Tobias Armbrüster: Warum hat er das gemacht? Warum hat der amerikanische Außenminister Mike Pompeo gestern in letzter Minute seinen Deutschland-Besuch abgesagt? Viele haben sich das gestern den Tag über gefragt, nach dieser Absage gestern Mittag. Seit dem Abend ist nun bekannt: Mike Pompeo ist spontan in den Irak geflogen. Dieser Besuch soll vor allem Symbolwirkung haben und dem Irak den Rücken stärken gegenüber dem Nachbarn Iran. Am Telefon ist der Publizist und Nahost-Experte Michael Lüders. Herr Lüders, was ist da gerade genau los zwischen dem Iran und dem Irak?
Michael Lüders: Die Lage spitzt sich gefährlich zu. Wir haben in den letzten Wochen ja eine Verschärfung der amerikanischen Tonart gegenüber dem Iran erleben können. Zum einen haben die Amerikaner die Revolutionsgardisten, die Elite-Miliz des iranischen Regimes als eine Terrormiliz bezeichnet. Dies war das erste Mal überhaupt, dass ein Land die militärische Institution eines anderen Landes als eine Terrororganisation bezeichnet hat. Das verheißt nichts Gutes. Und dann jetzt zum 1. Mai haben ja die fünf großen Länder, die bislang noch Erdöl mit Hilfe einer Sondergenehmigung der USA importieren durften, diese Genehmigung ebenfalls verloren: Südkorea, China, Japan, Indien, die Türkei. Die Zeichen stehen auf Zuspitzung. Sowohl der Verteidigungsminister Pompeo wie auch der nationale Sicherheitsberater John Bolton, die beide federführend die Iran-Politik der USA bündeln, sind offenbar bereit, gegebenenfalls auch einen Showdown mit dem Iran zu riskieren.
Armbrüster: Wie groß ist denn das, oder wie deutlich ist denn das Säbelrasseln der Iraner gegenüber dem Nachbarland, gegenüber dem Irak?
Lüders: Die Amerikaner wissen natürlich, dass es im Falle einer militärischen Auseinandersetzung mit dem Iran zu Gegenschlägen des Iran kommen wird. Der Iran ist militärisch den USA, Israel und Saudi-Arabien, den drei Widersachern der Islamischen Republik, hoffnungslos unterlegen. Sie werden sich auf einen asymmetrischen Krieg verlegen, die Iraner, wenn es zu einem solchen kommen sollte, und das bedeutet konkret, dass amerikanische Ziele im Irak angegriffen werden könnten als Vergeltung. Darüber machen sich die Amerikaner wahrscheinlich Gedanken. Ich vermute, dass dieser Besuch in Bagdad des US-Außenministers auch zum Ziel hat, der irakischen Regierung klar zu vermitteln, dass man hier Unterstützung der irakischen Regierung für die Amerikaner verlangt. Das ist nicht ganz einfach, denn die Regierung in Bagdad, die ja ebenfalls von Schiiten getragen wird, wie auch die in Teheran, ist eng mit dem Iran verbunden und muss hier einen Spagat versuchen, einerseits die guten Beziehungen zu den USA aufrecht erhalten. Andererseits aber kann es sich der Irak nicht erlauben, mit dem Iran Spannungen heraufzubeschwören.
Krise könnte sich massiv und gewalttätig entladen
Armbrüster: Welchen Eindruck haben Sie? Wie gut funktioniert dieser Spagat der Schiiten im Irak?
Lüders: Das ist ganz schwer zu ermessen. Ich glaube, im Augenblick erleben wir eine Situation, wo alle Beteiligten, mit Ausnahme vielleicht einiger weniger Akteure in den USA, nicht wirklich wissen, wie es weitergeht in der Region. Die irakische Regierung ist schwach. Sie kontrolliert beileibe nicht das ganze Land. Es gibt viele Sympathien auf Seiten der schiitischen Bevölkerung für die iranische Bevölkerung. Wenn es wirklich zum Äußersten kommen sollte, kann niemand voraussehen, welche Reaktionen es geben wird. Sie werden wahrscheinlich schlimmer ausfallen, als wir uns das gegenwärtig vorstellen wollen. Die Gefahr besteht insbesondere darin, dass selbst für den Fall, dass die USA jetzt nicht den unmittelbaren Showdown suchen, ein solcher herbeigeführt wird, und sei es nur durch einen misslichen Zufall, dass versehentlich der falsche Mann zur falschen Zeit den falschen Knopf drückt, und dann mag man sich nicht vorstellen, was dann passiert.
Es gibt vor allem auch keine direkten Kommunikationskanäle mehr zwischen Washington und Teheran. Es gibt kein Rotes Telefon. Wenn es zur Krise kommt, dann wird diese Krise massiv und gewalttätig sich entladen, und die Europäische Union, die ja eigentlich Mitunterzeichner ist des Atomvertrages mit dem Iran, macht hier eine sehr unglückliche Figur. Weder Großbritannien noch Frankreich noch Deutschland, die drei entscheidenden Signalstaaten, haben bislang erklärt, wie sie sich in diesem Konflikt verhalten wollen, oder auch den USA signalisiert, dass sie mit dieser Politik der Konfrontation nicht einverstanden sind.
"Die USA haben völkerrechtlichen Vertragsbruch begangen"
Armbrüster: Herr Lüders, jetzt bekommen wir an diesem Mittwochmorgen aus Teheran die Nachrichten, dass sich der Iran nicht mehr so ganz an das Atomabkommen halten will, dass das Land zumindest teilweise aussteigen will, dass es nicht mehr alle Regularien anerkennen will. Genaue Details sind dazu noch nicht bekannt, aber diese Nachricht, diese Anmerkung aus Teheran gibt es schon. Teilweiser Ausstieg aus diesem Atomabkommen – was heißt das genau für die Länder, die sich an dieses Abkommen noch halten, darunter ja auch die Länder der Europäischen Union?
Lüders: Es ist zunächst einmal ein weiterer Schritt in Richtung einer weiteren Eskalation. Heute genau vor einem Jahr haben die USA das Atomabkommen mit dem Iran aufgekündigt, obwohl der Iran laut der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien sich an alle Auflagen des Atomabkommens gehalten hat. Die USA haben dem Iran gleichwohl vorgeworfen, der Iran habe gegen den Geist des Abkommens verstoßen. Insbesondere hat man den Iranern vorgeworfen, ballistische Raketen zu entwickeln und in Syrien und anderswo in der Region militärisch präsent zu sein. Das mag man Teheran auch in der Tat vorwerfen, aber diese Vorgänge waren nicht Teil des Atomabkommens.
Die Europäische Union hat dann versucht, einigermaßen diesen Vertrag am Leben zu erhalten, aber man hat sich doch nur sehr halbherzig positioniert, zu Gunsten des Irans, natürlich auch aus verständlichen Gründen. Die USA sind der wichtigere Partner. Aber man muss es ganz klar und deutlich sagen: Die USA haben einen völkerrechtswidrigen Vertragsbruch begangen mit gravierenden Folgen für den Iran, weil dadurch die Wirtschaft, die Ölexporte insbesondere massiv ins Visier geraten sind der USA und anderer. Nun nach einem Jahr reagieren die Iraner ihrerseits und signalisieren quasi, wir sind nicht länger gewillt, lediglich passiv zur Kenntnis zu nehmen, was mit uns geschieht. Wir handeln jetzt unsererseits. Die Iraner werden alles verhindern, um es zu einem vollkommenen Bruch des Atomabkommens kommen zu lassen, denn das wäre ein idealer Vorwand für einen Angriff. Aber man erhöht die Gangart, den Ton, und das macht es ja so gefährlich. Wir sind jetzt in einer Situation, wo ein Schritt zum nächsten führen kann, und der könnte durchaus Krieg bedeuten.
"Die Position der Europäer war zu halbherzig"
Armbrüster: Herr Lüders, Sie laden jetzt gerade sehr viel Verantwortung bei den Amerikanern ab. Aus amerikanischer Sicht sieht man das alles natürlich anders. Da hören wir immer wieder auch die Argumentation, dass es vor allem der Iran ist, der mit seiner wachsenden Eskalation der Gewalt, mit seinen wachsenden Drohungen in der Region die gesamte Atmosphäre für ein solches Abkommen zerstört hat. So zumindest ist immer die amerikanische Sicht zu hören. Ich würde aber gerne noch mal auf das Abkommen an sich zu sprechen kommen. Wenn sich der Iran jetzt davon distanziert, von diesem Atomabkommen, ist es dann überhaupt noch zu retten?
Lüders: Das Atomabkommen in dieser Form ist nicht mehr zu retten. Die USA haben es aufgekündigt und es gibt ja keinerlei Verhandlungsangebote Washingtons an die Adresse Teherans. Was die Amerikaner und ihre nahöstlichen Verbündeten Israel und Saudi-Arabien zu erreichen versuchen, ist eine Implosion des iranischen Regimes. Sie wollen einen Regimewechsel dort herbeiführen, und den kann man vertraglich nicht herbeiführen.
Armbrüster: Herr Lüders! Verzeihen Sie, wenn ich Sie da unterbreche. Aber vor allen Dingen die Europäer waren es ja, die mit allen Mitteln noch versucht haben, dieses Abkommen zumindest in irgendeiner Form noch am Leben zu halten. Sind diese Absichten, ist das jetzt gescheitert?
Lüders: Das ist zunächst einmal gescheitert – vor allem deswegen, weil die Haltung der Europäischen Union, insbesondere von Großbritannien, Frankreich und Deutschland, zu halbherzig war. Man hat den Amerikanern nicht deutlich genug signalisiert, dass die Europäer, dass die Europäische Union gewillt ist, an diesem Atomabkommen mit dem Iran festzuhalten. Auf der Ebene von Rhetorik hat man dies zwar getan, aber de facto hat man den Niedergang der iranischen Wirtschaft und vor allem die Handelsbeziehungen mit dem Iran nicht mit Nachdruck aufrechterhalten. Insoweit sind wir jetzt in einer ganz schwierigen Situation. Es gibt keinerlei diplomatisch überzeugende Möglichkeiten mehr, zwischen dem Iran und den USA eine Verhandlungslösung herbeizuführen, und die Zeichen stehen in der Tat auf Sturm.
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