Dirk-Oliver Heckmann: Befand sich die amerikanische Drohne, die durch das iranische Militär abgeschossen wurde, über internationalem Gebiet, oder war sie in iranisches Hoheitsgebiet eingedrungen? Die Behauptungen Washingtons und Teherans widersprechen sich diametral. Fest steht, dass nicht viel fehlen dürfte, bis es zu einem handfesten Schlagabtausch kommen könnte. Heute Nacht war es offenbar beinahe schon so weit. Flugzeuge seien bereits in der Luft und Schiffe in Position gewesen.
Mitgehört hat Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Ihn erreichen wir am Flughafen in Tel Aviv. Schönen guten Tag, Herr Steinberg.
Guido Steinberg: Guten Tag, Herr Heckmann.
Heckmann: Herr Steinberg, wie wahrscheinlich ist es, dass "New York Times" und "Washington Post" recht haben mit ihrer Darstellung, dass ein durch Trump bereits befohlener Militäreinsatz kurz vor knapp wieder abgesagt worden ist?
Steinberg: In der Regel sind das seriöse Zeitungen, die sich auf hervorragende Quellen in der Administration berufen können. Wir müssen diese Berichte tatsächlich ernst nehmen. Zweitens gibt es nun mal die Berichte vom Persischen Golf und da kann man beobachten, dass seit letztem Monat, seit den ersten Attacken auf Tanker vor der Küste der Vereinigten Arabischen Emirate, das iranische Militär seine Aktionen hat eskalieren lassen. Ich denke, dass diese gesamte Darstellung realistisch ist und dass sie uns darauf hinweist, dass eine militärische Reaktion der Amerikaner ganz kurz bevorstehen könnte. Spätestens dann, wenn amerikanisches Personal zu Schaden kommt bei diesen Auseinandersetzungen, müssen wir mit größeren Militärschlägen rechnen.
"Überraschend, dass die Drohne getroffen werden kann"
Heckmann: Der USA-Experte Josef Braml hat heute Früh bei uns im Deutschlandfunk gesagt, es läuft seiner Ansicht nach auf jeden Fall auf einen Militärschlag hinaus. Sehen Sie das auch so?
Steinberg: Ich würde das nicht so apodiktisch formulieren. Aber wenn die Eskalation der iranischen Angriffe, die wir beobachten können, sich fortsetzt, dann ist tatsächlich eine militärische Reaktion unausweichlich. Und es gibt ja auch noch ein zweites Thema, abseits vom Golf: die möglicherweise wieder aufgenommene Uran-Anreicherung ab dem 7. Juli. Wenn die Iraner tatsächlich bei der Uran-Anreicherung auf 20 Prozent gehen, wie sie das bereits angekündigt haben, dann denke ich, dass wir es auch nicht nur mit amerikanischen Reaktionen zu tun haben werden, sondern etwas längerfristig auch mit einem israelischen Militärschlag.
Heckmann: US-Präsident Trump hat ja gesagt, dieser Abschuss der amerikanischen Drohne durch den Iran, vielleicht sei es ein Fehler gewesen eines subalternen Befehlshabers des Iran. Amerikanische Militäranalysten bezweifeln das. Sie auch?
Steinberg: Ja, ich bezweifele das tatsächlich, dass das ein Fehler gewesen sein kann. Das Überraschende ist ja tatsächlich, dass diese Drohne, die sehr, sehr hoch fliegt, von den Iranern überhaupt getroffen werden kann. Hier handelt es sich aus meiner Sicht um ein ganz klares Signal der Iraner, dass sie auch in der Lage sind, US-Ziele zu treffen, und zwar US-Ziele, von denen auch das US-Militär ausgegangen ist, dass die Iraner das technisch überhaupt nicht können. Und wir sehen ja tatsächlich auch eine Eskalation der Angriffe. Der nächste Schritt wäre ein Angriff auf amerikanisches Personal. In diese Eskalation passt nun auch der Angriff auf ein amerikanisches Ziel, auf ein unbemanntes amerikanisches Ziel. Deswegen gehe ich davon aus, dass das geplant war und dass das wahrscheinlich sogar in Teheran angeordnet wurde.
Heckmann: Der oberste Demokrat im Senat, Chuck Shumer, der hat gesagt: "Der Präsident mag nicht vorhaben, einen Krieg zu beginnen, aber wir haben die Sorge, dass er in einen Krieg stolpert." – Hat er recht?
Steinberg: Ja, damit hat er auf jeden Fall recht. Wir sehen das ja. Es gibt in den USA in der Regierung durchaus zwei Lager. Es gibt die Falken um den Außenminister Pompeo und vor allem den nationalen Sicherheitsberater Bolton, die wahrscheinlich schon gehandelt hätten, wenn sie sich durchgesetzt hätten. Wir haben auf der anderen Seite Donald Trump, der seinen Wählern versprochen hat, einen großen Krieg zu vermeiden. Diese beiden Lager streiten noch miteinander. Wenn allerdings, wie eben schon gesagt, amerikanisches Personal getroffen wird, wenn beispielsweise Raketen iranisch kontrollierter Milizen im Irak ein amerikanisches Ziel treffen, dabei amerikanische Soldaten zu Schaden kommen, dann wird der Druck auf diese Administration sehr groß werden, militärisch zu reagieren, selbst wenn sie das überhaupt nicht geplant hat.
"Anlass die ist Aufkündigung des Atomabkommens"
Heckmann: Die Amerikaner haben ja das Atomabkommen mit dem Iran einseitig aufgekündigt. Jetzt diese fortschreitende Eskalation. Ist Donald Trump, ist Washington an allem schuld?
Steinberg: Das sicherlich nicht. Aber der Anlass für diese Eskalation ist tatsächlich die Aufkündigung des Atomabkommens und die anschließende Wiedereinführung beziehungsweise neue Verhängung von Sanktionen. Die Iraner werden so massiv unter Druck gesetzt, dass sie aus ihrer Sicht reagieren müssen. Mit dieser Eskalation der Angriffe und mit der Ankündigung, das Atomabkommen möglicherweise teilweise zu verlassen, versuchen sie ja, Druck aufzubauen in der Weltpolitik auf die Amerikaner. Sie versuchen, die Europäer zu gewinnen, die sie ja mit ihrem Ultimatum zur Uran-Anreicherung direkt angesprochen haben. Sie versuchen, die Chinesen und die Russen zu gewinnen, und das ist eine Politik, die auf jeden Fall darauf zurückgeht, dass der amerikanische Druck so angestiegen ist. Das große Problem ist, dass die Trump-Administration zum Abkommen und zur Entspannung mit den Iranern, wie von Obama beabsichtigt, keine Alternative anbieten.
Heckmann: Welche Schritte müssten erfolgen, um eine Eskalation am Golf noch zu vermeiden? Vielleicht drei Punkte?
Steinberg: Ich würde sagen, dass zunächst einmal die Iraner die Eskalation ihrer Maßnahmen beenden müssen, um die Amerikaner nicht zu provozieren. Es ist tatsächlich so, dass die Aufkündigung des Atomabkommens der Anlass ist, aber nun begeben sich die Iraner mit ihren Aktionen immer weiter ins Unrecht und liefern wiederum ihren Feinden in den USA Anlässe. Sie müssen darauf verzichten.
Sie sollten zweitens darauf verzichten, ihre Uran-Anreicherung in einem Maße hochzufahren, wie sie das angekündigt haben – auf 20 Prozent. Und dann müsste die US-Regierung tatsächlich ernsthafte Verhandlungsangebote machen. Dass das geschieht, und zwar in all diesen drei Punkten, halte ich für sehr unwahrscheinlich. Ich glaube, dass eine Eskalation kaum noch zu vermeiden ist.
Heckmann: Was könnte Europa tun?
Steinberg: Europa zeigt sich hier leider als sehr, sehr schwacher Akteur und es zeigt sich aus meiner Sicht wieder etwas diese eklatante Diskrepanz zwischen dem eigenen Anspruch und der Wirklichkeit. Die Europäer haben geglaubt, weil sie das Atomabkommen unterzeichnet haben im Jahr 2015, seien sie ein gleichberechtigter Akteur. Allerdings ist dieses Atomabkommen im faktischen Kern eines zwischen den USA und dem Iran. In dem Moment, als die Amerikaner ausgeschert sind, war es auch faktisch beendet. Wenn die Trump-Administration nächstes Jahr wiedergewählt wird, dann ist auch das Atomabkommen am Ende und die Europäer haben keine andere Möglichkeit, als in Teheran zur Vernunft aufzurufen. Das hat der Außenminister Maas schon gemacht. Allerdings ohne, dass das irgendwelche Ergebnisse gehabt hätte. Das zeigt aus meiner Sicht die ganze Machtlosigkeit der Europäer in dieser Krise.
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