Archiv

Konflikt im Nahen Osten
"Die Europäer müssen endlich mit einer Stimme sprechen"

Die Europäer hätten sich relativ schnell aus dem Konflikt in Syrien verabschiedet, weil sie eine wirklich widersprüchliche Politik gemacht hätten, sagte der außenpolitische Sprecher der Grünen, Omid Nouripour, im Dlf. Sie könnten auch nur dann in der Region wieder eine größere Rolle spielen, wenn sie zusammenstünden.

Omid Nouripour im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
    Der außenpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Omid Nouripour.
    Der außenpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Omid Nouripour. (picture alliance / dpa / Britta Pedersen)
    Jürgen Zurheide: Der Gazastreifen ist nur einer der Konfliktpunkte im Nahen Osten. Es gibt die Auseinandersetzungen in Syrien, es gibt die Panzer, die im Nordirak rollen, und es gibt hinter den Kulissen viele Versuche, neue Allianzen zu schmieden oder möglicherweise neu zu beleben. Über all das wollen wir reden mit Omid Nouripour, den ich zunächst einmal herzlich am Telefon begrüße, von den Grünen. Guten Morgen, Herr Nouripour!
    Omid Nouripour: Schönen guten Morgen!
    Zurheide: Herr Nouripour, fangen wir an im Gaza, was erleben wir da, das alte Muster? Die Palästinenser schaffen intern keine Ordnung, obwohl es sicher objektiv schwierig ist, dann hetzen sie die Leute auf, die gehen an den Grenzzaun, und die Israelis haben nichts Besseres zu tun, als scharf zu schießen. Damit haben wir das alte Konfliktmuster?
    "Saudi-Arabien und Israel versuchen, eine Gegenallianz aufzubauen"
    Nouripour: Das ist ein wenig flapsig, aber ich glaube, relativ akkurat beschrieben. Es ist offenkundig, dass die Hamas nicht liefert als Regierungspartei, und es ist offenkundig, dass es sehr große Unzufriedenheit gibt mit der Hamas. Wir kennen Umfragen, in denen sie wirklich ziemlich darniederliegt, und deshalb versucht sie, wie so oft, diesen Konflikt auch natürlich zu externalisieren und in Richtung Israel zu drehen. Es gibt ja diese ganzen Camps zum Beispiel für die Demonstrierenden, die die Hamas selbst hinstellt, damit die Leute da auch hinkommen und damit die Demonstrationen noch größer werden. Aber es ist richtig, dass die Leute auch tatsächlich dorthin gehen und diese Policy und diese Art und Weise der Politik von Hamas überhaupt aufgeht, weil es auf Dauer einfach nicht geht, zwei Millionen und mehr Menschen tatsächlich so lange einzupferchen. Deshalb ist jenseits der Frage, was jetzt die israelischen Streitkräfte machen, und die Frage der Verhältnismäßigkeit, die man grundsätzlich immer stellen darf, natürlich die zentrale Frage, was ist denn eigentlich die Vision Israels für Gaza. Es ist richtig, dass man dieselbe Frage auch den Ägyptern stellen muss, und es ist richtig, dass die ägyptische Grenze zu Gaza so zu ist, dass das Problem immens vergrößert wird, aber irgendwann mal wird es eine Lösung geben müssen, die anders ist als, wir machen einfach die Tore alle dicht und dann passiert schon nichts. Es ist deshalb offenkundig, dass man eine Lösung braucht für das Problem.
    Zurheide: Jetzt helfen Sie uns, wir ziehen den Fokus ein bisschen weiter auf, vielleicht auch zu weit: Was bedeutet es eigentlich, dass Israel sich gerade an Saudi-Arabien annähert? Erstens, warum passiert das gerade, ist das sozusagen auch unter der Überschrift, ich mach's wieder in der Kurzfassung, der Feind meines Feindes ist mein Freund, dann haben wir den Iran auch noch mit im Spiel?
    Nouripour: Es ist ja eine Annäherung, die nicht plötzlich kommt, die sich seit mindestens drei Jahren anbahnt. Es gibt so was wie eine Allianz, das ist ein bisschen viel, aber es gibt eine Achse zwischen Ankara, also der Türkei, Iran und Katar, und es ist relativ klar, dass Saudi-Arabien und Israel gerade versuchen, eine Gegenallianz aufzubauen gegen diese drei Kräfte. Wohin das genau führt, ist nicht klar. Ob jetzt zum Beispiel die Worte des Kronprinzen Saudi-Arabiens, dass die Israelis ein Existenzrecht haben, was eine Selbstverständlichkeit hätte seit zig Jahren sein müssen, auch dazu führt, dass Saudi-Arabien Israel tatsächlich diplomatisch anerkennt, das wissen wir alles noch nicht, aber es ist klar, dass das Ganze eigentlich darauf basiert, dass man den anderen drei, allen voran dem Iran, begegnen will.
    Zurheide: Wie ernst nehmen Sie eigentlich das, was wir aus Saudi-Arabien in diesen Tagen hören oder was der Kronprinz, den Sie gerade schon angesprochen haben, was der auf seiner Amerikareise so von sich gibt? Ist das ausschließlich Buhlen um neue Investoren, oder sagen Sie, na, passiert wirklich was.
    "Es ist erst mal positiv, dass sich überhaupt irgendetwas in Saudi-Arabien ändert"
    Nouripour: Das ist ambivalent. Auf der einen Seite passiert tatsächlich auch in Riad selbst was, das ist zu sehen. Ich hab das selber auch gesehen, dass es jetzt plötzlich Orte gibt, wo Frauen und Männer miteinander, zwar nicht Hand in Hand, aber miteinander spazieren gehen können, das wäre vor zehn Jahren noch nicht denkbar gewesen. Aber es ist gleichzeitig auch so, dass es nicht klar ist, wie tief das in die Gesellschaft hineinsickert. Saudi-Arabien ist ja immer eine Allianz gewesen zwischen den Saudis, also dem Königshaus Saud auf der einen Seite und den wahhabitischen Klerikern, die eigentlich diese Veränderungen - dass Frauen zum Beispiel Auto fahren dürfen, dass tatsächlich das gesellschaftliche Klima jetzt aufgelockert wird - nicht gerne sehen. Das heißt, es ist nicht klar, ob es zu einem offenen Machtkampf kommen wird tatsächlich auch mit dem Klerus im Lande. Es ist an sich erst mal positiv, dass sich überhaupt irgendetwas in dem Land ändert, man muss aber gleichzeitig auch sehen, dass die Motivationslage eine ist, die sehr, sehr stark von seinen persönlichen Ambitionen, auch von diesem Kronprinzen angetrieben worden ist, die gleichzeitig auch dazu führen, dass das Nachbarland Jemen seit jetzt nun drei Jahren in die Steinzeit bombt. Heißt, man sollte sich über jeden kleinen Schritt freuen, aber das wird nicht dazu führen, dass Saudi-Arabien kurzfristig ein guter Partner wird für den Westen.
    Zurheide: Sie haben gerade den Wahhabismus angesprochen, ist ja auch die Frage, wie offensiv treten die zum Beispiel auf auch hier bei uns Deutschland. Das erleben wir ja immer wieder, nicht zuletzt auch bei Fragen der Religion, wobei ich jetzt schon zögere, Religion zu sagen, das hat eher mit Politik zu tun, oder?
    "Iran und Saudi-Arabien ähneln sich ziemlich"
    Nouripour: Ja, es ist das Traurige mit dem Iran und Saudi-Arabien, dass sie bis auf zwei Punkte sich ziemlich ähneln, was zum Beispiel die Menschenrechtslage betrifft, die systematisch in Saudi-Arabien sicher schlechter ist, was die Unterstützung für terroristische Gruppen betrifft und so weiter. Sie geben sich ja nicht besonders viel, die haben auch diese gegenseitige Paranoia, aber es ist klar, dass der Iran in der Israelfrage natürlich eine Position vertritt, die wir nicht ertragen können, und Saudi-Arabien gleichzeitig salafistische Gruppierungen finanziert, die in unseren Fußgängerzonen Kinder unserer Gesellschaft verführen in den Dschihadismus, auch das ist nicht erträglich.
    Zurheide: Jetzt gehen wir noch mal ein Stück weiter, und damit haben wir dann wirklich fast alle Konfliktpunkte abgehandelt. Eine neue Allianz haben wir gesehen in dieser Woche, die Türkei, der Iran und Russland haben sich gemeinsam getroffen. Die andere Allianz, Sie haben das gerade schon angesprochen, indirekt zumindest, was ist das denn, was passiert da gerade?
    Nouripour: Iran, die Türkei und Russland sind nun mal jetzt die Schutzmächte in Syrien, ich würde da nicht ganz von einer Allianz sprechen können, dafür sind die Unterschiede auch viel zu groß. Das hat man jetzt auch bei diesem Treffen diese Woche gesehen. Erdogan betont weiterhin, dass es keinen Frieden geben darf in Syrien und keinen geben wird mit der Person Assad als Präsident des Landes, aber der Erhalt von Assad ist ja der Hauptgrund, warum die Russen überhaupt militärisch da reingegangen sind. Das ist ein großer Konflikt. Der zweite große Konflikt ist, Rohani, der Präsident des Irans, hat ziemlich aggressiv gedrängt, die Türkei müsse so schnell wie möglich Afrin, also die kurdische Stadt im Nordwesten Syriens, jetzt freigeben, weil die völkerrechtlich eindeutig zu Syrien gehören würde. Die Türkei erklärt gleichzeitig, dass sie da auf Dauer bleiben wollen und dass sie dort auch die syrischen Flüchtlinge, die in der Türkei sind, dort ansiedeln wollen, dass die über drei Millionen Menschen dort ansiedeln wollen in einer dauerhaft besetzten Region in Syrien. Das sind Konflikte, die relativ groß sind und die auch möglicherweise irgendwann mal dazu führen können, dass man nicht nur nicht mehr zusammenkommt, sondern aufeinander schießt. Heißt, diese Allianz ist eher keine, sondern extrem fragil, ein Bündnis von Gruppen, die nicht die gleichen Ziele haben, aber die gleichen Gegner, und das hat sie zusammengeführt.
    Zurheide: Jetzt kommen wir zum Schluss darauf, die Amerikaner ziehen sich zurück, das ist der andere Punkt. Haben die Europäer eine Rolle, können sie und sollen sie eine spielen?
    "Wir müssen als Europäer versuchen zusammenzustehen"
    Nouripour: Die Europäer haben sich in Syrien relativ schnell verabschiedet, weil sie nicht mit der gleichen Stimme sprachen und wirklich widersprüchliche Politik gemacht haben. Wenn die einen Waffen an die Rebellen liefern und die anderen an Assad, stellt sich irgendwann mal die berechtigte Frage, was sie denn eigentlich wollen. Heißt, wenn wir wieder zurückkommen wollen an den Tisch, dann müssen wir endlich dahin kommen, dass wir mit einer Stimme sprechen. Aber es gibt in anderen Bereichen natürlich auch eine Rolle, die wir spielen könnten. Wir könnten mit einer Äquidistanz, wobei die Betonung auf Distanz ist, eine größere Vermittlerrolle spielen zwischen Iran und Saudi-Arabien. Bisher können wir das nicht, weil wir ja den einen Waffen verkaufen, nämlich den Saudis. Und natürlich ist absolut zentral die Rolle, die Europa zu spielen hat, in der klassischen Nahostfrage, die stets überbetont war für die regionale Stabilität, aber weil Israel nicht an allem schuld ist, was in der arabischen Welt passiert, aber die natürlich neuralgisch ist, wenn es um die Sicherheit Israels geht, da ist es selbstverständlich so, dass wir eine andere Rolle zu spielen haben. Aber wenn wir sie spielen wollen, noch mal, dann ist zentral, dass wir versuchen, als Europäer zusammenzustehen.
    Zurheide: Ein Plädoyer war das von Omid Nouripour von den Grünen heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Herr Nouripour, ich bedanke mich für das Gespräch, danke schön!
    Nouripour: Danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.