Regina Brinkmann: Zwei Tage nach ihrer Entführung sind alle 79 Schüler einer Schule im Nordwesten Kameruns nun wieder frei. Der Direktor und zwei Angestellte allerdings noch nicht. Es wird vermutet, dass Separatisten der englischsprachigen Minderheit des Landes hinter der Geiselnahme stecken.
Aufgrund seiner kolonialen Geschichte spricht die Mehrheit der rund 23 Millionen Einwohner Französisch, und nur eine Minderheit an der Grenze zu Nigeria ist anglophon. Und die fühlt sich seit Langem von der frankophonen Mehrheit benachteiligt.
- Wie sich dieser Konflikt auch auf das Schulwesen auswirkt, weiß Ulrich Delius von der Gesellschaft für bedrohte Völker. Guten Tag, Herr Delius!
Ulrich Delius: Schönen guten Tag!
Brinkmann: Herr Delius, wie sehr hat der Konflikt schon vor der Entführung der Schüler den Schulalltag in Kamerun geprägt oder vielleicht sogar belastet?
Delius: Wir haben seit der Eskalation des Konflikts im Jahr 2016 gut 56 Übergriffe auf Schulen registriert in der Region. Das, finden wir, ist einfach eine Menge. Diese Schule, die jetzt Schauplatz dieser Entführungen war, hat schon mal vor anderthalb Wochen eine Entführung erlebt.
Also man muss sich das mal so vorstellen, was das für die Schülerinnen und Schüler, aber auch für die Lehrkräfte bedeutet. Das ist eine enorme Belastung, immer mit dieser Gefahr zu leben, es könnten Übergriffe auf einen selber geschehen, die dann auch ernste Gefahren für Leib und Leben mit sich bringen.
"Separatisten verunsichern die Sicherheitslage enorm in dieser Region"
Brinkmann: Die presbyterianische Kirche ist Träger der weiterführenden Schule, aus der die 79 Schüler entführt wurden. Die Kirche hat nur noch angekündigt, ihre Schulen in der Region zu schließen. Wie groß ist aus Ihrer Sicht die Gefahr, dass die Separatisten, die ja mutmaßlich auch für diese Entführung verantwortlich sein sollen, erneut Schulen und Schüler attackieren?
Delius: Die Gefahr ist schon sehr groß, weil sie eigentlich jetzt seit anderthalb Jahren die Losung rausgegeben haben, dass die Menschen nicht mehr ihre Kinder in diese Schulen schicken sollen, weil ihr Vorwurf lautet, dass das Schulsystem Kameruns nicht Rücksicht nehmen würde auf diesen dualen Charakter quasi der Sprachen des Landes, also dass nicht nur Französisch in dem Land besteht, sondern eben auch durchaus Englisch und dass das eine anglophone Region ist, und warum werden dann da nicht genug Lehrer eingesetzt, die auch Englisch vernünftig sprechen können.
Das ist ein großer Vorwurf, der auch durchaus fundiert ist, nur sie verbinden das dann mit der Forderung quasi eines Boykotts der Schulen und unterstreichen diesen Boykott dann mit Übergriffen. Das ist natürlich absolut nicht akzeptabel und letztlich auch ein massiver Verstoß gegen die Menschenrechte.
Brinkmann: Es heißt aber auch, dass die Separatisten daran interessiert sind, eigene Schulen zu gründen. Was spricht denn dagegen?
Delius: Dagegen spricht die Realität vor Ort, weil um so etwas tun zu wollen, müssten sie erst mal einen bestimmten Landstrich tatsächlich kontrollieren, weil um so eine zivile Struktur aufzubauen, muss man einigermaßen gesichert dann auch zum Beispiel einen Schulweg anbieten können für die Schülerinnen und Schüler et cetera, und das können sie nicht. Sie sind durchaus … Sie verunsichern die Sicherheitslage enorm in dieser Region, es gibt viele Übergriffe von ihnen, auch Übergriffe der Armee gegenüber der Zivilbevölkerung, aber sie haben eben nicht dieses kontrollierte Territorium, wo sie dann eine zivile Struktur aufbauen könnten wie zum Beispiel auch Schulen.
"300.000 Menschen aus dieser Region sind geflohen"
Brinkmann: Können Sie uns mal einen Überblick geben, wie sich das so insgesamt im Land darstellt? Spielt sich das tatsächlich nur in einer bestimmten Region ab, oder hat sich dieser Konflikt auch schon in anderen Regionen breitgemacht und belastet da womöglich auch das Schulwesen?
Delius: Das sind im Prinzip schon diese zwei englischsprachigen Regionen an der Grenze zu Nigeria, in denen quasi eine Bürgerkriegssituation jetzt besteht. Lange Zeit hat das die Regierung des Kamerun eigentlich schöngeredet, auch heute sind sie noch immer nicht bereit, einzuräumen, wie massiv sich das auswirkt auf das Leben der Menschen, aber wir stellen einfach nur fest, dass 300.000 Menschen aus dieser Region jetzt schon geflohen sind, in andere Landesteile.
Auch da, für die gibt es natürlich enorme Probleme. Das sind dann anglophone Menschen, die dann in den frankophonen Teil fliehen. Wie werden die Kinder dort versorgt, wie können die Schulunterricht folgen et cetera. Also das hat viele, viele Folgen, natürlich, auch die Folge in diesem Bürgerkriegsgebiet, dass ganz viele Schulen geschlossen sind mangels Sicherheit, mangels Lehrkräften, die bereit sind, da überhaupt zu arbeiten.
Brinkmann: Jetzt haben wir nur über die Schulen gesprochen, aber wie sieht es an den Universitäten aus?
Delius: Die Universitäten sind nicht so direkt von diesen Übergriffen betroffen, aber auch da muss man sagen, dass natürlich das Land enorm leidet unter dieser Bürgerkriegssituation, dass sich viele Menschen verunsichert fühlen, die auch die universitäre Bildung einschlagen und dass da auch viele sagen, na ja, also wo kommen wir Anglophonen denn vor in Kamerun, und dieser Vorwurf, der ist durchaus berechtigt. Da hat die Regierung des Kamerun auch bislang eigentlich keine glaubwürdigen Antworten drauf geliefert.
Brinkmann: Ulrich Delius von der Gesellschaft für bedrohte Völker. Vielen Dank für das Gespräch!
Delius: Ja, bitte schön!
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