Südkaukasus
Russland und der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan

Zwischen Armenien und Aserbaidschan ist es zu den schwersten Gefechten seit dem Krieg beider Länder vor zwei Jahren gekommen. Zwar wurde mithilfe der internationalen Gemeinschaft eine Waffenruhe vereinbart, doch der Konflikt schwelt weiter.

16.09.2022
    Das Dorf Sotk in Armenien soll am 14. September von Aserbaidschan beschossen worden sein
    Das Dorf Sotk in Armenien soll am 14. September von Aserbaidschan beschossen worden sein (AFP / KAREN MINASYAN)
    Aserbaidschan und Armenien sind seit Jahrzehnten verfeindet. Jetzt hat es im armenischen Grenzgebiet im Südosten des Landes Gefechte gegeben, die Sorge vor einem erneuten Krieg zwischen den beiden Kaukasusrepubliken nähren. Nach armenischen Angaben griffen aserbaidschanische Truppen Armenien in der Nacht zum 13. September an. Aserbaidschan erklärte, man habe auf armenische „Sabotageversuche“ reagiert. Armenien habe versucht, Wege zu verminen, die die aserbaidschanischen Soldaten benutzen. Beide Seiten meldeten Tote.
    Am 15. September wurde unter Teilnahme der internationalen Gemeinschaft eine Waffenruhe vereinbart. Doch der Konflikt schwelt weiter. Armeniens Botschafter in Deutschland, Viktor Yengibaryan, warnte vor einer neuerlichen Eskalation der Lage.

    Was steckt hinter den Kampfhandlungen?

    Spannungen entlang der Grenze zwischen Armenien und Aserbaidschan hat es schon häufiger gegeben. Die Grenze ist seit der Sowjetzeit nie festgeschrieben worden. Streitpunkte zwischen beiden Ländern sind sowohl der Status der Region Berg-Karabach als auch Transportverbindungen von Aserbaidschan über armenisches Gebiet in die Türkei. Aserbaidschan hat schon mehrfach damit gedroht, die armenische territoriale Integrität anzugreifen. Möglicherweise beabsichtigt es jetzt, mit den Angriffen seine Position in den komplizierten Verhandlungen zu stärken.
    Die Grafik zeigt einen Landkartenausschnitt mit Armenien, Aserbaidschan und der Region Berg-Karabach
    Friedensplan für Berg-Karabach (10.11.2020) (dpa-infografik)
    Die Region Berg-Karabach wird mehrheitlich von armenischer Bevölkerung bewohnt. Seit dem Krieg 2020 kontrolliert aber Aserbaidschan den Großteil der Region. Die Verhandlungen über Berg-Karabach laufen, Armenien möchte, dass Rechte und die Sicherheit der Armenier innerhalb des aserbaidschanischen Staates gewährleistet sind.

    Warum greift Aserbaidschan ausgerechnet jetzt Armenien an?

    Russland galt lange als Schutzmacht von Armenien. Es hat dort seit langem eine Militärbasis mit Grenzsoldaten und Armenien ist wirtschaftlich energiepolitisch, sicherheitspolitisch komplett von Russland abhängig. Russland hat auch den Waffenstillstand 2020 vermittelt und sogenannte Friedenstruppen installiert. Jetzt führt Russland Krieg gegen die Ukraine und ist dadurch geschwächt beziehungsweise abgelenkt.
    Das Vorgehen Aserbaidschans wird als möglicher Test interpretiert, inwieweit Russland bereit ist, Armenien beizustehen. Das autoritär regierte Aserbaidschan hat sich zudem eine ziemlich komfortable Position gegenüber der EU erarbeitet: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen war Anfang August in der Hauptstadt Baku, um eine Energiepartnerschaft mit Aserbaidschan zu vereinbaren. Die EU will mehr Gas importieren aus Aserbaidschan – ein Imagegewinn für Machthaber Ilham Alijew, der sich bestätigt sehen kann, dass Gewalt aus Aserbaidschan keine Folgen hat. Armenien dagegen hat eine demokratisch gewählte Regierung.

    Wie positioniert sich Russland?

    Russland ist militärischer Partner Armeniens, unterhält aber auch freundschaftliche Beziehungen zu Aserbaidschan. Russland galt bislang als Ordnungsmacht in der Region.
    Die armenische Regierung hat offiziell die von Russland dominierte Militärallianz Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) um Hilfe gebeten. Deren Generalsekretär soll nun in den Südkaukasus reisen und einen Bericht präsentieren – allerdings erst im Spätherbst.
    In der OVKS gibt es eine Beistandsklausel, die vorsieht, dass die Organisation hilft, wenn ein Mitglied in seiner Souveränität durch ein Nichtmitglied angegriffen wird. Armenien ist Mitglied, Aserbaidschan ist es nicht. Grenzverletzungen könnten allerdings schwierig zu identifizieren sein, da die Grenze eben nicht markiert ist. Armenien hat sich in der Vergangenheit schon an die OVKS gewandt und eine Absage bekommen, weswegen das Land ein Zwei-Klassen-System innerhalb der Organisation kritisiert: mehr Sicherheit für die zentralen Staaten, weniger Sicherheit an der Peripherie.

    Kann die EU vermitteln?

    Die EU hat gegenüber den beiden Ländern nur Lockmittel, keine Druckmittel. Sie hat entschieden, sich in der Region nicht militärisch zu engagieren, sondern sie steht eher für das langfristige Konzept Stabilität durch Wohlstand. Andere Mächte in der Region haben deutlich mehr Einfluss. Neben Russland sind das vor allem die Türkei, die auf der Seite Aserbaidschans steht, oder auch der Iran auf der Seite Armeniens.
    Quelle: Gesine Dornblüth