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Konferenz in Kiew
Ukraine-Expertin: Krim muss dauerhaft auf die internationale Agenda

Susan Stewart von der Stiftung Wissenschaft und Politik begrüßt es, dass die Ukraine der von Russland annektierten Krim mit einer Konferenz zu mehr Aufmerksamkeit verhelfen will. Zugleich kritisiert sie, dass Präsident Selensky kaum strategische Linien erkennen ließe und zu sehr auf „schnelle Ergebnisse“ fokussiert sei.

Susan Stewart im Gespräch mit Thielko Grieß |
Die Brücke bei Kertsch verbindet die Halbinsel Krim mit Russland.
Die unter Protest der Ukraine und internationalen Weltgemeinschaft gebaute Krim-Brücke zwischen dem Ort Kertsch auf der Halbinsel Krim und dem russischen Kernland. (picture alliance / Ulf Mauder)
Die Erfahrung zeige, dass in der Ukraine oft sehr viel Wert auf "eine große Sache" wie die aktuelle Krim-Konferenz gelegt werde – "aber dann werden die Schritte, die darauf folgen sollten, vernachlässigt", sagte Susan Stewart im Deutschlandfunk.
Mit dem alleinigen Start der "Krim-Plattform" genannten Konferenz sei es nicht getan, erläuterte die Slawistin und Soziologin Stewart. Stattdessen müssten fortan regelmäßige Treffen stattfinden und Informationen fließen, die alle internationalen Akteure einbezögen.
Im Jahr 2014 hatte Russland die Halbinsel Krim nach einer militärischen Invasion in sein Staatsgebiet eingegliedert. Unterstützt wird die Ukraine heute von mehr als 40 Ländern wie den USA, Großbritannien und vielen EU-Mitgliedsstaaten, die zum Abschluss des Treffens eine gemeinsame Erklärung unterzeichnen wollen.
Eine Karte zeigt die Lage der Krim.
Die Lage der Krim zwischen der Ukraine und Russland ( picture alliance/dpa/dpa Grafik | dpa-infografik GmbH)
"Es geht darum, dass die Krim einen Platz auf der internationalen Agenda findet und immer wieder zur Sprache gebracht wird – und nicht nur im Sinne von ‚wir erkennen nicht an, dass Russland die Krim annektiert hat’, sondern in Bezug auf die konkreten Probleme, die für die Ukraine, für die europäische Sicherheit, für die Sicherheit im Schwarzen Meer dadurch entstehen", sagte Stewart.
Wunschziel Wiedervereinigung
Die Debatte über die russische Annexion der Krim im Jahr 2014 ist teilweise ins Stocken geraten. Mit einem neuen Format will die Ukraine die Krim-Frage aber wieder weltweit in den Fokus rücken. Das Ziel: die Wiedereingliederung der Halbinsel.
Sieben Jahre nach der Annexion könne beobachtet werden, dass auf der Krim allmählich die gleichen Probleme auftauchten wie in Teilen Russlands: beispielsweise das Ignorieren von Umweltproblemen sowie eine schlechte Menschenrechtslage.
Mit Blick auf die ukrainische Staatsführung sagte Stewart, dass Präsident Selensky kaum strategische Linien erkennen ließe. Vielmehr versuche er, schnelle Ergebnisse zu erreichen, die aber wenig nachhaltig seien, kritisierte Stewart.

Das Interview im Wortlaut:
Thielko Grieß: Russland wurde ja von der Ukraine auch eingeladen zu dieser Konferenz. Die Absage kam natürlich postwendend aus Moskau. Russland hält das Bemühen der Ukraine seinerseits für illegitim, die Krim wiederzubekommen. Ist diese Krim-Plattform überhaupt eine sinnvolle Veranstaltung?
Susan Stewart: Ich denke schon, dass es sinnvoll ist zu zeigen, wir brauchen mehr Aufmerksamkeit auf die Krim, auf die Militarisierung, auf die eben eingegangen worden ist, auf die Umweltprobleme, auf die Lage im Schwarzen Meer, die leiert ist mit der Frage der Krim. Das alles ist sehr, sehr wichtig und wenn die Ukraine es schafft, nicht nur heute eine Konferenz abzuhalten, sondern auch permanent praktisch die Partner zu versorgen mit Informationen über die Lage auf der Krim, das wäre von Vorteil.
Was mich etwas stört ist erstens: Ich bin nicht sicher, dass die Ressourcen dafür tatsächlich vorhanden sind, um das weiterzuführen nach der heutigen Konferenz. Und zweitens: Ich denke, die Ukraine muss jetzt tatsächlich den Schwerpunkt auf die Reformprozesse noch stärker legen, als sie bislang das getan hat.
Kommentar: Merkel und die Ukraine - Eine zerbrechliche Freundschaft
Die deutsche Bundeskanzlerin stand wie ein Fels an der Seite der Ukraine als Russland die Krim annektieren ließ, kommentiert Sabine Adler. Doch mit Nord Stream 2 habe Merkel der Ukraine geschadet.
Grieß: Teilen wir diese beiden Punkte kurz noch einmal auf. Aufmerksamkeit erregen für die Krim-Frage. Nachfrage von mir: Bei wem? Bei den Ukrainern selber oder bei Politikern in Berlin (Frau Merkel, nehme ich an, braucht man diese Aufmerksamkeit nicht näher zu erklären; das dürfte ihr bekannt sein)? Wer ist gemeint?
Stewart: Ich denke schon, dass die internationalen Partner eher gemeint sind. Es geht ja nicht nur darum, dass sie wissen, dass es die Krim gibt, dass es ein Problem ist, dass Russland die Krim annektiert hat. Es geht darum, dass die Krim einen Platz auf der internationalen Agenda findet und immer wieder zur Sprache gebracht wird und nicht nur im Sinne von "wir erkennen nicht an, dass Russland die Krim annektiert hat", sondern in Bezug auf die konkreten Probleme, die für die Ukraine, für die europäische Sicherheit, für die Sicherheit im Schwarzen Meer dadurch entstehen.
Grieß: Nun ist es so, dass die Ukraine ein Bild zeichnet vom Leben auf der Krim, das in sehr grauen Tönen, in sehr dunklen Tönen gezeichnet ist. Und es stimmt auch in der Tat, wenn man über politische Häftlinge zum Beispiel spricht oder Vertriebene oder Ukrainer, die keine russische Staatsangehörigkeit annehmen wollen und deshalb weniger Rechte haben etwa auf der Krim. Aber gleichzeitig investiert Russland Rekordsummen auf der Krim. Der Tourismus-Industrie geht es nicht schlecht. Es ist nicht so, dass die Krim darbt und leidet, seit Russland die Krim für sich beansprucht.
Stewart: Ja, es gibt diese beiden Seiten. Allerdings denke ich auch, bei dieser eher sonnigen Seite, die Sie jetzt geschildert haben, geht es darum nachzufragen, was sind die Schwerpunkte für Russland auf der Krim. Und ich sehe schon, dass viele Ressourcen tatsächlich in die Militarisierung gehen, dass wir jetzt auch die gleichen Probleme auf der Krim sehen wie in anderen Teilen Russlands, dass Umweltprobleme doch eine Rolle spielen und oft einfach ignoriert werden zu Gunsten der anderen Prioritäten und dass die Menschenrechtslage genauso wie in anderen Teilen Russlands – die Krim gehört nicht zu Russland; das will ich damit nicht gesagt haben, aber in Russland selber sind Menschenrechtsprobleme tatsächlich ein großes Thema.

Akteure müssten dafür sorgen, dass die Krim aktuelles Thema bleibt

Grieß: Sie haben in Ihrer ersten Antwort auch das Stichwort Ressourcen genannt und gefragt, die Frage gestellt, ob sich die Ukraine das eigentlich leisten könne, ob sie über die Ressourcen verfüge, eine solche Konferenz abzuhalten. Ich bin ganz sicher, Sie meinen nicht, dass es darum geht, so eine Konferenz zu bezahlen, sondern politische Ressourcen vermutlich. Können Sie das noch genauer erläutern? Was meinen Sie?
Stewart: Mit den Ressourcen meinte ich nicht so sehr die Konferenz, sondern diese Krim-Plattform besteht nicht nur aus dieser Konferenz, sondern sie besteht aus unterschiedlichen Ebenen. Das soll jetzt auf höchster Staatsebene erst mal sein, das soll auf parlamentarischer Ebene stattfinden und auf Expertenebene. Auf Expertenebene, da gibt es bereits einen Austausch. Da habe ich weniger Bedenken. Aber die Frage ist, ob die Ukraine es schafft, sowohl von den materiellen Ressourcen als auch von den Personalressourcen und überhaupt in Bezug auf die Aufmerksamkeit diese Plattform aufrecht zu erhalten nach dem heutigen Launch sozusagen und es tatsächlich dazu bringt, dass regelmäßig Treffen stattfinden, Informationen fließen und das Krim-Thema tatsächlich für die Akteure, die einbezogen werden, aktuell bleibt.
Grieß: Warum ist das so, dass diese Frage entsteht? Gibt es zu wenig Fachleute, zu wenig Expertise in den Ministerien zum Beispiel auf der Expertenebene in der Ukraine?
Stewart: Was wir sehen, was jetzt erst mal die materielle Ebene betrifft, die Information, die ich von ukrainischen Kollegen habe, ist, dass da eigentlich kaum Ressourcen vorgesehen werden. Was wir bislang gesehen haben ist, dass es wirklich nur wenige Leute gibt, die dafür zuständig sind. Und wenn man sieht, wie Reformen oder Unternehmen in der Ukraine oft funktionieren, politische Vorhaben, dann sieht man oft, man legt sehr, sehr viel Wert auf eine große Sache wie die heutige Konferenz, aber dann werden die Schritte, die darauf folgen sollten, vernachlässigt.

"Kaum strategische Linien" bei Selensky

Grieß: Es wird ja häufig Kritik geübt an der Politik von Selenski, dem Präsidenten der Ukraine, der zu sehr auf ad hoc Effekte, auf schnelle Effekte setze und wenig langfristige Strategie verfolge und dazu noch die falschen Leute an die falschen Plätze gesetzt habe und den dichten langjährigen Netzwerken von Oligarchen und Korruption nicht beikomme. Sortiert sich das dort ein?
Stewart: Teilweise, wobei wir sollten uns jetzt nicht nur auf Selenski konzentrieren. Da sind auch viele Leute, die tatsächlich Expertise mitbringen in Bezug auf die Krim, aber auch in anderen Bereichen. Es gibt auch viele Leute, die sich wirklich dafür einsetzen, dass etwas geschieht, dass auch die Vorhaben, die vorgenommen werden, durchgeführt werden. Aber was Selenski konkret betrifft, da würde ich zustimmen, dass man bei ihm wirklich kaum strategische Linien sieht, sondern eher tatsächlich den Versuch, schnelle Ergebnisse zu erreichen, und das führt oft dazu, dass diese schnellen Ergebnisse wenig nachhaltig sind.
Grieß: Sollte es dazu kommen, dass in den nächsten Wochen ein sogenanntes Normandie-Format wieder zusammenkommt – das sind die Staats- und Regierungschefs von Frankreich, Deutschland, der Ukraine und Russland; dabei geht es nicht um die Krim, sondern es geht vor allem um den Donbass. Sollten diese vier sich wieder treffen, erwarten Sie Ergebnisse?
Stewart: Nein, das erwarte ich nicht. Ich halte sogar das Zustandekommen von einem solchen Treffen für unwahrscheinlich. Aber wenn das passieren würde, sehen wir in den letzten Monaten überhaupt nichts, was darauf hinweist, dass Russland oder die Ukraine jetzt die Position in Bezug auf den Donbass wesentlich geändert haben. Das würde bedeuten, dass wir bei dieser Pattsituation weiterhin bleiben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.