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Konfessionelle Schulen
"Kein Abbild der Gesellschaft"

Auf deutsche Privatschulen gehen laut Bildungsforscher Marcel Helbig wenig arme Kinder und überproportional viele Schüler aus Akademiker-Familien. Konfessionelle Schulen würden als Möglichkeit gesehen, "mit seinesgleichen eine Schule zu besuchen", sagte Helbig im Dlf. Im Grundgesetz sei das anders vorgesehen.

Marcel Helbig im Gespräch mit Christiane Florin |
    Ein Kreuz im Klassenzimmer einer Grundschule. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand)
    "Bestimmten Sprengelbezirken ein Stück weit entfliehen", das wollen Eltern über die Wahl einer konfessionellen Schule (Picture Alliance / dpa / Karl-Josef Hildenbrand)
    Christiane Florin: Von den rund 3.500 Privatschulen in Deutschland sind 2.000 in der Trägerschaft der evangelischen und katholischen Kirche. Was tragen sie zum deutschen Bildungswesen bei? Das habe ich Marcel Helbig gefragt, Bildungsforscher am Wissenschaftszentrum Berlin und Autor einer Studie über das katholische Arbeitermädchen vom Land.
    Marcel Helbig: Ich glaube, es ist ein Kompromiss, den man nach dem Krieg eingegangen ist, dass diese Schulen ihre Daseinsberechtigung haben. Viele sind der Meinung, dass in diesen Schulen andere Werte vermittelt werden als an den öffentlichen Schulen.
    Florin: Es gab in den 60er-Jahren das katholische Mädchen vom Land als bildungspolitischen Problemfall. Was hatte es damit auf sich?
    Helbig: Die damaligen Autoren, das war nicht nur Picht, sondern auch Peisert und Darendorf, haben festgestellt: Es gab benachteiligte Gruppen damals in der Bundesrepublik Deutschland, vor allem beim Zugang zum Gymnasium. Das waren die Arbeiterkinder vom Lande und katholische Kinder und dazu war noch Geschlecht ein Benachteiligungsmerkmal. Also Mädchen kamen seltener aufs Gymnasium. Daraus wurde diese Kunstfigur des katholischen Arbeitermädchens vom Lande. Das Problem war eigentlich gar nicht die Konfession, sondern das Problem war, dass damals Konfession, also vor allem bei Katholiken, verknüpft war mir sozialer Benachteiligung. Eigentlich war es nur Arbeiter- und Geschlechtsbenachteiligung, aber nicht die Konfession.
    Florin: Das heißt, dass protestantische Arbeitsethik zu einem höheren Bildungserfolg führt, das ist nur ein Klischee?
    Helbig: Ist eher ein Klischee, also jedenfalls für die damalige Zeit. Heute sehen wir kaum Unterschiede zwischen den Konfessionen. Heute reden wir dann eher von den Migranten-Jungen aus der Stadt und genauso ist auch das eine Kunstfigur, die beim genauen Hinsehen auch nicht wirklich hinhaut. Manchmal wird auch das "muslimisch" dazu genommen. Schlussendlich geht es auch da nur um soziale Benachteiligung. Was mit Konfession im Hinblick auf den Islam verknüpft ist, ist eine andere Geschichte.
    "Bestimmten Sprengelbezirken ein Stück weit entfliehen"
    Florin: Sie haben vorhin kurz angesprochen, dass mit Schulen in konfessioneller Trägerschaft andere Werte verbunden werden. Welche Werte sind das?
    Helbig: Das frage ich mich auch immer.
    Florin: Womit erklären Sie sich die anhaltend hohe Nachfrage nach Plätzen an diesen Schulen bei gleichzeitigem Rückgang der Kirchenmitgliederzahlen?
    Helbig: Es ist sowieso ein ganz großes Rätsel, also auch der Anstieg im Osten. Es sind auch ganz viele konfessionelle Schulen entstanden in Gebieten, wo eigentlich die aller wenigsten in der Kirche sind. Mittlerweile, es mag über Jahrzehnte anders gewesen sein, aber spätestens nach Pisa ist es doch, glaube ich, für viele Eltern eine Möglichkeit aus dem öffentlichen Schulsystem auszusteigen. Dass man sagt: Hey, das ist erstens vielleicht ressourcenmäßig nicht so gut ausgestattet, es sind zweitens bestimmte Schüler drin, mit denen ich meine Kinder nicht zusammen in der Schule sehen will, das mögen vor allem in westdeutschen Großstädten muslimische Kinder sein, mit denen man vielleicht nicht unbedingt zusammen in eine Schule gehen will. Dann ist es eine gute Möglichkeit gemeinsam mit seinesgleichen mehr oder weniger eine Schule zu besuchen. Das Konfessionelle bringt zum Beispiel auch auf der Ebene von Religion sogar noch eine Abgrenzung. Aber das ist nicht das Vorderste. Vor allem im Bereich Grundschule bieten die privaten Grundschulen in konfessioneller wie auch in anderer Trägerschaft die Möglichkeit, bestimmten Sprengelbezirken, also den Grundschuleinzugsgebieten, ein Stück weit zu entfliehen, weil man diesen Eltern nicht sagen kann: Du musst jetzt in diese Schule gehen oder in jene Schule, sondern man hat die freie Wahl.
    Soziale Distinktion über die Wahl der Grundschule
    Florin: Das heißt aber auch Konfession schafft Distinktion?
    Helbig: Eine Erkenntnis muss man schon geben: Die konfessionellen Privatschulen in Deutschland sind zwar auch kein Abbild der Gesellschaft im Hinblick auf die Sozialstruktur, aber sie sind nicht so ungleich wie jetzt einige andere freie Schulen, wo sich gar keine Kinder aus sozial benachteiligten Verhältnissen wiederfinden. Aber auch bei den konfessionellen Privatschulen sehen wir, dass vor allem die sozial Benachteiligen viel seltener auf diesen Schulen sind. Zur Frage nach Distinktion: Es bilden sich auch gewisse Netzwerke auf diesen Schulen heraus, die einem später weiterhelfen können.
    "Klares Kontrollversagen der Bundesländer"
    Florin: Würden Sie sich wünschen, dass die kirchlichen Träger stärker darauf achten, dass die Schulen besser gemischt sind, dass da Kinder aus verschiedenen sozialen Schichten vertreten sind?
    Helbig: Es geht nicht so darum, ob ich mir das wünsche. Unser Grundgesetz wünscht sich das. Also in Artikel 7 Absatz 4 steht, dass die privaten Schulen nicht nach den Besitzverhältnissen der Eltern gehen sollen. Und soweit wir das sehen können, sondern ein Großteil der privaten Schulen in der Weise, dass sehr sehr wenig arme Kinder an diesen Schulen sind und ein überproportionaler Anteil von Akademiker-Eltern vorhanden ist. Dass das überhaupt möglich ist, ist das ein ganz klares Kontrollversagen der Bundesländer. Aber es trifft die konfessionellen Schulen genauso wie die nichtkonfessionellen.
    "Privatschulen werden noch exklusiver in Hamburg"
    Florin: Wenn die katholische Kirche wie in Hamburg Schulen aufgibt, ist es dann das Signal: Wir ziehen uns aus der Gesellschaft zurück?
    Helbig: Soweit ich das überblicken kann, haben wir über 20 katholische Schulen in Hamburg. Und wenn da jetzt ein gewisser Teil aufgegeben wird, dann ist es für mich immer noch kein Signal, dass sich die katholische Kirche komplett zurückzieht. Man muss aber eher mal die Frage stellen, ob es vorher nicht sogar eine Überdehnung gewesen ist. Also: Brauchen wir wirklich so viele Schulen in katholischer Trägerschaft im Hamburger Schulsystem? Ich sehe eher ein in anderer Weise ein problematisches Signal. Wir kennen in Hamburg aus einer parlamentarischen Anfrage, die Schulgebühren aus allen Hamburger Privatschulen. Es war so, dass die katholischen eher die geringeren Schulgelder genommen habe. Also hat wahrscheinlich der Träger, die katholische Kirche, noch ein wenig mehr Geld reingegeben. Aber von der Schulgelderhebung her waren das mit die sozialverträglichsten Schulen in Hamburg. Wenn die jetzt wegfallen, wird quasi Privatschule noch exklusiver in Hamburg.