Die Bundesregierung informiert am Donnerstag (09.01.2020) das Parlament, den Verteidigungsausschuss und den Auswärtigen Ausschuss darüber, wie es weitergehen soll im Iran-Irak-USA-Konflikt. Das betrifft auch die Frage deutscher Soldaten im Irak. Für die FDP ist in den Sitzungen auch Bijan Djir-Sarai dabei, der Obmann der Liberalen im Auswärtigen Ausschuss. Er ist im Iran geboren und hat seine Kindheit in dem Land verbracht und noch immer viele Kontakte dorthin. Das Interview mit ihm fand vor den Sitzungen statt.
Martin Zagatta: Herr Djir-Sarai, zunächst mal die Frage: Sind Sie erleichtert, dass US-Präsident Trump jetzt eher zurückhaltend reagiert auf die Angriffe aus dem Iran? Stehen die Zeichen damit tatsächlich auf Entspannung?
Bijan Djir-Sarai: Zunächst einmal: Ich war erleichtert. Ich hatte teilweise schlimmere Sachen mir vorgestellt, die da kommen könnten. Von daher war ich schon erleichtert. Allerdings bin ich mir auch darüber im Klaren, dass das jetzt nur eine Atempause ist, und vor allem, ich würde sagen, das ist so was wie eine strategische Denkpause für beide Seiten.
"Atomabkommen ist nicht mehr im Einklang mit der Realität"
Zagatta: Was erwarten Sie jetzt von der Bundesregierung? Wie soll die jetzt reagieren? Sie werden ja in einer Stunde informiert, der Verteidigungsausschuss von der Verteidigungsministerin, Sie im Auswärtigen Ausschuss vom Außenminister. Was erwarten Sie jetzt von Heiko Maas?
Djir-Sarai: Zunächst einmal erwarte ich einen Bericht, eine Analyse über die aktuelle politische Lage, sowohl im Iran als auch im Irak, die Situation, wie es im Iran weitergehen könnte, und die Situation im Irak, was das heißt, vor allem die Folgen für die Bundeswehr, für die Bundeswehrmission. Und vor allem die Frage, wie steht es um die Sicherheit der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr im Irak. Das sind Dinge, die für uns außerordentlich wichtig sind. Und letztendlich: Was ist dann die Schlussfolgerung der Bundesregierung?
Ich glaube schon, dass wir inzwischen in Bezug auf den Iran an einem Punkt sind, wo es nicht mehr reicht, nur über das Atomabkommen zu sprechen. Das Atomabkommen, so wie der Vertrag heute existiert, ist nicht mehr im Einklang mit der Realität. Und wenn wir jetzt nicht dringend Zusatzabkommen zu diesem Abkommen schließen, werden wir auf Dauer ein Problem bekommen. Nehmen Sie das iranische Raketenprogramm, nehmen Sie die Rolle des Irans in der Region – das sind alles wichtige Fragen, die meiner Meinung nach mit bei einem Gesamtabkommen berücksichtigt werden müssten.
Djir-Sarai: EU sollte neue Iran-Strategie entwickeln
Zagatta: Stichwort Atomabkommen. Was erwarten Sie da? Präsident Trump will ja, dass die Europäer und ausdrücklich auch Deutschland jetzt endlich von diesem Abkommen abrücken. Er sagt, das ist ja ohnehin schon tot. Soll man da an einer Fiktion noch festhalten oder soll man dem Wunsch nachkommen?
Djir-Sarai: Faktisch ist das Abkommen tot. Aber ich würde trotzdem das Abkommen nicht aufgeben. Denn das Abkommen greift ja ein großes Problem auf, nämlich die Frage der nuklearen Bewaffnung Irans. Mein Vorschlag, meine Empfehlung wäre, die Europäische Union würde eine neue Iran-Strategie entwickeln und nicht nur einseitig an diesem Abkommen festhalten, sondern auch darauf drängen, dass gerade diese Punkte, die ich gerade erwähnt habe, nämlich die iranische Außenpolitik, die iranische Politik in der Region und das iranische Raketenprogramm, dass diese Punkte mit aufgegriffen werden. Diese Punkte sind damals bewusst nicht aufgegriffen worden, weil man überhaupt ein Abkommen erreichen wollte. Aber die politische Realität hat gezeigt, dass man diese Dinge nicht ausblenden kann. Das sind Dinge, die auch dazugehören zu der politischen Realität vor Ort. Dementsprechend muss das auch im Rahmen eines Abkommens berücksichtigt werden.
Zagatta: Hat denn die Europäische Union oder sagen wir auch Deutschland, das sich da gerne als Vermittler sieht, überhaupt Gewicht in Teheran?
Djir-Sarai: Eigentlich ja. Deutschland, aber auch die Europäische Union könnten sehr aktiv sein, könnten diplomatische Initiativen ins Leben rufen. Aber das ist derzeit nicht der Fall. Sowohl Deutschland als auch Europa sind außenpolitisch derzeit ein Totalausfall. Ich meine jetzt nicht nur den Fall Iran. Schauen Sie sich mal die Entwicklung auch in Syrien an, in Libyen an. Deutschland beziehungsweise die Europäische Union sind bisher nur Zuschauer, passive Zuschauer, und schauen einfach zu, was andere vor Ort entscheiden oder schauen einfach zu, was vor Ort passiert, obwohl man eigentlich viel mehr machen müsste. Die Probleme dieser Region betreffen uns. Wenn wir die nicht lösen als Europäer, werden diese Probleme irgendwann mal zu uns kommen.
Zagatta: Die Bundesregierung sah sich in der Vergangenheit in einer Vermittlerrolle. Was heißt denn das konkret? Sie haben das angesprochen: Es muss über das Schicksal der deutschen Soldaten im Irak entschieden werden. Was heißt das konkret, diese Vermittlerrolle, dass man im Gespräch ist mit Teheran? Sind denn die deutschen Soldaten in der Region weniger gefährdet als amerikanische?
Djir-Sarai: Die deutschen Soldaten haben auch eine ganz andere Funktion. Es gibt derzeit eine sogenannte Ausbildungsmission vor Ort. Es geht darum, die irakische Armee auszubilden beziehungsweise bestimmte Fähigkeiten bei der irakischen Armee aufzubauen. Das ist ein bescheidener Beitrag der Bundeswehr, aber es ist ein wichtiger Beitrag. Das Problem ist letztendlich, wenn der Tag kommen sollte, dass die irakische Regierung - und ich meine jetzt nicht nur das irakische Parlament, sondern insgesamt die irakische Politik - sagt, dass die ausländischen Kräfte im Land nicht mehr erwünscht sind, sprich die Anti-IS-Koalition inklusive der Ausbildungsmission nicht mehr erwünscht sind, dann kann man natürlich nicht mehr im Irak bleiben. Dann geht es natürlich auch um die Sicherheit. Dann wäre die Glaubwürdigkeit des Einsatzes ja auch auf den Kopf gestellt.
"Der IS existiert noch im Untergrund"
Zagatta: Das ist das eine. Wofür plädieren Sie? Abwarten, was die irakische Regierung entscheidet?
Djir-Sarai: Es ist wichtig, es ist selbstverständlich außerordentlich wichtig, was die irakische Regierung entscheidet. Aber lassen Sie mich das auch sagen: Ich bin mir sicher, wenn die Situation sich etwas mehr beruhigt hat, wird die irakische Regierung aus meiner Sicht eher dafür sein, dass die ausländischen Kräfte dort bleiben. Denn gehen die ausländischen Truppen, verändert sich vieles im Irak. Der IS – man darf nicht vergessen, das ist eine Anti-IS-Koalition in erster Linie -, der IS ist zwar besiegt, aber der IS existiert immer noch im Untergrund und weiterhin. Wenn die ausländischen Truppen nicht mehr im Irak sind, dann wird der Einfluss des Irans auf die irakische Politik noch größer, noch dominanter werden. Man darf nicht vergessen: Bis vor einigen Tagen und Wochen gab es massive Ausschreitungen im Irak im ganzen Land und dabei ging es darum, den Einfluss des Irans zurückzudrängen. Die Menschen im Irak wissen ganz genau, was für eine Bedrohung durch den Iran im Land, im Irak existiert. Von daher darf man diese Aspekte nicht vergessen.
Zagatta: Was heißt denn das Ganze für die Beteiligung der Deutschen an diesem Anti-IS-Einsatz? Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken, die fordert jetzt, den Einsatz der deutschen Tornado-Aufklärungsflugzeuge zu beenden, spätestens wenn dieses Mandat in den nächsten Wochen oder Monaten ausläuft. Von der Bundesregierung insgesamt kommen noch andere Signale. Blicken Sie da noch durch und für was sind Sie? Soll man sich da zurückziehen?
Djir-Sarai: Mir ist Frau Esken bis jetzt nicht als große Expertin der Außenpolitik aufgefallen. Aber nichtsdestotrotz: Ich glaube, was ich vorhin auch gesagt habe, der IS ist zwar besiegt, aber der IS existiert noch im Untergrund. Sollte die Situation im Irak fragiler werden, dann wird der IS wieder zurückkommen. Das darf man nicht vergessen. Aus meiner Sicht ist es grundsätzlich richtig, dass da ein deutscher Beitrag stattfindet – sei es über die Tornado-Mission, sei es aber auch über die Ausbildungsmission.
Nur. es gibt aus meiner Sicht ein Problem, und das ist das, was wir von Anfang an gesagt haben. Wir hatten ein Problem damit, dass man diese Sachverhalte mischt, und wir haben nicht verstanden, warum die Bundesregierung hier bei diesem Thema Ausbildungsmission einen deutschen Sonderweg geht. Es gibt eine funktionierende NATO-Mission, NATO-Ausbildungsmission im Irak, und Deutschland hat sich für einen deutschen Sonderweg, quasi für eine eigene Ausbildungsmission entschieden. Das ist etwas, was ich nicht nachvollziehen kann. Es wäre sinnvoller, an der Stelle quasi die deutsche Ausbildungsmission in die NATO-Mission zu integrieren. Dann wären wir auch beim Thema Sicherheit um einiges weiter.
"Iran darf keine Atommacht werden"
Zagatta: Sie kennen den Iran ja sehr, sehr gut. Wie, glauben Sie, geht das weiter, wenn der "Spiegel" heute beispielsweise in einem Kommentar schreibt, 1:0 für Trump, die Iraner hätten ängstlich reagiert und hätten klein beigegeben?
Djir-Sarai: Mag sein, dass die Iraner an der Stelle klein beigegeben haben, aber das Problem, das Hauptproblem ist ja noch lange nicht gelöst. Der Iran wird versuchen, eine Atommacht zu werden, und die internationale Gemeinschaft müsste eigentlich mit allen möglichen diplomatischen Mitteln versuchen, das zu verhindern. Der Iran darf keine Atommacht werden. Übrigens wenn der Iran eine nukleare Macht wird in der Region, dann können Sie auch davon ausgehen, dass andere Staaten in dieser Region dann auch versuchen würden nachzuziehen. Das heißt, wir hätten ein nukleares Wettrüsten in einer der gefährlichsten Regionen der Welt. Ich glaube, das wäre fatal für die Sicherheit in der gesamten Welt.
Ich glaube nach wie vor, dass wir uns mit dem Thema Iran beschäftigen werden. Das liegt auch im Charakter des Regimes in Teheran. Es mag sein, dass jetzt gerade eine sogenannte strategische Denkpause oder Atempause eingetroffen ist, aber im Kern wird der Konflikt mit dem Iran in den nächsten Jahren beziehungsweise schon in den nächsten Wochen und Monaten weitergehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.