Das Sommerhaus der Familie Mendelssohn lag an der Elbe. Vor allem Fanny Mendelssohn hat als kleines Mädchen hier viel Zeit verbracht. Dieses luftige Lebensgefühl der Hamburger Jahre fängt das Fanny und Felix Mendelssohn Museum ein. Wenn man sich am Ende der Barock-Abteilungen im KomponistenQuartier der Ausstellung über die Geschwister nähert, leuchten einem himmelblaue Wände entgegen. Der Blick geht über eine weiß gestrichene Gartenpforte hinweg zu einer Wand voller Bilder: Um zwei Porträtzeichnungen der Geschwister versammeln sich viele kleinere Porträts. Ein Touchpad liefert die nötigen Informationen, um diese Collage zu verstehen.
"Es geht um den Kosmos, um den geistigen Kosmos, in dem die Kinder groß geworden sind."
Beatrix Borchard, Musikwissenschaftlerin und erste Vorsitzende der Fanny und Felix Mendelssohn Gesellschaft Hamburg.
"Da gehört nicht nur die Familie dazu. Wir haben nicht sortiert: ‚hier Lehrende, hier Familie, da Bach und Beethoven’. Die Eltern haben sie unterrichtet, waren auch Lehrende. Oder es gibt geistige Orientierungspunkte wie Goethe oder natürlich Beethoven und Bach."
Im November 1805 erblickte Fanny Mendelssohn in Hamburg das Licht der Welt, im Februar 1809 ihr Bruder Felix. Bald darauf, 1811, wählt die Familie Berlin als ihren Wohnort.
Sommerhaus-Atmosphäre für den Mendelssohn-Kosmos
Die Hamburger Zeit begreift Beatrix Borchard als Nährboden für diese überragend musikalisch begabten Kinder, wobei beide sich im Dialog miteinander entwickeln. Das zu zeigen, darin sieht sie die Hauptaufgabe der neuen Ausstellung – auch weil es in den Mendelssohn-Häusern in Berlin und Leipzig nicht passiere. Nach Borchards Ansicht soll die wissenschaftlich fundierte Schau vermitteln:
"Dass der Namen Mendelssohn nicht für eine Person und einen Helden steht, sondern für ein System, für einen Kosmos und für unglaublich viel Dialog. Weil ich bin wirklich gegen Heldengedenkstätten. Die Zeiten sind längst vorbei."
Ein Hammerklavier steht gleich am Beginn der Ausstellung – als Symbol für die Musik, die das Miteinander der Geschwister Mendelssohn so prägte.
"Es gibt zum Beispiel auch Briefe, wo dann Felix nicht mehr weiß, wie er weiter schreiben soll und er notiert Noten."
Dass Fanny und Felix Mendelssohn in einer jüdischen Familie wurzeln, unterstreicht eine Komposition von Katia Tchemberdji. Sie hat Musik auf Zeilen eines jüdischen Chanukka-Liedes geschrieben. Ein Bewegungsmelder startet die Aufnahme, wenn man den Gang betritt, der einen zum Fanny und Felix Mendelssohn Museum führt; beim Pressetermin vergangene Woche war diese Klanginstallation noch nicht fertig. Überhaupt besaß vor allem das neue Gustav Mahler Museum noch viel Baustellen-Flair: hier Farbtöpfe, dort ein Handwerker und noch einige Wände zu streichen. Der Nachbau eines der Mahlerschen Komponierhäuschen: nicht fertig; Vitrinen, Hörstationen und Touchpads: nicht fertig. Am weitesten gediehen war der erste Raum zu Mahlers Hamburger Zeit. Von 1891 bis 1897 wirkte er in der Hansestadt als Chefdirigent an der Oper. Und er hat hier das Fahrradfahren für sich entdeckt auf einem damals brandneuen Velociped, erzählt Kuratorin Rita Strate.
"Ein Nachbar, der hat so eins gehabt, der hat ihn dafür begeistert und ihn beraten beim Kauf. So ist er von seiner Wohnung zum Stadttheater gefahren und war schnell unterwegs."
Die Klingel funktioniert gut am historischen schwarzen Fahrrad von 1895, das mit Korkgriffen und ölbetriebener Lampe in der Ausstellung ein echter Hingucker ist. Es steht vor einer Litfaßsäule mit Reproduktionen von Plakaten zeitgenössischer Konzerte, die Gustav Mahler dirigiert hat.
Gustav Mahler, der rasante Radfahrer
In der Hansestadt komponierte er einen Teil seiner Wunderhorn-Lieder, außerdem die dritte Sinfonie und die zweite. Zu dieser sogenannten Auferstehungssinfonie inspirierte ihn eine Trauerfeier im Hamburger Michel. Auch das alles beleuchtet die neue Ausstellung. Ebenso wie die Orte der Hansestadt, wo Mahler anzutreffen war. Kuratorin Rita Strate zeigt auf einen historischen Stadtplan an der Wand. Es gehe darum:
"Die Orte kennenzulernen, an denen er gewirkt hat. Das Hamburger Stadttheater, das Altonaer Stadtheater, der Convent-Garten – so Orte, die einem heute gar nichts mehr sagen. Aber auch die Laeiszhalle, die damals gerade neu gebaut wurde, wo er nach seiner Hamburger Zeit noch mal dirigiert hat."
Wie in anderen Ausstellungen des KomponistenQuartiers findet sich auch im Gustav Mahler Museum ein typisches Tasteninstrument der Zeit: Ein Welte-Mignon-Klavier spielt automatisch Musiken, die Mahler selbst so interpretiert hat.
Ligeti, Schnittke, Gubaidulina ante portas
Heute wird der zweite Bauabschnitt des Komponistenquartiers nun eröffnet, ein Jahr später als geplant und finanziert sowohl federführend von der Carl-Toepfer-Stiftung als auch von zahlreichen anderen Stiftungen und Sponsoren. Auf gut 300 Quadratmetern und mit überschaubaren Finanzmitteln möchten die verschiedenen Komponistengesellschaften, koordiniert von einem Dachverein, Hamburger Musikgeschichte lebendig werden lassen – wenn auch mit wenig originalen Ausstellungsstücken, dafür mit vielen Ideen. Man spürt das liebevolle Engagement, zugleich aber ahnt man auch, wie mühsam dieser zu großen Teilen ehrenamtliche Prozess ist. Etwa wenn es darum geht, noch mehr Werbung zu machen im Schatten insbesondere der Elbphilharmonie.
"Auf uns wartet keiner. Wir müssen zulangen. Wir müssen proaktiv werden, sonst funktioniert es nicht."
So Ingeborg Steifensand, die erste Vorsitzende des Vereins KomponistenQuartier Hamburg. Der zweite Bauabschnitt ist gerade fertig, und sie blickt schon weiter nach vorn – inspiriert durch einen möglichen Kooperationspartner.
"Also der Sikorski Verlag ist jetzt zum Beispiel eine ganz spannende Sache, weil wir die Musikgeschichte von Hamburg über Mahler hinaus spielen wollen. Also Schnittke, Ligeti und Frau Gubaidulina stehen ante portas. Sikorski hat uns schon alle Türen geöffnet, noch nicht die finanzielle Tür. Aber mit deren Verbindung und Zeitzeugen. Darüber werden wir interessante Veranstaltungen, nicht gleich eine Erweiterung des Museums, aber eben interessante Veranstaltungen für diese Komponisten schaffen."
Die Resonanz macht den Machern des KomponistenQuartiers Hamburg Mut. Seit Eröffnung im März 2015 sind die Besucherzahlen stetig gestiegen – zuletzt um 25 Prozent auf 12.500 Besucher im Jahr. Wir sind eine "Schatzkiste", sagt Ingeborg Steifensand. Eine gute Schatzkarte wird nach wie vor gebraucht.