Der Veranstaltungsraum im Presseklub ist klein und dennoch nur zur Hälfte gefüllt. Der Moderator behilft sich mit Scherzen über den spanischen Philosophen Ortega y Gasset, bekannt für seine Skepsis gegenüber Massenbewegungen.
Gäste an diesem Abend sind der katalanische Verfassungsrechtler und Unabhängigkeitsgegner Francesc de Carreras sowie Santi Villa, vor wenigen Monaten noch Minister im Kabinett von Ex-Regierungschef Puigdemont. Sie diskutieren darüber, wie sich der Konflikt so zuspitzen konnte. Doch Santi Vila will auch in die Zukunft blicken:
"Auch wenn wir es nicht sind: Aus rein pragmatischen Gründen sollten wir uns alle ein bisschen blöd stellen und diese Polarisierung vergessen. Die Politik ist überpräsent, in allen Bereichen unseres Lebens. Alle sind auf eine sehr emotionale Weise politisch geworden. Das bringt uns nur weitere Frustrationen und schadet der Marke Barcelona, der Marke Katalonien und der Marke Spanien."
Mit "blöd stellen" meint der Politiker, beide Seiten sollten die vergangenen Jahre der Konfrontation am besten vergessen, bei Null beginnen.
Augen vor dem größer werdenden Konflikt verschlossen
Die Diskussion mit Verfassungsrechtler Carreras und Politiker Vila ist Teil der Veranstaltungsreihe "Plurales Spanien, Plurales Katalonien", die der spanische Presseverband "Europäische Journalisten" im Wechsel in Madrid und Barcelona organisiert:
Juan Oñate sitzt mit seiner Kollegin Rosa Paz in einem Madrider Straßencafé und erklärt, wie sie 2013 auf die Idee zur Diskussionsreihe kamen.
"Wir haben gesehen, dass dieser Konflikt immer größer wird, aber alle die Augen davor verschlossen haben. Niemand wollte davon etwas wissen. Wir als Journalistenverband aber wollten etwas unternehmen. Warum nicht Leute mit gegensätzlichen Standpunkten zusammenbringen? Natürlich Leute, die noch mit sich reden lassen."
Journalistin Rosa Paz nickt. Trotz gegensätzlicher Ansichten gebe es zwischen manchen Gesprächspartnern sogar Freundschaften. Sonst seien die Diskussionen in den spanischen Medien meist alles andere als kultiviert:
"Als ich noch in Barcelona gelebt habe, konnte ich das gut beobachten: Wenn das katalanische Fernsehen jemanden aus Madrid einlädt, um über das Thema zu diskutieren, ist das immer jemand, der eine sehr extreme Position vertritt. Und in Madrid genauso. Die Radikalen bekommen ihre Plattform, während die moderaten Stimmen untergehen, die bereit sind zum Dialog, zum gegenseitigen Verständnis."
Sich anzuschreien bringt mehr Quote
Dabei bildeten die moderaten Stimmen sogar die große Mehrheit, glaubt Juan. Doch eine Sendung mit Leuten, die sich gegenseitig anschreien, bringe eben bessere Einschaltquoten.
Rosa hat 12 Jahre bei der Tageszeitung "La Vanguardia" in Barcelona gearbeitet, sei verliebt in die Stadt, sagt sie und wärmt ihre Hände an diesem kühlen Vormittag an einer großen Tasse Milchkaffee. Doch auch in Madrid fühle sie sich wohl. Dabei herrscht zwischen den beiden größten spanischen Städten eine ebenso große Rivalität, in beiden pflegt man gerne seine Vorurteile:
"Als ich in Barcelona gearbeitet habe, hab ich oft von Kollegen gehört, in Madrid sind alle 'fachas'. Und umgekehrt höre ich in Madrid auch viel Blödsinn über Barcelona. Ich hingegen will nach meiner Pensionierung gerne nach Barcelona zurück. Aber ich empfinde auch Madrid als sehr angenehm. Wir sitzen in einem der vielen Straßencafés, die sicher zu den schönsten Dingen der Stadt gehören."
Aber den beiden geht es bei ihren Diskussionsrunden über Katalonien nicht nur darum, Vorurteile abzubauen. Auch die große Lösung spielt eine Rolle, so schwierig sie auch sein mag.
"Ja, wir hatten zwei der sogenannten Väter der spanischen Verfassung eingeladen. Den Katalanen Miquel Roca und Miguel Herrero de Miñón von der konservativen Partei der späten 1970er-Jahre, der damaligen Volksallianz. Beide waren sich einig, dass die Verfassung reformiert werden muss."
Doch dazu müssten eben auch die heutigen Konservativen einverstanden sein, unterbricht Rosa ihren Kollegen:
"Ich bin nicht sehr optimistisch. Es gibt Leute, die sagen, jetzt bringt die neue sozialistische Regierung von Pedro Sánchez auch Katalonien in Ordnung. Ich weiß nicht, ob das möglich ist, dafür braucht es mehr als ein halbes oder ganzes Jahr. Ich bin schon zufrieden, wenn jetzt erst mal der Druck herausgenommen wird und dieser Konflikt jetzt erst einmal abkühlt."
Juan blickt nervös auf sein Handy. Sein Parkticket läuft ab. Und im Büro warten die Pläne für die Veranstaltungen nach der Sommerpause. Dann wollen sie darüber diskutieren, was Spanier und Katalanen eigentlich noch gemeinsam haben. Und das sei für die große Mehrheit immer noch deutlich mehr, als das, was sie trennt, sind Juan und Rosa überzeugt.