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Konflikt im Sudan
Die Angst vor dem Failed State

Die Gewalt von Milizen gegen Oppositionelle bedroht den Reformprozess im Sudan. Die internationale Gemeinschaft müsse Druck machen, damit es zu einer zivilen Regierung komme, sagte Afrika-Experte Philipp C. Jahn im Dlf. Anderenfalls bewege sich der Sudan in Richtung eines Failed State.

Philipp C. Jahn im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
Straße mit Barrikaden in Khartum nach den Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten
Straßenbarrikaden in Khartum nach den Zusammenstößen: "Gesellschaftliche Verträge gebrochen" (AFP)
Dirk-Oliver Heckmann: Drei Jahrzehnte lang hatte Omar al-Baschir den Sudan mit harter Hand regiert, bis er im April vom Militär gestürzt wurde. Doch dass damit das Regime beseitigt worden wäre, davon kann keine Rede sein. Im Gegenteil: Das Militär, das die Macht an sich gerissen hat, geht mit hoher Brutalität gegen die Menschen vor, die nach wie vor für Wahlen und für Demokratie demonstrieren. Ein Protest-Camp ist Anfang Juni gewaltsam geräumt worden. Nach Angaben der Opposition sollen dabei 100 Menschen getötet worden sein. Jetzt hat der Militärrat nach eigenen Angaben auch mehrere Soldaten festnehmen lassen. Wir können darüber jetzt sprechen mit Philipp C. Jahn von der Friedrich-Ebert-Stiftung im Sudan, in Khartum. Ihn erreichen wir in Addis Abeba. Schönen guten Tag, Herr Jahn.
Philipp Jahn: Schönen guten Tag, Herr Heckmann.
Heckmann: Versinkt der Sudan gerade im Chaos?
Jahn: Der Sudan ist auf jeden Fall nicht mehr der Sudan, den wir noch vor dem 3. Juni hatten, als wir alle gehofft haben, dass es eine zivile Übergangsregierung bald gibt, die für die nächsten drei Jahre das Land regieren wird und dann auch stabilisiert, bevor es freie und faire Wahlen geben wird.
Heckmann: Aber es gibt auch positive Signale. Die Opposition hat den Generalstreik ausgesetzt und ist zu weiteren Gesprächen mit dem Militär bereit, wie heute gemeldet wird.
Jahn: Ja - die Eliten in Khartum, die Eliten im Sudan und auch die Opposition haben eine lange Tradition, miteinander zu sprechen. Das haben sie ja auch seit dem Sturz von Omar al-Baschir Anfang April getan. Man muss aber berücksichtigen, dass eigentlich das Ergebnis dieser Verhandlungen schon fertig war und nur noch unterschrieben werden sollte. Dann kam es zu dieser Räumung des Platzes am 3. Juni, mit äußerster Brutalität, mit Vergewaltigungen, wo ja auch Leute in Zelten verbrannt wurden - Taktiken, die wir bis dahin eigentlich nur aus Darfur kannten. Die Frage ist jetzt, ob diese Gesprächskultur innerhalb der Eliten damit endgültig zerstört wurde.
Machtkampf innerhalb des Militärs
Heckmann: Das heißt, Sie würden sagen, dass die Militärführung in der Tat auch auf verbrecherische Maßnahmen setzt, um die Demonstranten niederzuhalten?
Jahn: Gut, die Militärführung ist ja nicht homogen. Diejenigen, die beschuldigt werden von der Opposition, den Platz geräumt zu haben, sind ja die ehemaligen Dschandschawid-Milizen aus Darfur, die jetzt Rapid Support Forces heißen, die von General Hemeti angeführt werden. Und ich glaube, was da passiert ist, hat auf jeden Fall diese Diskussionskultur nachhaltig zerstört. Und jetzt muss man einfach weiter sehen, ob es innerhalb des Militärs Strömungen gibt, die jetzt die Milizen an den Rand drängen und wieder zur alten Gesprächskultur zurückkommen.
Heckmann: Wer hat denn das Sagen innerhalb des Militärrats aus Ihrer Sicht?
Jahn: Ganz klar: Bis zum 3. Juni hatte der stellvertretende Leiter des Militärrats, General Hemeti, der Vorsitzende der Milizen, das Sagen. Wer jetzt das Sagen hat weiß man nicht - weil natürlich durch die Vorkommnisse am 3. Juni er sich auch außenpolitisch beschädigt hat. Ob er noch weiterhin die Macht hat innerhalb von Khartum, das ist unklar. Es gab auch zahlreiche Gerüchte, dass die Armee Truppen aus der Region abzieht nach Khartum, um die Rapid Support Forces dort zu bekämpfen oder jedenfalls ein Gegengewicht aufzubauen.
Heckmann: Das heißt, Sie würden sagen, innerhalb des Militärrats herrscht ein Machtkampf? Kann man das so sagen?
Jahn: Genau, innerhalb des Militärs. Der Vorsitzende des Militärrats, General Burhan, stand ja schon die ganze Zeit unter Druck vom Militär, etwas gegen die Rapid Support Forces zu tun. Das konnte er nicht, weil die meisten Kasernen in Khartum besetzt waren von den Rapid Support Forces, genau genommen alle Kasernen bis auf eine. Jetzt ist die Frage, wie werden sich die Strömungen innerhalb des Militärs neu organisieren, um vielleicht auch die Rapid Support Forces ein bisschen an den Rand zu drängen. Ich glaube in der Tat, das Wichtige ist nicht, die Verhandlungen zwischen der Opposition und dem Militär zu beobachten, sondern zu beobachten, was innerhalb des Militärrats passiert.
Milizen der Rapid Support Forces bewachen eine Straße nach den Protesten in Khartum
Milizen der Rapid Support Forces in Khartum (AFP)
Heckmann: Das heißt, Sie würden sagen, dass das Militär selbst eigentlich gar keine Kontrolle über die eigenen Einrichtungen hat? Ist das nicht ein Zeichen für einen absoluten Failed State?
Jahn: Nein. Ich meine, al-Baschirs Taktik, um sich gegen einen Militärputsch zu schützen, war immer, dass er verschiedene Sicherheitsorgane aufgebaut hat: den Geheimdienst, die Milizen, das reguläre Militär und noch weitere Milizen. Und diese hatten sich dann doch geeinigt, ihn zu stürzen, und der Militärrat war immer ein Organ, wo diese verschiedenen Gruppen dann verhandelt haben und zu gemeinsamen Ergebnissen gekommen sind. Das hat bis jetzt gut funktioniert. Die Frage ist, ob das nicht durch den 3. Juni nachhaltig zerstört wurde, und dann gibt es tatsächlich das Szenario, das wir uns Richtung Failed State bewegen.
Heckmann: Gibt es denn auf Seiten der Opposition eine Führungsfigur, die Anlass zur Hoffnung gibt?
Jahn: Die Opposition ist sehr vielfältig. Es gab ja die Sudan Professionals Association, die auch die Proteste angeführt hat, die dann in diesen größeren Verband der Forces of Freedom and Change sich integriert hat, und da gibt es zahlreiche, insbesondere junge Leute, die jetzt auch sehr populär in den Medien waren. Denen fehlt natürlich die Erfahrung, aber sie haben eine breite Masse hinter sich und ich glaube, wir werden auch erleben, wenn es zu einer zivilen Regierung kommt, dass daraus sehr führungsstarke Persönlichkeiten sich entwickeln werden.
Heckmann: Was für eine Gruppierung ist das? Ist das eine politische Gruppierung, oder ist das eine Art Gewerkschaft, oder sind das Milizen?
Jahn: Das ist ein Zusammenschluss von illegalen Gewerkschaften. Die Gewerkschaften im Sudan sind ja staatliche Gewerkschaften gewesen unter Omar al-Baschir, die Sudan Professionals Association. Diese Gewerkschaften sind sehr flach organisiert und da gibt es einige starke Führungspersönlichkeiten.
Internationale Gemeinschaft in der Pflicht
Heckmann: Viele Sudanesen scheinen ja nicht locker lassen zu wollen und gehen weiter auf die Straße nach 30 Jahren Alleinherrschaft. Wie groß sind denn ihre Chancen, sich gegen das Militär durchzusetzen, oder zu einer Lösung zu kommen in Richtung eines demokratischeren Staates?
Jahn: Die Frage ist jetzt, meiner Meinung nach, nach dem 3. Juni total offen. Ich meine, die internationale Gemeinschaft muss jetzt Druck machen, dass es zu einer zivilen Regierung kommt. Aber bis zum 3. Juni wurde mir auch von Führern der SPA gesagt, dass es Garantien gibt, dass der Platz nicht geräumt wurde. Diese Garantien wurden offensichtlich gebrochen. Und wie gesagt, es kam jetzt ja auch zu Taktiken, die wir bis dahin in Khartum nicht kannten, und da scheinen einige gesellschaftliche Verträge gebrochen, die bis dahin den politischen Diskurs im Sudan bestimmt haben.
Heckmann: Welche Länder haben die Möglichkeit, Druck auf den Sudan auszuüben?
Jahn: Großbritannien ist natürlich sehr aktiv, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate haben großen Einfluss auf den Militärrat, genauso wie Ägypten. Und letztendlich ist ja auch die EU im Rahmen der Migrationspolitik dort sehr engagiert.
Heckmann: Denken Sie, dass diese verschiedenen Player wirklich ein Interesse an einer positiven Entwicklung im Land haben?
Jahn: Ich glaube, alle diese Player haben ein Interesse, dass der Sudan kein Failed State wird. Ob alle diese Player, insbesondere jetzt auch Saudi-Arabien, ein Interesse an einer schnellen Demokratisierung haben, das bezweifelt ja insbesondere die Opposition des Sudans und hat ja auch oft aufgefordert, dass sie sich nicht einmischen sollen in interne Angelegenheiten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.