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Kompromiss zwischen Serbien und Kosovo "ist einfach nicht denkbar"

Im Streit zwischen Serbien und Kosovo könne im Augenblick weder auf militärischem noch auf diplomatischem Wege eine dauernde Beruhigung herbeigeführt werden, sagt Balkan-Experte Jens Reuter. Er rechne aber nicht damit, dass der Konflikt weiter eskalieren werde.

Jens Reuter im Gespräch mit Martin Zagatta |
    Martin Zagatta: Ein Aktuelle Lage im Grenzkonflikt zwischen Serbien und Kosovo (MP3-Audio) Bericht von Ralf Borchard, und wir haben den Balkan-Experten und Buchautor Jens Reuter erreicht, um ihn zu fragen, wie er sich diesen Gewaltausbruch erklärt, ob der abzusehen war oder auch für ihn überraschend gekommen ist.

    Jens Reuter: Ja, es ist eine Mischung eigentlich aus wirtschaftlichen und politischen Gründen. Auf der wirtschaftlichen Seite geht es um die Anerkennung der Kosovo-Zollstempel, die also die serbische Seite nicht anerkennen möchte, und dadurch können Waren aus dem Kosovo nicht nach Serbien gelangen. Das ist natürlich also ein schwerer Schlag, und darauf hat die kosovarische Regierung reagiert mit einem Importverbot für serbische Waren, daran hat sich das so ein bisschen hochgeschaukelt. Und jetzt ist es aber auch also zu wirklich schwerwiegenden Auseinandersetzungen gekommen, zum Niederbrennen einer Grenzstation und zu tätlichen Angriffen, und selbstverständlich – wenn so etwas passiert, dann fürchtet man immer, das könnte also sozusagen die Initialzündung für größere gewaltsame Auseinandersetzungen sein. Und deswegen ist es vielleicht eine richtige Entscheidung, wenn der UN-Sicherheitsrat sich gleich von Anfang an damit beschäftigt, weil man weiß: Das ist hier ein Minenfeld, es gibt hier eben Konflikte, die absolut ungelöst sind, und man weiß nie genau, was sich daraus ergeben kann.

    Zagatta: Was erwarten Sie sich da von dem Sicherheitsrat? Weil mehr als Appelle werden da ja nicht herauskommen.

    Reuter: Nein, es wird auf jeden Fall der UN-Sicherheitsrat vermeiden, also jetzt eine Seite einseitig schuldig zu sprechen. Auf der anderen Seite ist eben auch vollkommen klar, dass eine Reaktion des UN-Sicherheitsrats eben auch der internationalen Truppe KFOR gegebenenfalls also eine Handhabe gibt, im Namen des Sicherheitsrats einzugreifen, wenn das nötig sein sollte.

    Zagatta: Aber damit wird das grundsätzliche Problem ja auch nicht gelöst: Also jetzt beschuldigen sich beide Seiten gegenseitig. Von wem geht dieser Gewaltausbruch, diese Provokation unter Umständen – das wirft man sich da gegenseitig vor –, von wem geht das Ihrer Meinung nach aus?

    Reuter: Also ich denke, dass beide Seiten daran beteiligt sind. Die serbische Seite will also nicht akzeptieren, dass der Nordteil vom Kosovo, der ja mehrheitlich serbisch besiedelt ist, dass der tatsächlich unter der Jurisdiktion von Pristina, das heißt also unter albanischer Herrschaft, stehen soll. Das ist also ein altes Problem. Und umgekehrt: Die Regierung in Pristina, die ist natürlich bedrückt und sehr unzufrieden mit der Lage, dass sie nicht die ganze Provinz, die sie ja beansprucht, regieren kann – und daran entzünden sich immer wieder Konflikte, wechselseitige Beschuldigungen. Und hier haben maskierte Leute diese Gewalttaten verübt, man kann also gar nicht genau sagen, wer dahintersteckt.

    Zagatta: Aber die Rechtslage ist doch eindeutig: Das Kosovo ist unabhängig.

    Reuter: Das Kosovo ist unabhängig, aber das wird ja nach wie vor von Serbien nicht anerkannt, und es steht auch in der serbischen Verfassung, dass Kosovo also ein Teil Serbiens ist, und die serbische Regierung hat sich nur unter massivem Druck von Brüssel und auch von Washington letztendlich dazu bereit erklärt, de facto Kosovo anzuerkennen, de jure aber überhaupt nicht.

    Zagatta: Jetzt stehen ja demnächst Beitrittsverhandlungen vielleicht schon an, also Serbien hat mit der Verhaftung von Kriegsverbrechern den Weg zumindest freigemacht für eine mögliche Aufnahme. Wird das ein Hindernis werden?

    Reuter: Also ich denke eigentlich nicht, dass das ein Hindernis werden wird, denn jetzt wird natürlich wieder Brüssel Druck ausüben, auch Washington wird Druck ausüben auf die serbische Regierung und sagen: Wenn ihr das Problem nicht auf ganz kleiner Flamme haltet, dann ist ein Beitritt also zur Europäischen Union illusorisch.

    Zagatta: Wie könnte ein Kompromiss aussehen, ist der überhaupt möglich?

    Reuter: Also ich glaube, ein Kompromiss ist einfach nicht denkbar. Ich denke, man wird es wahrscheinlich so machen, wie man schon oft in Kosovo Probleme, in Anführungszeichen, gelöst hat – indem man einfach alles so lässt, wie es ist, und versucht, also die schlafenden Hunde, die man ja einmal geweckt hat, wieder zur Ruhe zu bringen.

    Zagatta: Und was heißt das aus Ihrer Sicht für die Zukunft?

    Reuter: Na ja, das heißt: Da ist also ein unterirdisch schwelender Konflikt, an dem sich jederzeit also Gewalt entzünden kann, und im Augenblick gibt es keine Möglichkeit, dort also wirklich eine dauernde Beruhigung herbeizuführen. Auch auf militärischem Wege geht das nicht.

    Zagatta: Also Sie sind da ziemlich pessimistisch?

    Reuter: Ja, aber ich glaube auch nicht, dass sich daran nun also ein großer Konflikt entzündet. Also ich meine, dieser Konflikt, der wird so bleiben auf absehbare Zeit, der wird sich nicht beruhigen lassen, er wird aber aller Wahrscheinlichkeit nach nicht aufflammen und irgendwie also größere Konsequenzen haben.

    Zagatta: Das heißt aber, die Friedenstruppen müssen da auf sehr, sehr lange Zeit wahrscheinlich dort bleiben?

    Reuter: Ja, darauf sind wir auch eingestellt. Die Amerikaner haben ihre Präsenz ja ein bisschen reduziert, dafür haben aber die anderen also ihre Truppen nur geringfügig reduziert, und man ist sich eigentlich darüber im Klaren: Also ohne diese internationalen Truppen geht nichts.

    Zagatta: Der Balkan-Experte und Buchautor Jens Reuter, den wir kurz vor der Sendung erreicht haben.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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