Streiten und einigen
Was macht einen guten Kompromiss aus?

Ob Kohleausstieg oder Migration – lange hat die Politik darüber gestritten, bis sie schließlich zu gemeinsamen Lösungen kam. Notwendig dafür waren Kompromisse. Wie erreicht man Kompromisse und warum sind sie wichtig für unsere Demokratie?

25.05.2024
    Grafik: Eine Person trennt streitende Personen.
    Wer sich streitet, wird selten um einen Kompromiss herumkommen - wenn man sich denn einigen möchte. (imago / Ikon Images / Gary Waters)
    Ob in der Familie oder in der Politik: Kompromisse sind unumgänglich. Gerade auch für den Erhalt der Demokratie ist es notwendig, immer wieder Kompromisse einzugehen. Ohne sie geht es nicht. Jede Seite muss bereit sein, Zugeständnisse zu machen, um zu einer Entscheidung zu kommen, die von möglichst vielen Beteiligten mitgetragen und akzeptiert wird. Streiten und sich einigen - das ist aber längst nicht immer der Fall. Was zeichnet einen guten Kompromiss aus und wie erlangt man ihn?

    Inhalt

    Warum sind Kompromisse nötig?

    Vor dem Kompromiss steht der Konflikt und der gehöre zum Menschsein dazu, sagt Gernot Barth, Professor für Konfliktmanagement und Mediation an der Steinbeis-Hochschule Berlin. Differenzen würden aber oft nicht angesprochen oder nicht ausgehalten. Auf diese Weise könne eine Situation eskalieren: „Dann wird der andere zum Feind, weil er anders denkt als ich.“
    Kompromisse können dabei helfen, Lösungen für diese Konflikte zu finden. „Erst einmal zuhören, was die anderen sagen, und nicht gleich konfrontativ antworten", rät Barth: "Einfach mal die Meinungen der anderen aushalten.“ Bestenfalls komme ein guter Kompromiss dabei heraus und jeder bekomme, was er oder sie brauche.
    Für den Philosophen Andreas Weber, der das Buch „Warum Kompromisse schließen“ geschrieben hat, sind Kompromisse sogar „lebensförderlich“ - denn ganz im Sinne von Hannah Arendt müsse man in Beziehungen immer irgendwie einen Weg finden, um miteinander klarzukommen. Es habe aber auch „kompromisslose Schreckensgestalten“ in der deutschen Geschichte gegeben.

    Was ist ein Kompromiss überhaupt?

    Wenn man theoretisch an die Thematik herangehe, seien Kompromisse "eine Technik der Regelung sozialer Konflikte“, erklärt Veronique Zanetti, Professorin für politische Philosophie an der Universität Bielefeld, die das Buch „Spielarten des Kompromisses“ geschrieben hat. Kompromisse seien ein „Verhandlungsinstrument“, die letzte Zuflucht, wenn Beteiligte sich trotz des Austauschs von Argumenten und aller Bemühungen nicht einigen könnten.
    Das Besondere an einem Kompromiss sei, dass jede Person bei der jeweiligen Ausgangsüberzeugung bleibe. Die Beteiligten befänden sich in einer Form von "kognitiver Dissonanz", sagt die Philosophin: Sie stimmten einer Sache zu, die sie für nicht ganz richtig oder zumindest nicht wünschenswert hielten.

    Wie erlangt man einen guten Kompromiss?

    Bei der klassischen Form des Kompromisses träfen sich die Beteiligten in der Mitte, sagt Veronique Zanetti. Gerade bei moralischen Fragen sei es aber schwer, diese „Mitte“ festzustellen. „Bei dieser Metapher geht man davon aus, dass alle mehr oder weniger gleich viele Zugeständnisse machen." Eine Form des Kompromisses könne auch ein „Tauschhandel“ sein. „Dieses Mal sind Sie mit ihrem Wunsch dran, morgen bin ich dran.“
    Wichtig sei immer, so Zanetti, dass alle Beteiligten während des Aushandlungsprozesses das Gefühl hätten, dass alles fair verlaufe, keiner betrogen werde oder keine Information absichtlich vorenthalten werde. So sei ein guter Kompromiss einer, der gelinge und verschiedene Parteien um einen Tisch zusammenbringe. „Ein Kompromiss ist nicht nur ein Ergebnis, sondern es ist auch eine Prozedur. Und Prozeduren sind dann fair, wenn jede Partei die gleiche Chance hat, ihr Interesse geltend zu lassen.“

    Beispiele für gelungene politische Kompromisse

    Als politischer Erfolg galt zum Beispiel der sogenannte Kohlekompromiss 2018/2019, der den Ausstieg aus dem Braunkohleabbau in Ost- und Westdeutschland bis 2038 festlegte und somit zur CO2-Minderung beitragen sollte.
    Eine Studie des Forschungsinstituts für Nachhaltigkeit in Potsdam zeigt allerdings, dass sich Teile der Bevölkerung sowohl im Rheinischen Revier in Nordrhein-Westfalen als auch in der ostdeutschen Lausitz bei diesem Kompromiss nicht mitgenommen fühlen. So wird von Akteuren in den Regionen die Notwendigkeit einer Energiewende zwar grundsätzlich nicht angezweifelt, aber den Prozess der Entscheidungsfindung empfinden sie als intransparent und ungerecht.
    Auch der Migrationskompromiss auf europäischer Ebene 2023 wurde in der Politik als Erfolg gewertet. Eine Studie der Universität Mannheim hat aber auch bei diesem Thema festgestellt, dass Bürger und Bürgerinnen diese Lösung nicht per se als Erfolg empfinden. Denn ob Menschen Einwanderung nach Deutschland befürworten, hängt laut der Studie neben der konkreten Einwanderungsanzahl von zwei weiteren Faktoren ab: den Einreisekriterien, also wer überhaupt kommen darf, und welche Teilhaberechte Migranten und Migrantinnen dann in Deutschland erhalten.
    Demnach sind mit „40-prozentiger Wahrscheinlichkeit“ Kritikerinnen und Kritiker von Migration für eine höhere Anzahl zugewanderter Personen, wenn die Einreisekriterien verschärft würden. Unter Befürwortern von Migration könne sich wiederum jede dritte Person eine restriktivere Migrationspolitik vorstellen, wenn dafür im Gegenzug Teilhaberechte, wie der Zugang zu Sozialleistungen, großzügiger bemessen würden.
    Man sei also bereit, aufeinander zuzugehen, wenn sich der Kontext ändere, sagt Marc Helbling, der die Studie mit geleitet hat.

    Kompromisse sind notwendig für eine Demokratie

    Was hat das alles nun mit unserer Demokratie zu tun, in der Partizipation nicht nur gewollt, sondern notwendig ist?
    Laut dem Politikwissenschaftler Jörg Radtke, der an der Akzeptanzstudie zum Kohleausstieg in der Lausitz mitgeforscht hat, sind Menschen mit einem Kompromiss zufriedener, wenn sie bei einem fairen und transparenten Entscheidungsprozess mitgenommen werden - selbst dann, wenn sie mit dem Endergebnis gar nicht einverstanden sind.
    Im Rahmen des Kohlekompromisses ist das jedoch zu wenig beachtet worden. Das ist für Dagmar Schmidt vom Verein Lausitzer Perspektiven, der den Strukturwandel mit begleitet, eine Erklärung für den Aufstieg von Rechtspopulisten.
    Die Philosophin Veronique Zanetti erklärt ergänzend dazu: Wenn ein Strukturwandel wie in den Kohleregionen der lokalen Bevölkerung so schnell von der Politik „aufoktroyiert“, also aufgezwungen werde, ohne den Betroffenen richtig zuzuhören, werde diese Entscheidung als Verlust bis hin zum Verrat erlebt.
    Eine lebendige Demokratie müsse ihre Bürgerinnen und Bürger aber ernstnehmen. Das bedeute auch, dass sie sie nicht bevormunde. Sie müsse ihnen vertrauen, dass sie sich informieren und eine verantwortungsvolle Entscheidung treffen könnten. „Dazu bedarf es allerdings einer ehrlichen und ausführlichen Informationspolitik. Nur so kann Vertrauen zwischen den Bürger:innen und der Politik aufgebaut werden.“
    Aber gerade dieses Zuhören und das Anerkennen unterschiedlicher Perspektiven fällt vielen Menschen immer schwerer oder wird von manchen auch gar nicht mehr gewollt, wie Angriffe auf Aktivisten, Minderheiten, aber auch auf Politiker wie den Europaabgeordneten Matthias Ecke (SPD) in Dresden oder Berlins Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (ebenfalls SPD) zeigen.
    Damit auch weiterhin ein friedliches Zusammenleben in unserer demokratischen Gesellschaft möglich ist, brauchen wir Kompromisse, so der Politikwissenschaftler Uwe Jun: „Wir leben in einer Demokratie, und in einer Demokratie, die plural ist, ist der Kompromiss notwendig – er ist konstitutiv für die Demokratie.“

    jde