass das gelingt. Ich hoffe sehr, dass das Land diese Initiative aufgreift, weil Nordrhein-Westfalen ist das am meisten betroffene Land, was die kommunale Verschuldung angeht. Es wäre dumm, diese Chance jetzt nicht zu nutzen, um mit dem Bund gemeinsam in Nordrhein-Westfalen die Kommunen zu stärken.
"Drei Jahre lang einen ausgeglichenen Haushalt"
Noll: Wenn Ihnen die Altschulden zum Teil genommen würden, letzte Frage, wie können Sie dann sicherstellen, dass Sie in Zukunft nicht wieder das Problem mit den Schulden haben? Der Strukturwandel geht ja nun weiter.
Tsalastras: Das ist richtig. Wir haben in den letzten Jahren es zumindest geschafft, drei Jahre lang einen ausgeglichenen Haushalt zu haben. Die Planungen waren auch optimistisch ohne Corona. Das heißt also, wenn sich die wirtschaftliche Situation wieder stabilisiert, dann, glaube ich, können wir das natürlich mit weiterhin harten Sparbemühungen hinbekommen. Aber natürlich wird es so sein, dass Bund und Land in der Verantwortung sind, die hohen Sozialkosten, die die Kommunen haben, stärker abzufedern, als das in der Vergangenheit der Fall war, weil wir zahlen die Sozialkosten, die Sozialgesetzgebung des Bundes, und auch Entscheidungen des Landes, zum Beispiel bei der Flüchtlingshilfe, mit, zum größten Teil selbst, und das muss sich für die Zukunft auch ändern, damit Kommunen handlungsfähig bleiben.
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