Ungewöhnliche Maßnahmen vor dem Senatssaal der Humboldtuniversität zu Berlin: Jacken und Taschen müssen abgegeben werden. Niemand, der sich vorher nicht angemeldet hat, darf den Saal betreten. Strenge Personenkontrollen finden statt. Dabei findet die Diskussion "Die Zukunft der Turkish Studies – Zwischen internationaler Kooperation und Ausnahmezustand" im Rahmen einer öffentlichen Konferenz statt – organisiert von der Humboldtuniversität und der Stiftung Mercator. Deren Sprecherin, Anna Dieterle, begründet die Sicherheitsmaßnahmen mit nur einem Satz. Mehr gebe es dazu nicht zu sagen.
"Es gab im Vorfeld der Veranstaltung angekündigte Proteste in so einem Ausmaß, dass wir den Eindruck hatten, dass es sinnvoll ist, dieses Sicherheitskonzept so aufzusetzen, um einfach die Sicherheit aller Beteiligten zu gewährleisten."
YÖK ist mitverantwortlich für die Entlassung türkischer Akademiker
Die Vorkehrungen gehen so weit, dass im Saal keine Ton- und Bildaufnahmen gemacht werden dürfen. Im Fokus der Sicherheitsleute steht die türkische Professorin Beril Dedeoğlu. Sie ist Mitglied des türkischen Hochschulrates YÖK, einer Behörde, die die Interessen des türkischen Staates in Forschung und Lehre kontrolliert – sie redet bei der Einstellung von Lehrpersonal ebenso mit wie bei den Hausarbeitsthemen der Studierenden.
YÖK ist aber auch mitverantwortlich für die Entlassung der Akademiker nach dem Putschversuch Mitte Juli. Auch gab dieser Hochschulrat den Sicherheitsbehörden die Liste der 1.000 Akademiker, die Anfang dieses Jahres die Regierung mit einer Petition zu Friedensverhandlungen mit den Kurden aufgerufen hatten. Alle Unterzeichner wurden entlassen. Das komme in der Türkei einem Berufsverbot gleich, sagte Kader Konuk, Direktorin des Instituts für Turkistik an der Universität Duisburg-Essen; sie saß mit auf dem Podium.
"Und darüber sind wir uns hier in Deutschland nicht bewusst, dass es eigentlich um eine Gleichschaltung der türkischen Universitäten geht, in der keine Kritik der Regierung mehr geduldet wird und wo keine fairen Verfahren mehr vor Gericht gehalten werden, damit die Kolleginnen und Kollegen in der Türkei wieder ihre Lehre und Forschung aufnehmen können."
Der türkische Staat versuche, auch im Ausland ihm unliebsame Themen in den Universitäten zu verhindern, sagte Kader Konuk. Besonders wenn es um Antisemitismus und den Völkermord an den Armeniern gehe, bekomme sie unerwünschten Besuch.
"Diese Besuche von Botschaftsangehörigen und Konsulatsangehörigen sind manchmal Störbesuche, Kontrollbesuche, manchmal werde ich der Lüge bezichtigt. Das heißt, ich habe auf persönlicher Ebene in den letzten 15 Jahren schon mehrmals erlebt, wie man versucht, uns einzuschüchtern, diejenigen, die kritische Türkeiforschung betreiben."
Austauschprogramm Erasmus soll weitergeführt werden
Die Vertreterin des türkischen Hochschulrates entgegnete der Kritik, kritische Wissenschaftler im Sinne des autoritären Staates aus dem Lehrbetrieb zu entfernen, sie sei selbst machtlos. Für ein Interview stand sie nach der Diskussion nicht zur Verfügung; sie wurde von vier Personenschützern aus dem Raum begleitet.
Die deutschen Hochschulen befinden sich zwar in einem Dilemma. Aber trotz aller Schwierigkeiten werde an dem Austauschprogramm Erasmus festgehalten. Auch müsse die Zusammenarbeit mit türkischen Universitäten fortgeführt werden, sagte Yasemin Karakaşoğlu, Konrektorin der Universität Bremen und Vorstandsmitglied des Deutschen Akademischen Austauschdienstes DAAD.
"Und auch als Solidarität gegenüber den türkischen Kolleginnen und Kollegen fordern wir alle - auch im DAAD - alle Kollegen auf, ihre Kontakte zu pflegen. Problematisch wird es da, wo wir nicht wissen, wem stehen wir gegenüber auf der Ebene der Hochschulleitung und wer in der Verwaltung ist wirklich fachlich in der Lage und zuständig, die Programme so fortzusetzen, wie wir es bislang gewöhnt waren. Das ist ein ganz großes Problem derzeit."