1964. Der junge US-amerikanische Schriftsteller und Kunstliebhaber James Lord ist zu Besuch in Paris.
"Und eines Tages, nach einer Ausstellung, bat er mich, für ein Porträt Modell zu sitzen. Er sagte, es dauere nicht länger als zwei, drei Stunden."
James - gespielt von Armie Hammer - ist geschmeichelt, fasziniert, dass der große Künstler Alberto Giacometti - großartig in seiner Rolle: Geoffrey Rush - ihn porträtieren will. Die Bemerkung von Giacomettis Ehefrau:
"Du bist das nächste Opfer meines Mannes."
Übertrieben? Oder? Der Meister, so denn, nimmt Platz an der Staffelei. Und beginnt - mit der etwas irritierenden Bemerkung:
"Du hast den Kopf eines Rohlings. - Oh, danke. - Eine echte Verbrechervisage. - Danke."
Dann lassen's wir doch, meint das vollkommen offensichtlich verblüffte Modell. Nein, nein, meint Giacometti:
"Es wird mir ohnehin nicht gelingen, dich so zu malen, wie ich dich sehe. - Sicher? - Ja, natürlich. Es ist unmöglich."
Ein Raum, der uns magisch in den Film zieht
Manchmal ist es ein Raum, der uns magisch in einen Film zieht. Schon in seinem Regie-Debüt von 1996 hat sich Stanley Tucci als Meister bei der Inszenierung eines kleinen Raums und eines Kammerspiels erwiesen. Das italienische Restaurant in "Big Night": Wir meinen die Speisen, den Rotwein zu schmecken. Ganz anders, aber ebenso intensiv in seiner filmischen Wirkung ist Giacomettis Atelier, Zentrum von "Final Portrait", ein Film, der ebenfalls - wie "Big Night" - fast ganz Kammerspiel ist. Das Atelier: schmutzig, staubig, heruntergekommen, ein Beistelltisch mit den Farben, dem Aschenbecher. An den Wänden oder vor dem Fenster, das vor Dreck starrt, Skulpturen über Skulpturen. Giacomettis Atelier, sagt Regisseur Stanley Tucci, es war zum Glück mit vielen Fotos sehr gut dokumentiert, sodass der Raum exakt rekonstruiert werden konnte.
Dieser Raum atmet in "Final Portrait", durchströmt vom Chaos, und repräsentiert das philosophische und ästhetische Dilemma, in dem sich der Künstler Alberto Giacometti quält und wortreich jammert. Wie entsteht Kunst, wie ein Porträt?
"Nur dass du es weißt: Es ist auch unmöglich, ein Porträt je fertigzustellen."
James Lord, der Freund, das Modell, sitzt auf seinem Folterstuhl, Stunde um Stunde, Tag für Tag. Ratlos ob der Wucht des künstlerischen Zweifels.
"Heutzutage sind Porträts bedeutungslos."
Man kann es nicht glauben, was der zu jener Zeit schon bedeutendste Maler und Bildhauer Europas in diesem heruntergekommenen Atelier in Paris von sich gibt an Banalitäten wie tiefen Weisheiten über den künstlerischen Schaffensprozess.
"All die Jahre, in denen ich ausgestellt habe, war alles unfertig. Alles war unfertig."
Dann ist der Künstler fertig für diesen Tag.
"So. Hören wir für heute auf."
Und endlose Tage werden folgen.
"Ich denke, eine weitere Woche wäre toll. - Eine Woche? - Ja, eine Woche wäre toll."
In diesen endlosen Versuchen, beim Übermalen, beim Lamentieren, …
"Oh, Scheiße!"
… und beim Philosophieren entsteht ein Diskurs über die Kunst, vernebelt durch den Rauch der Filterlosen:
"Warst du schon immer so? - Was meinst du? - So voller Selbstzweifel. - Natürlich. Es wird schlimmer jedes Jahr. - Aber du wirst erfolgreicher jedes Jahr. - Gibt es einen bessern Nährboden für Zweifel als Erfolg. Hmh?"
Ein melancholisch-komisches Kammerspiel
"Final Portrait" von Stanley Tucci ist ein melancholisch-komisches Kammerspiel über die Entstehung von Kunst. Geoffrey Rush brilliert als zauseliges Genie. Stanley Tucci hingegen, der Filmemacher, sagt, er mache sich nichts aus Biopics, diesen filmischen Porträts, denn er wisse nicht, wie man das Leben eines Menschen in einen zweistündigen Film packen soll. In dieser Konzentration auf die gut zweieinhalb Wochen im Jahre 1964, nur dieses Zeitfenster, erfahren wir in diesem meisterhaften Film viel über einen Menschen und seine Kunst. Und die Frage, ob Kunst je fertig werden kann. Kann sie? Tja …