Nicht überall sind sie so zahlreich präsent, doch hier im Villenviertel von Vallehermoso in Madrid sind viele Spanien-Fahnen zu sehen. Eine fällt besonders auf. Auf rot-gelb-rotem Grund ist das Wappen der Marine gedruckt, zwei Gewehre vor einem Anker, darüber eine Krone.
Kiko Zaragoza schaut aus dem Fenster auf die Straße, bevor er auf den Türöffner drückt. Auf dem großen Balkon warten schon Kaffee, heiße Milch und Croissants. Kiko kommt gleich zur Sache, von den katalanischen Unabhängigkeitsbestrebungen hält er nichts:
"Wir sprechen hier über ein Thema, das eigentlich überflüssig ist. Warum bereichern wir uns nicht gegenseitig in Spanien? Alle Völker Spaniens haben ihre Besonderheiten, davon können wir doch alle profitieren. Ich will von allem etwas haben. Die katalanische Kultur, die andalusische, die baskische, die Kastiliens sind großartig. Es ist doch völlig provinziell zu behaupten, meine ist die beste."
Jeder Nationalismus mystifiziert die Geschichte
54 Jahre alt ist Kiko Zaragoza, er ist groß und kräftig und trägt einen grauen Vollbart. Von Beruf ist er Rechtsanwalt, aber seine große Leidenschaft ist Spanien. Seine Marine, der er als Reservesoldat angehört, und seine Geschichte:
"Dieses Territorium wurde schon immer Spanien genannt. Schon vor der Zeit der katholischen Könige war das hier die spanische Mark. Die Grafschaft Katalonien bildete sich aus der spanischen Mark der Karolinger, war also schon immer Teil Spaniens."
Ob die Karolinger im 8. Jahrhundert tatsächlich eine Vorstellung von Spanien hatten, wie Kiko heute, ist allerdings umstritten. Aber jeder Nationalismus mystifiziert die Geschichte eben auf seine Weise. So machen es ja auch die Anhänger der katalanischen Unabhängigkeit, sagt der Rechtsanwalt und wischt dabei ein paar Krümel des Croissants vom Tisch:
"Später wurde Katalonien Teil des Königreichs Aragón. Das verschwand dann nach dem Spanischen Erbfolgekrieg. Franzosen und Engländer kämpften um Macht und Einfluss in Spanien. Aber damals strebten die Katalanen nicht nach Unabhängigkeit, wie sie jetzt behaupten. Das ist völlig falsch."
In Katalonien ist es tatsächlich ein wichtiges Datum: Am 11. September 1714 eroberten die Truppen Philipps V. Barcelona, mit ihm saß erstmals ein Bourbone auf den spanischen Thron. Katalanische Nationalisten sehen darin den Beginn der spanischen Herrschaft über die Region, während sie für Kiko schon immer spanisch war.
Er hätte wohl nichts dagegen, ein spanischer Patriot genannt zu werden. Dabei stammt er nicht aus Madrid, und zu Hause sprachen die Eltern auch nicht spanisch, sondern das dem Katalanischen sehr ähnliche Valencianisch:
"Es stimmt einfach nicht, dass die Regionalsprachen verboten waren, wie die Unabhängigkeitsbefürworter behaupten. Mein Vater war 17 Jahre lang während der Diktatur Bürgermeister von Benidorm. Sie wurden nicht in der Schule unterrichtet, das stimmt. Aber bei den öffentlichen Versammlungen sprachen die Stadtverordneten bis zum Bürgermeister alle Valencianisch."
Als Bürgermeister habe sein Vater Pedro 1953 sogar durchgesetzt, dass Frauen an den Stränden von Benidorm erstmals in ganz Spanien einen Bikini tragen durften. Mitten in der dunklen Diktatur, erzählt er stolz.
Regierung hätte Zwangsverwaltung härter durchsetzten müssen
Kiko geht vom Balkon in sein Büro und zählt dabei die Gerichtsurteile auf, die eine Abstimmung über die katalanische Unabhängigkeit ausdrücklich für verfassungswidrig erklärt hatten.
Die Regierung Rajoy hätte die Zwangsverwaltung darum noch viel härter durchsetzen müssen, schimpft Kiko. Zu irgendwas seien die Gerichte doch schließlich da.
Im Büro stehen neben vielen Gesetzesbänden auch viele weitere Flaggen. Unter ihnen das Rot-Gelb-Rot Spaniens mit einem Adler statt des heutigen Wappens. Die "Henne", wie viele Spanier abfällig spotten, wird meist als Symbol für Ex-Diktator Franco gesehen. Alles Unfug, sagt Kiko und hängt die Fahne ein wenig höher, sodass der Adler besser zu sehen ist:
"Nach Francos Tod wurde sie ein wenig abgeändert. Das war 1977. In dem ein Jahr später beschlossenen Verfassungstext ist dieses Wappen abgebildet. Erst 1981 verschwand der Adler. Er ist also weder vordemokratisch noch ein Verstoß gegen die Verfassung. Aber gut, das ist der historische Analphabetismus der heutigen Zeit ..."
Doch nicht nur für katalanische Nationalisten, auch für Vertreter der Linken in Spanien ist jemand, der sich mit dieser Fahne schmückt, ein, so wörtlich: "facha".
"Was heißt 'facha'? Faschist? In Barcelona ist die Admiral-Cervera-Straße jetzt in Pepe-Rubiánes-Straße umbenannt worden. Weil der Admiral Cervera ein 'facha' gewesen sei, hat Bürgermeisterin Colau gesagt. Doch er ist 1909 gestorben. Der Faschismus ist erst zehn Jahre später in Italien entstanden. Franco ist 1975 gestorben. Man kann von ihm halten, was man will. Die Würmer haben ihn aufgefressen. Dass die Katalanen jetzt sagen, das sei 'facha', ist mir völlig unverständlich."
Die Flagge an seinem Fenster sei eine Reaktion, sagt Kiko, weil die katalanischen Nationalisten doch behaupten, Spanien sei schlecht. Dabei ist er doch stolz auf sein Land. Er wird die Fahne darum auch so schnell nicht wieder abhängen.