Die aserbaidschanische Hauptstadt Baku hat sich in den vergangenen Jahren zu einer Art Klein-Dubai umgebaut – Wolkenkratzer schossen in die Höhe; die Stadt am Kaspischen Meer glitzert. Öl und Gas, woran das Land reich ist, machen es möglich. Der Reichtum ist sehr ungleich verteilt, von ihm profitiert vor allem eine dünne Oberschicht.
"Die Elite ist finanziell unabhängig, weil Aserbaidschan genügend fossile Rohstoffe produziert, damit die Elite reich ist", sagt Grigorij Schwedow, Chefredakteur des unabhängigen Mediums "Kawkaskij Usel", zu Deutsch "Kaukasischer Knoten". Der Journalist kennt die Region seit Jahrzehnten.
Doch obwohl Aserbaidschan seit dem Ende der Sowjetunion von einer einzigen Familie beherrscht wird und die Petrodollar jahrelang reichlich flossen, heißt das nicht, dass die Mächtigen sich nicht häufig mit dem Erhalt ihrer Position beschäftigen müssen. Die Pandemie hinterlässt auch in Aserbaidschan ihre Folgen.
Ein Thema eint alle Schichten: Bergkarabach
Beobachter wie Schwedow konstatieren Frust in der Bevölkerung des Landes. Der Ärger hatte sich in den Bevölkerungsschichten verbreitet, die vom Reichtum wenig abbekommen und ihren Lebensunterhalt unter strengen Corona-Maßnahmen nur noch mühevoll bestreiten können. Weil außerdem die Staatseinnahmen parallel zu niedrigen Gas- und Ölpreisen fielen und das Herrschaftssystem damit von zwei Seiten bedrängt wird, liegt es nahe, über die staatlich kontrollierte Propaganda ein anderes Thema zu bespielen, das zuverlässig fast alle Schichten eint: Es heißt Bergkarabach.
"Die Staatsmacht stützt sich weitgehend auf das Thema der notwendigen starken Hand, die Bergkarabach zurückholt. Eine ganze Generation von Aserbaidschanern wurde in dieser Ideologie des Hasses auf Armenien und die Regierung von Bergkarabach erzogen."
Als es im Juli bereits Kämpfe zwischen Truppen Armeniens und Aserbaidschans gab, forderten Demonstranten in Baku lautstark einen Krieg. "Selbst wenn Alijew jetzt ein paar Anhöhen gewinnt, militärisch nicht wichtige Territorien, wird das als Sieg bewertet werden und der Stärkung der Macht sehr nützen."
Mit Rücksicht auf den Karabach-Clan
Im Vergleich zu Aserbaidschan sind die politischen Verhältnisse in Armenien deutlich demokratischer. Nikol Paschinjan führte im Frühjahr 2018 die Samtene Revolution an, die ihn gewaltfrei an die Macht spülte. Anders als seine Vorgänger stammt er nicht aus dem sogenannten Karabach-Clan. Damit ist die enge Verflechtung von Armenien und der selbst ernannten Republik Bergkarabach gemeint: Viele Politiker und Militärs machten in beiden Territorien Karriere, Kritik an den Verhältnissen in Karabach war damit kaum möglich. Davon unbelastet, so hofften manche, könne Paschinjan an einer Konfliktlösung arbeiten. Zweieinhalb Jahre später konstatiert der Kaukasus-Journalist Schwedow:
"Ihm sind die Hände dadurch gebunden, dass es ihm nicht gelang, in Bergkarabach eine solche Revolution zu verwirklichen wie in Armenien. Das erschwert seine Position in Verhandlungen, weil er Karabach nicht in dem Maß kontrolliert, wie er es möchte."
Weil die Frage nach Bergkarabach in Armenien nicht weniger Emotionen hervorruft als in Aserbaidschan, muss Paschinjan auf die empfindliche öffentliche Meinung und den weiter existenten Karabach-Clan Rücksicht nehmen. Zeigt er Verhandlungsbereitschaft, wird ihm die von der Opposition als Schwäche ausgelegt.
Krieg lenkt von Corona ab
Diese Zwänge können eine Erklärung dafür sein, weshalb der Ministerpräsident bei einem Besuch im vergangenen Jahr seine Rhetorik veränderte und lautstark erklärte, "Karabach ist Armenien. Punkt."
Im eigenen Land steigert das seine Popularität. Doch die Spannungen mit Aserbaidschan nahmen ab diesem Zeitpunkt wieder zu. Armenien ist von allen kaukasischen Ländern nun zusätzlich am stärksten von der Corona-Pandemie getroffen. Die Regierung, die keine großen finanziellen Reserven abrufen kann, wird stark kritisiert. Davon lenkt der Krieg viel Aufmerksamkeit ab.