Die militärische Eskalation stehe unmittelbar bevor, sagte Nouripour. Gerade deswegen sollten sich die Europäer nun an den Iran wenden, um das Atomabkommen zu erhalten. Die EU-Außenminister hätten im vergangenen Herbst alles Mögliche versprochen, aber nicht eingehalten, kritisierte der außenpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion. Nicht einmal Finanztransaktionen in den Iran seien möglich gemacht worden. Dass die USA in das Abkommen zurückkehrten, sei relativ ausgeschlossen.
Kommunikationsformat auf niedrigerer Ebene
US-Präsident Donald Trump wolle mit seinem Vorgehen versuchen, das "Modell Nordkorea" zu wiederholen, meint Nouripour. Er wolle Bilder, wie er in Verhandlungen den Iran überzeugt. Das habe jedoch bereits mit Nordkorea nicht geklappt. Der Iran wiederum wolle sein Gesicht wahren und sei deswegen weniger zu Gesprächen bereit als die Amerikaner. Die Hardliner in beiden Ländern schaukelten sich gegenseitig hoch.
Nouripour plädierte für ein Kommunikationsformat auf niedrigerer Ebene, etwa durch eine technische Kommission, Verbindungsoffiziere oder die Einrichung eines "roten Telefons", um die Eskalation aufzuhalten.
Das Interview in voller Länge:
Jürgen Zurheide: Der amerikanische Präsident hat den schon fast stattfindenden Angriff auf den Iran wieder gestoppt – so hat er das jedenfalls selbst gesagt. Das wirft natürlich eine Menge Fragen auf, und es gibt eine Menge Reaktionen.
Das Ganze wollen wir bereden mit Omid Nouripour von den Grünen, der jetzt bei uns am Telefon ist. Guten Morgen!
Omid Nouripour: Schönen guten Morgen!
Zurheide: Ist Herr Trump – was denn nun: Kriegstreiber, Friedensengel, und das innerhalb von Sekunden im Wechsel?
Nouripour: Na ja, diese Wechselhaftigkeit ist schon erschreckend, aber ich hoffe, dass es dabei bleibt, dass es keine militärische Eskalation gibt am Golf. Es ist bereits jetzt schon zu viel schiefgegangen, und es wird dringend notwendig, dass der Iran und die USA direkt miteinander sprechen, und sei es in einer unterschwelligen technischen Kommission, damit aus Missverständnissen nicht Kriege werden.
Das Modell Nordkorea
Zurheide: Darüber wollen wir gleich noch reden, aber ein kleiner Rückblick sei erlaubt. Sie waren ja noch vor wenigen Tagen im Iran, was war denn das jetzt mit diesem Angriff, mit dem vermeintlichen Angriff? Oder ist das eine PR-Aktion – ich würde hinzufügen, eine gefährliche PR-Aktion – gewesen?
Nouripour: Ich glaube, dass Trump eigentlich das Modell Nordkorea ein Stückchen wiederholen will. Er will die Bilder haben, wie er die Iraner in Verhandlungen davon überzeugt, Dinge zu tun, die er haben will, was in Nordkorea auch nicht funktioniert hat, aber was er propagandistisch trotzdem in seinen eigenen Milieus ausgeschlachtet hat.
Und ich glaube, dass er mit dieser Aktion tatsächlich auf der einen Seite den Iranern Druck machen wird, dass sie ins Gespräch kommen sollen und sie endlich an den Verhandlungstisch kommen sollen. Und auf der anderen Seite aber auch seinen eigenen Leuten sagen will, dass er keinen Krieg will. Unter dem Strich glaube ich nicht, dass sich so was wiederholt. Das heißt, wenn noch einmal ein Vorfall passiert und die Amerikaner noch mal ihre Bestrafungsmaschinerie hochfahren, kann ich mir nicht vorstellen, dass das noch mal gestoppt wird. Ich glaube, das war das letzte Mal. Und das ist erschreckend.
"Militärische Eskalation steht bevor"
Zurheide: Es gibt den ein oder anderen, der analysiert auch hier bei uns im Deutschlandfunk, dass er eigentlich nur noch schlechte Optionen hat. Sehen Sie das auch so?
Nouripour: Na ja, die militärische Eskalation steht unmittelbar bevor, und deshalb gibt es keine guten Optionen. Deshalb ist es erst recht wichtig, dass beispielsweise die Europäer die Iraner bedrängen und mit denen auch laut und klar darüber sprechen, nicht nur, dass sie dieses Atomabkommen erhalten, was auch auf der Kippe steht, in den nächsten Tagen bereits, sondern vor allem auch, dass sie mit den Amerikanern direkt sprechen. Nur diese direkten Gespräche, so scheint mir zumindest, werden mittelfristig eine kriegerische Auseinandersetzung aufhalten können.
"Eine Geschichte der Gesichtswahrung"
Zurheide: Jetzt sagen Sie, dass die Iraner auch mit den Amerikanern reden können. Welche Formate können Sie sich denn vorstellen? Sie haben gerade Nordkorea als Beispiel gebracht, dann treffen sich die beiden Führer. Sehen Sie denn auch – weil Sie gerade im Iran waren – Bereitschaft auf iranischer Seite für so ein, ich nenne es Spektakel?
Nouripour: Na ja, so richtig nein auf keinen Fall. Wir wollen uns nicht treffen, hat keiner gesagt, aber alle stellen die Frage, was das denn eigentlich bringen möge, weil die Amerikaner seien so unzuverlässig. Ich glaube, dass es mittlerweile zu einer Geschichte der Gesichtswahrung geworden ist und die Iraner deswegen sich dem verweigern. Deshalb sage ich ja, muss man überlegen, ob man nicht kleinere Formate findet, ob es nicht eine technische Kommission geben soll, ob nicht vielleicht Verbindungsoffiziere zusammensitzen, damit sie Wege finden, wie es so was geben kann wie ein rotes Telefon, damit das nächste Mal, wenn eine Drohne herumfliegt, es am Ende des Tages nicht nur darum geht, auf welcher Seite der Grenze ist sie abgeschossen worden, sondern wie man miteinander so kommuniziert, dass diese Drohne eben nicht abgeschossen wird und es nicht eskaliert.
Zurheide: Was sehen Sie denn im Iran? Sehen Sie im Iran den ein oder anderen, der da zuspitzt? Es ist ja denkbar, zumindest war das eine der Theorien, dass man sagt, wer weiß, ob dieser Drohnenabschuss wirklich von der Spitze – sei es der militärischen oder politischen oder der religiösen Spitze – veranlasst worden ist, sondern möglicherweise, dass da irgendeiner auch etwas zuspitzt auch auf iranischer Seite. Sehen Sie das auch?
Nouripour: Auf der einen Seite gibt es schon so was wie eine Schwächung des Systems im Iran und damit auch eine Fragmentierung der Sicherheitskräfte. Deshalb ist es denkbar, dass der eine oder andere einfach agiert, ohne dass beispielsweise die Regierung weiß, was da eigentlich genau operativ passiert.
Hardliner im Iran haben Oberwasser
Auf der anderen Seite ist es aber auch eindeutig, dass die Hardliner im Iran auch aufgrund des Drucks absolut Oberwasser haben. Das sieht man an dem massiven Druck auf die Zivilgesellschaft, an der wiederkehrenden Repression im Alltag, das sieht man aber auch an der Rhetorik. Die Rhetorik im Iran in den letzten zwei Wochen ist, nur noch davon zu sprechen nach außen über den Widerstand. Widerstand heißt am Ende des Tages, dass man tatsächlich auch in einer militärischen Auseinandersetzung bereit ist zu gehen. Und das hat wiederum Gründe, die sehr viel zu tun haben mit der iranischen Innenpolitik. Aber es ist ganz oft so, dass Hardliner auf zwei Seiten sich tatsächlich die Hand reichen und einander brauchen und sich gegenseitig hochschaukeln. Das passiert gerade, und das ist sehr erschreckend.
Zurheide: Was wir die ganze Zeit beobachten – aber das besprechen wir da nicht zum ersten Mal –, alles, was wir jetzt haben, ist schlechter als das Abkommen, was mal dagewesen ist. Nur wie kann man wieder zurückkommen in diesen Prozess, wo ja beide Seiten dann Zugeständnisse machen müssen, die Iraner genauso wie die Amerikaner, oder?
Nouripour: Es ist richtig, dass das Abkommen möglicherweise in diesem Monat noch fällt, und wir haben danach auch bei der Frage von Inspektionen und bei einem Mindesteinblick beim iranischen Atomprogramm da nicht davon zu sprechen, dass es noch Nachbarstaaten gibt, die auch dann möglicherweise schnell eine Ausrede finden würden, um nach der Bombe zu greifen. Es geht darum, dass erstens eine Geschichte erzählt werden muss, die gesichtswahrend beiden Seiten die Möglichkeiten gibt, miteinander zu sprechen. Und die Verweigerung, das Gespräch zu suchen, ist derzeit auf der iranischen Seite.
Der Präsident will reden
Auf der amerikanischen Seite gibt es sicher Leute wie Bolton und Pompeo. Die wollen nicht reden, aber die haben einen Präsidenten, der reden will – das sollte genutzt werden. Und es bräuchte Vermittler, dass zumindest Dringendes gesprochen wird. Ich glaube, dass die Europäer sich keinen Gefallen tun, wenn sie bisher zu diesem Thema eher laut schweigen. ich glaube, dass das auch in unserem Interesse ist, dass es nicht zu einem sehr, sehr großen regionalen Krieg kommt im Nahen Osten, denn das ist das, was es geben würde. Wir reden nicht nur über den Persischen Golf, in dem geschossen wird, wir reden über zahlreiche auch asymmetrische Aktionen, die die Iraner vollziehen würden in vielen Ländern im Nahen Osten, in denen sie die Kraft dazu haben.
Zurheide: Ich will nur mal in diesem Punkt die Klammer aufmachen: Dieser Glaube an diese vermeintlich chirurgischen Schläge – und diesen Begriff setze ich jetzt bewusst in Anführungszeichen, weil er ein verharmlosender Begriff für Vernichtung ist –, das ist ein völliger Irrglaube, oder?
Nouripour: Na ja, die Amerikaner wollten eine Strafaktion machen. Was sie auf dem Schirm haben sollten, ist, dass gerade mit den Hardlinern, über die ich gerade gesprochen habe, und dieser Philosophie des Widerstandes, die im Iran gerade ausgerufen worden ist vom Revolutionsführer, dass das wiederum Reaktionen geben wird darauf. Dann wiederum eine Strafaktion, und dann geht es relativ schnell Schlag auf Schlag. Und die Iraner können sehr viele militärische und paramilitärische Operationen vollziehen – in Afghanistan, im Libanon, in Syrien, im Irak, auch am Golf, in den Golfstaaten – das würde alles zu einer massiven Eskalation führen. Eine Strafaktion gegen den Iran zurzeit ist nicht wie Strafaktionen in den 90er-Jahren gegen den Sudan, das würde zur nächsten Strafaktion und zur nächsten Strafaktion führen. Und deshalb ist es umso wichtiger, dass man jetzt die wenigen Tage, die möglicherweise noch bleiben, bevor es eskaliert, nutzt, damit es Gespräche gibt.
"Im Iran wird auf Europa geschaut"
Zurheide: Jetzt haben Sie gerade von Europa gesprochen, da frage ich mich angesichts der Debatten, die wir da auf Gipfeln haben zu Personalien, wer ist eigentlich gerade Europa, kennen Sie da noch jemanden?
Nouripour: Es gibt beispielsweise drei Staaten der Europäischen Union, die das Atomabkommen mitverhandelt und unterzeichnet haben. Diese drei haben Außenminister, die sind auch noch da. Ich gebe zu, der britische ist gerade mit anderen Dingen beschäftigt, der will Premierminister werden, aber es gibt immer noch zwei Außenminister – Heiko Maas war ja vor wenigen Tagen schon in Teheran. Ich glaube, dass es notwendig ist, dass diese Außenminister der Europäischen Union, selbst der drei Signatarstaaten, tatsächlich zusammenkommen und darüber reden, wie man jetzt Einfluss nehmen kann auf die Situation. Im Iran wird auf Europa in der Tat geschaut. Im Iran wird in der Tat drauf gehofft, dass die Europäer beispielsweise einen substanziellen Beitrag dazu leisten, damit das Abkommen gerettet werden kann, auch wenn die iranische Seite mittlerweile ziemlich entschieden scheint, das Atomabkommen auch zu verlassen, wie es die USA getan hat.
EU-Außenminister haben nicht geliefert
Zurheide: Ja, nur da liegt ja genau das Problem, den Amerikanern müsste man irgendetwas anbieten können, wenn sie wieder zurückkommen, dass die Iraner auch was tun, aber diese Vermittlungsmission scheint extrem schwierig.
Nouripour: Die Amerikaner zurück ins Abkommen zu bekommen, halte ich für relativ ausgeschlossen. Wobei wir dieses Thema Abkommen auch zwar nicht in der Gesamtlage, aber technisch zumindest trennen müssen von der Frage der militärischen Eskalation. Aber die Iraner im Abkommen zu halten, heißt, dass die weiterhin Inspektionen zulassen, dass die weiterhin beispielsweise die Menge von Uran, was angereichert wird, limitiert halten, die Zahl der Zentrifugen unten halten und so weiter und so fort. Die EU-Außenminister haben im September letzten Jahres alles Mögliche versprochen, was die Iraner dafür bekommen würden. Die haben ehrlich gesagt nicht geliefert, und es gab auch nicht besonders viel Emphase dafür. Das heißt, es ist nicht einmal geschafft worden – und das hat tatsächlich auch was mit dem Level des Engagements zu tun –, es ist nicht mal geschafft worden, dass Finanztransaktionen mit dem Iran möglich sind. Das sehen wir bei humanitären Fragen: Ich habe die Tage mit einer Pharmafirma in Deutschland gesprochen, die mir sagen, die wollen Medikamente in den Iran verkaufen. Die Iraner haben das Geld da liegen, können aber nicht bezahlen, weil sie nicht wissen, wie sie es transferieren sollen. Und das ist die Grundlage, über die wir hier sprechen, und da müssen die Europäer sich auch fragen, ob sie seit September letzten Jahres genug getan haben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.