"Vor Antisemitismus ist man nur auf dem Mond sicher", schrieb Hannah Ahrendt 1941 im amerikanischen Exil. Dieser Satz ist heute wieder aktueller denn je. Überall in Europa ist die Zahl antisemitischer Übergriffe stark angestiegen - und zwar nicht nur in Gestalt der jüngsten Terrorangriffe gegen jüdische Ziele in Paris, Brüssel oder Kopenhagen.
Für Petra Pau ist Antisemitismus in Deutschland und Europa ein permanentes und komplexes Problem. Die Bundestags-Vizepräsidentin und Abgeordnete der Linken ist Mitglied der Interparlamentarischen Koalition zur Bekämpfung von Antisemitismus und Gastgeberin für drei Tage. 140 Abgeordnete aus 40 Ländern sind zu einer Konferenz nach Berlin gekommen.
"Uns eint die Überzeugung, auch wenn Antisemitismus sich vordergründig gegen Jüdinnen und Juden richtet: Antisemitismus ist stets ein tödliches Gift für jede humanistische und demokratische Gesellschaft und also gegen uns alle."
Merkel: Judenhass darf nicht toleriert werden
Die Hemmschwelle für antisemitische Hassreden und Übergriffe sinkt - das berichteten fast übereinstimmend Teilnehmer der Konferenz aus ihren Ländern. Die Attacken werden vielfach befördert und erleichtert durch die Anonymität des Internets. Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte, dass Judenhass auf keiner Ebene toleriert werden dürfe.
"Antisemitismus zeigt sich in verschiedenen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Er äußert sich in Vorurteilen, entlädt sich in verbalen Attacken und mündet häufig in Gewalt. Wir dürfen uns niemals damit abfinden, sondern müssen deutlich machen, wenn Grabsteine auf jüdischen Friedhöfen geschändet werden, dann wird unsere Kultur geschändet."
Viele Parteien haben Antisemitismus im Gepäck
Juden in Europa fühlten sich derzeit aus zwei verschiedenen Gründen stark verunsichert - durch den Rechtsruck in vielen europäischen Ländern, den großen Zuspruch, den rechtspopulistische Parteien erfahren - seit dem gestrigen Wahlsonntag ist dieser Trend auch in Deutschlands Parlamenten angekommen. Viele dieser Parteien haben auch Antisemitismus im Gepäck. SPD-Fraktionsvorsitzender Thomas Oppermann äußerte sich besorgt angesichts neuer Formen des Antisemitismus in Deutschland.
"Die Hälfte der Deutschen möchte gerne einen Schlussstrich unter die Debatte über die Shoa ziehen. Und jeder fünfte Deutsche hat eine prinzipiell judenfeindliche Einstellung. Das ist ein Zustand, mit dem dürfen wir uns nicht abfinden."
Angst vor importierter Judenfeindlichkeit
Auf der anderen Seite herrscht in den jüdischen Gemeinden Angst vor importierter Judenfeindlichkeit durch muslimische Flüchtlinge - darunter viele, in deren Heimat Antisemitismus und Israelhass weit verbreitet sind oder gar zur Staatsdoktrin gehören. Bundeskanzlerin Angela Merkel fand bei ihrem Konferenzbesuch klare Worte in Richtung der Zuwanderer:
"Jedem, der in Deutschland lebt, ob als Alteingesessener oder als neu Hinzugekommener, muss klar sein, dass Antisemitismus und Vorurteile gegenüber anderen Menschen bei uns keinen Platz haben dürfen. Jedem muss klar sein, dass jeder Versuch, unsere grundgesetzlich verbürgte Glaubens- und Religionsfreiheit oder die Gleichbehandlung von Mann und Frau infrage zu stellen, das freiheitliche Gemeinwesen unseres Landes insgesamt infrage stellt und von uns nicht toleriert werden wird."
Was aber tun gegen wachsende Intoleranz und Hassparolen? Es brauche international abgestimmte Gesetze und eine klare öffentliche Ächtung, betonte der italienische Justizminister Andrea Orlando. Das "Netzwerk zur Erforschung und Bekämpfung des Antisemitismus" forderte, dass die Themen Judenhass, der Holocaust und die besonderen Beziehungen Deutschlands zu Israel schon in die Integrations- und Sprachkurse für Flüchtlinge integriert werden müssten. Außerdem solle ein Antisemitismusbeauftragter im Bundeskanzleramt eingesetzt werden, der Maßnahmen und Programme der verschiedenen Ministerien koordinieren und mit der Zivilgesellschaft vernetzen solle.