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Komödie von Danny Boyle
"Yesterday"

Was wäre, wenn niemand die Beatles kennen würde? Was würde das für die Popkultur bedeuten? Vor dieser Situation steht ein erfolgloser Musiker, der als einziger die Klassiker der „Fab Four“ kennt - in Danny Boyles neuem Film „Yesterday“.

Von Hartwig Tegeler |
Himesh Patel und Ed Sheeran unterhalten sich
In "Yesterday" trifft Jack (Himesh Patel) auch auf Ed Sheeran (www.imago-images.de )
Nehmen Sie bitte dies!
Charlie Parker: "Ornithology"
Ich habe nie entscheiden müssen, ob mir die Stones oder die Beatles lieber waren. Vor dem Zeugs rümpfte ich die Nase, während ich Charlie Parker oder John Coltrane hörte. Nur, damit Sie wissen, mit wem Sie es hier zu tun haben.
Also: Erfolgloser Singer/Songwriter hat in den zwölf Sekunden eines globalen
Stromausfalls, erklärt ihm seine Managerin Ellie im Krankenhaus …
"… und in genau diesen Sekunden hattest du das Pech, dass dich der Bus angefahren hat."
"Die Beatles" - "Wer?"
Jack hat zwei Schneidezähne verloren. Aber vor allem in anderer Hinsicht ist nun nichts mehr so, wie es war, denn niemand außer ihm kennt nun mehr die Beatles. Ein Google-Suche nach dem Bandnamen ergibt nur "beetle", englisch für "Käfer", oder "Beetle" für den Nachfolger des VW-Käfers.
Jack singt: "Yesterday / All my troubles seemed so far away / Now it seems as though they´re here to stay / Oh, I believe in yesterday." - "Oh, wann hast du den geschrieben? Das ist …" - "Das habe ich ja nicht. Paul McCartney hat den geschrieben. Also, die Beatles." - "Wer?" - "Das ist einer der größten Songs, der je geschrieben wurde." - "Na ja, das ist nicht Coldplay, es ist nicht ´Fix you´." - "Es ist nun mal nicht ´Fix you´. Es ist ein großes, großes Kunstwerk." - "Wow, da sitzt jemand plötzlich auf einem sehr hohen Ross."
Komödiantische Kritik am Musikbusiness
Als Jack nun die Beatles-Songs Familie und Freunden vorspielt, beginnt der ehemals erfolglose Straßenmusiker, der die Songs natürlich alle drauf hat, langsam zu begreifen, dass hier einiges Potenzial lauert. Langsam, aber sicher, nachdem er den inneren Schweinehund, der ihm verbieten will, die Beatles-Songs zu Reichtum und Erfolg zu machen, terminiert hat. Dann ist der Weg in die Hohe Liga vorprogrammiert. Als One-Man-Act vor Ed Sheerans Auftritt – der spielt sich in Danny Boyles "Yesterday" schön selbstironisch selbst –, und dann wird Jack natürlich auch Gefangener einer skrupellosen Managerin – soviel ins Komödiantische gezogene Kritik am Business darf in "Yesterday" eben auch sein:
"Ja, also, wir wollen, dass du nach L.A. kommst. Und wenn du dann kommst, dann schreibst du Songs. Und die veröffentlichen wir dann, und du machst haufenweise Geld. Und dann nehmen wir uns das meiste davon. Hämisches Lachen."
Dazu noch die Frage der Managerin an den zukünftigen Star:
"Könntest du besser aussehen als jetzt?"
Jack wird natürlich in L.A. kreuzunglücklich werden, um als Geläuterter zu Ellie und ins heimische Königreich zurückzukehren. Zu dieser Story gibt es dann aber eben – von Jack-Darsteller Himesh Patel, ein Newcomer, gesungen – die Songs. Von "Yesterday" über "Something", "Hey Jude" bis zu "Let It Be".
Ein bezirzter Kritiker
Manchmal ist es im Kino so, dass das ganze Instrumentarium, einen Film kritisch zu durchleuchten, gut, es ist immer noch da, aber es will nicht so recht funktionieren, weil der Film einen bezirzt. Ich erinnere: Circe, die bezaubernde Zauberin, verwandelte Odysseus´ Gefährten in Schweine; er schützte sich durch ein Kraut, aber blieb trotzdem ein Jahr bei ihr. Also, so ganz konnte auch er ihre Wirkung nicht abschütteln, bei allem Verstand. Mit anderen Worten: Natürlich ist vieles vorhersehbar in Danny Boyles Film "Yesterday", und die spannende Ausgangsfrage, was wäre, wenn es die Beatles und ihre Songs nicht gegeben hätte, was wäre mit unserer Kultur, diese Frage opfert "Yesterday" schließlich der Liebesgeschichte zwischen Jack und Ellie – gespielt von der entzückenden oder auch bezirzenden Lily James.
Und dass einer, der frei von jeglichem Erfolg ist, von der Chance auf eben jenen verführt wird, um am Ende, nach dem Unglücklichsein mit dem Erfolg, die Kraft der Liebe zu spüren und an sie zu glauben, das klingt natürlich einmal nach einem Beatles-Song und zum zweiten nach Drehbuchautor Richard Curtis, der "Notting Hill" oder "Tatsächlich Liebe" oder "Vier Hochzeiten und ein Todesfall" und nun "Yesterday" geschrieben hat. Romantik pur!
"Let It Be"
Aber vielleicht ist das ja nur das Drumherum für die wunderbare Idee, dass man an die Größe der Beatles-Songs erinnert, indem man so tut, als hätte es sie gar nicht gegeben. Ein sehr cleverer Erzähl-Trick. Und vielleicht braucht einer, der nie die Stones, geschweige denn die Beatles verehrte, sondern Charlie Parker und Coltrane, ein paar Jahre, um Textzeilen wie die aus "Let It Be" - emotional etwas angefasst – wirken zu lassen:
"Auch wenn die Nacht voller Wolken ist / Gibt es immer noch ein Licht, das auf mich scheint. / Scheint, bis der Morgen kommt! / Nimm´s einfach, so wie es ist."
Danny Boyle verbeugt sich mit seinem Film "Yesterday", diesem Feel-Good-Music-Movie vor der Aura der Beatles-Songs, die, - wenn nicht die, welche dann,- Weltkulturerbe sind. Verbeugt sich vor, ja, vielleicht vor dem, was Lennon und McCartney aus einer sehr tiefen Schicht menschlicher Erfahrung und menschlichen Bewusstseins in ihre Songs hineingeschrieben haben. Kurzum: Ich knie neben Danny Boyle. Die anderen Verehrten der Jahre werden´s verzeihen. Nimm´s einfach, so wie es ist!