Der amerikanische Komponist und Sänger-Performer Julius Eastman (1940-1990)
Gay Guerilla

Der afroamerikanische, offen schwul lebende Komponist Julius Eastman wird derzeit wiederentdeckt. Ein Großteil seiner Partituren gilt als verloren. Seine Musik ist minimalistisch, voller Härte und verweist auf heute neu aufbrechende Gesellschaftskonflikte.

06.07.2024
Auf dem schwarz-weißen Bild steht ein farbiger Mann in Jeansjacke und gestikuliert mit der rechten Hand, während er sich mit der anderen Hand aufstützt.
Julius Eastman arbeitete eng mit Größen wie John Cage, Meredith Monk und Pierre Boulez zusammen. (C. Marbeth)
Julius Eastman (1940-1990) rückt gerade wieder in die Aufmerksamkeit der Musikszene. Seine Musik wird als minimalistisch beschreiben, oft von großer Härte geprägt.
Im Werk „Gay Guerilla" schält sich aus gehämmerten Klavierakkorden der Choral „Ein feste Burg ist unser Gott" heraus. So wird alte Kampflied von einer revolutionären Bewegung neu in Besitz genommen.

Utopie in Musik

Dennoch ist die Utopie, die in Eastmans Musik aufscheint, eine von der Aufhebung der Gegensätze: In der Ensemblemusik „Femenine" etwa wird eine Identität angestrebt, in der die Polarität von männlich und weiblich aufgehoben scheint.
Obwohl Eastman in der New Yorker Szene als Komponist wie als Pianist präsent war, blieb ihm doch der große Erfolg verwehrt. Erste Aufnahmen erschienen erst nach seinem frühen Tod, der auf Depressionen, Alkohol und Drogen zurückzuführen ist.

Blick in die Kindheit

Er war schon im Schul- und Kirchenchor ein kleiner Gesangsstar, und er erhielt frühzeitig Klavierunterricht. Die Familie gehörte dem vor allem in den Neuengland-Staaten allmählich sich herausbildenden afroamerikanischen Bürgertum an.
Der Vater war Bauingenieur, hatte sich aber von der Familie getrennt, weil er nie Kinder gewollt hatte. Die Mutter zog ihn zusammen mit seinem jüngeren Bruder Gerald allein auf, in Ithaca im Staat New York, wo Frances Eastman in herausgehobener Position in der Krankenhausverwaltung tätig war.

Ein Flügel in der Wohnung

Sie hatte selbst in ihrer Jugend Klavier gespielt; in der Wohnung befand sich noch ein Flügel, der Julius und seinem Bruder Gerald als Übeinstrument diente. Gerald wurde Jazz-Pianist; er trat beispielweise mit dem Count Basie Orchestra auf. Julius hingegen beschrieb die Mutter später als eine Art Wunderkind; er habe schon nach wenigen Unterrichtsstunden besser gespielt, als sie in ihrem ganzen Leben.
Zunächst schien Julius Eastman auf eine Pianisten-Karriere zuzusteuern. 1959 wurde er in die Klavierklasse von Mieczysław Horszowski am Curtis Institute in  Philadelphia, einer von Amerikas renommiertesten Musikhochschulen, aufgenommen, studierte aber zeitgleich im Nebenfach Komposition bei Constant Vauclain. Bei seinem Abschkußkonzert präsentierte Julius Eastman eine Reihe eigener Kompositionen, darunter eine Klaviersonate.

Im Sog einer Stadt

Ab dem Jahr 1977 entstehen eine Reihe von Stücken, die Beschimpfungen im Titel tragen, entweder aufgrund der Hautfarbe, oder aufgrund der sexuellen Orientierung: Beschimpfungen, die Eastman selbst jetzt vielleicht auch öfter zu hören bekommt, denn er verkehrt weit jenseits der bürgerlichen Kunstzirkel, in denen er sich bis dahin zumeist aufgehalten hat.
1976 zieht er nach New York, wo auch seine neuen Stücke uraufgeführt werden. Er ist in der Schwulenszene unterwegs, verkehrt in der SM- und Leder-Szene, er hat Kontakt mit Drogensüchtigen, mit Alkoholabhängigen, wird selbst abhängig. Ein Prozess, der sich über 12, 13 Jahre hinzieht.

Lebensmotto ausformuliert

Er hatte schon früh sein Lebensprogramm so formuliert: "Was ich erreichen möchte, ist, das, was ich bin, voll und ganz zu sein: Voll und ganz ein Schwarzer, voll und ganz ein Musiker, voll und ganz ein Homosexueller." Und tatsächlich gehörte zum Auftreten Julius Eastmans das Spiel mit den Geschlechterrollen, ein für die Zeit durchaus ungewöhnliches Maß an "gender fluidity".

Lebensmotto gelebt

Ei berühmteste Beispiel ist der "Song-Books-Skandal" des Jahres 1975. Es ging um eine Aufführung der "Song Books" von John Cage. Das ist kein Liederbuch im traditionellen Sinne, sondern besteht aus Instruktionen und zwei Bänden von "Solos for Voice". Das musikalische Material der Solos wird mit den Instruktionen aufgrund von Zufallsoperationen verknüpft, mit den daraus sich ergebenden Gestaltungsmöglichkeiten kann der Interpret frei agieren.
Die Anweisung, die Eastman bekam, lautete: "Do a disciplined act" - "Vollführe eine disziplinierte Aktion". Eastman machte daraus einen pseudo-akademischen Vortrag über "Ein neues System der Liebe", bei dem er deutlich auf das Thema Homosexualität anspielte, und dabei einen jungen Mann aus dem Publikum vollständig entkleidete. Cage, der an eine solche Möglichkeit nie gedacht hatte, war wütend -  so wütend, so wird berichtet, wie man ihn selten gesehen hatte: Er verstand die Aktion ganz richtig als eine Anspielung auf seine eigene Homosexualität, die er aber nicht offen lebte. Julius Eastman hatte also Cages eigenes Stück benutzt, um ihn zu outen.

Bodenlose letzte Lebensphase

Die letzten Lebensmonate des Julius Eastman liegen im Dunkeln: Klar ist nur, daß er in seinem letzten Wohnquartier wegen ausbleibender Mietzahlungen zwangsgeräumt wurde. Eastman war nicht zugegen, der Sheriff beförderte seine Kompositionen in den Müll.
Gerüchteweise hörte man schließlich, er campiere im Park bei den Obdachlosen. Zuletzt kehrte er nach Buffalo zurück, wo er am 28. Mai 1990, 49jährig, an einem Herzstillstand starb.