Pflastersteine, bengalische Feuer, sogenannte „Polenböller“ – am Nachmittag des 21. Dezember des vergangenen Jahres kommt es im Schanzenviertel zu den schwersten Auseinandersetzungen seit Jahren in Hamburg. Etwa 7.000 Demonstranten haben sich versammelt, darunter viele gewaltbereite Autonome und Linksextremisten – Krawalltouristen aus dem ganzen Bundesgebiet und sogar aus dem europäischen Ausland. Dieser Schwarze Block setzt sich vor der verabredeten Zeit in Bewegung, die Polizei stellt sich ihm in den Weg. Begründung: Der Verkehr auf den umliegenden Straßen sei noch nicht zum Erliegen gekommen. Es beginnt eine Straßenschlacht: "Krasse Gewalt. Furchtbar. Dass es so schnell eskaliert, hätte ich auch nicht gedacht. Es gab wohl erste Steinwürfe. Aber da kam auch direkt als Reaktion die Wasserkanone und hat die Leute zurückgetrieben in die Schanze und ab da war ... es war heftiges Kämpfen."
Friedliche Demonstranten flüchten in umliegende Cafés, Passanten suchen Schutz in einem Drogeriemarkt, zahlreiche Fensterscheiben gehen zu Bruch. 171 verletzte Beamte zählt die Polizei am Ende des Tages, 22 von ihnen schwer. Die Organisatoren der Demonstration sprechen von 460 Verletzten in ihren Reihen, auch unter ihnen Menschen mit Knochenbrüchen und Platzwunden. Zu überprüfen sind diese Angaben nicht, „Kampfzahlen“ nennt sie deshalb der Hamburger Innensenator Michael Neumann: "Wir haben es mit einer Herausforderung zu tun, dass Menschen Behauptungen aufstellen, sich aber weigern, sie zu belegen. Es werden keine Zeugen benannt, diese Verletzten sind nicht greifbar."
Es ist ein Kampf um die Deutungshoheit der Ereignisse in der Stadt. Für den Innensenator ist klar: "Wir haben eine Veränderung der Qualität mit dieser Gewalt, nicht nur gegen Dinge, sondern auch gegen Menschen, insbesondere gegen Polizistinnen und Polizisten. Das hat eine neue Qualität, auch in Hamburg, und wir werden entschlossen dagegensteuern. Mit Leuten, die Gewalt ausüben, gibt es keine Diskussion."
Die Stimmung ist aufgeheizt in Hamburg, auch noch Wochen nach den Ereignissen. Ob der frühzeitige Stopp der Demonstration möglicherweise zur Eskalation beigetragen hat, ob das Demonstrationsrecht von friedfertigen Bürgern dabei unter die Räder kam – wer solche Fragen stellt, läuft in Hamburg derzeit Gefahr, als Sympathisant der Gewalttäter verdächtigt zu werden.
Die Polizei dagegen schwimmt auf einer Welle der Sympathie und gibt sich sicher, alles richtig gemacht zu haben. Rafael Behr, Professor an der Hochschule der Polizei in Hamburg, hält die Reaktion der Beamten auf den Schwarzen Block für überzogen. Die Lage am 21. Dezember sei dramatischer eingeschätzt worden als sie tatsächlich gewesen sei: "Ich will das nicht verniedlichen, aber es soll keiner so tun als sei heute eine Dramatik erreicht, die wir noch nie hatten. Was wahr ist: Die letzten Generationen hatten das nicht mehr. Wir sind weitgehend gewaltentwöhnt in unserer Gesellschaft. Das poppt immer mal wieder so auf, aber wir sind weitgehend von den großen gesellschaftlichen Konflikten weg, zeitlich. Und deswegen ist das Erschrecken, dass es jetzt wieder so stattfindet, so groß."
In Hamburg kommen zurzeit mehrere sensible Themen zusammen: die Debatte um die Rote Flora, ein autonomes Kulturzentrum, Symbol des linken Widerstandes, dann der Umgang der Stadt mit den Lampedusa-Flüchtlingen und nicht zuletzt die Gentrifizierung der Stadt, in der Wohlhabende immer stärker die aufgehübschten, innenstadtnahen Viertel beziehen und Arme, Studenten und Rentner in die Randbezirke verdrängen.
Diese Konflikte seien längst entschärft gewesen, meint dagegen der Innensenator. "Es gibt keine politische Fragestellung in unserem demokratischen System, die auch nur in Ansätzen dazu gerechtfertigt wäre, Gewalt anzuwenden. In dem Sinne spreche ich denjenigen, die das getan haben, jedwede politische Berechtigung ab. Ich gehe sogar so weit zu sagen, dass aus meiner Sicht Anlässe hier nur missbraucht worden sind, um Gewalt auszuüben."
Hat die Polizei in Hamburg eine Radikalisierung der Szene bewusst in Kauf genommen? Rafael Behr von der Hochschule der Polizei liefert dafür Anhaltspunkte. Die Einsatzlinie in Hamburg bezeichnet der Soziologe als restriktiv. Mit dem Rechtspopulisten Schill als Innensenator habe es 2001 einen konservativen Schub in der Polizei gegeben. Die Verhärtung der Verhältnisse habe auch damit zu tun, dass es in der Vergangenheit nicht möglich gewesen sei, neue Strategien auszuprobieren. An den entscheidenden Stellen hätten über Jahre die gleichen Akteure das Sagen gehabt. Polizeiführer folgten in Hamburg der Linie: im Zweifelsfall für massive Polizeikräfte in voller Montur. "Wenn sich ein Polizeiführer entscheidet, eine Demonstration einschließend zu begleiten, also mit massiven Polizeikräften voll aufgerüstet, und es passiert nichts dabei, dann ist völlig klar, dass er sagt: Es ist deshalb nichts passiert, weil wir diese Maßnahme gemacht haben. Wenn etwas passiert aus der Demonstrationsgruppe heraus, dann ist es in der Regel begründet mit dem hohen Gewaltpotenzial in der Demonstration. Wenn sich ein anderer Polizeiführer entscheidet, das gibt’s auch, die Polizei in den Seitenstraßen zu lassen oder sie so begleitet, dass sie nicht aggressionsfördernd wirken, nämlich ohne Helm – dann kann er, wenn nichts passiert, sagen: Es liegt daran, dass wir nicht aktiv waren. Wenn der erste Stein fliegt auf einen Polizistenkopf, der nicht geschützt ist, ist dieser Mensch weg vom Fenster. Um liberaler zu handeln, braucht man immer ein Stück Fortune. Um repressiv zu sein, oder sagen wir mal, um konservative, konventionelle Polizeistrategien zu fahren, braucht man keine Begründung. Die legitimieren sich immer selbst."
Anders als in Stuttgart oder Berlin hat Hamburg solche Experimente in den vergangenen Jahren nicht verfolgt. Polizeipräsident Wolfgang Kopitzsch hält seine Polizei für vorbildlich. "Die Polizeiführer reagieren in der Regel schon sehr besonnen und sehr erfahren und sehr routiniert. Ich will jetzt nicht andere Vergleiche herbeiziehen von anderen Städten, aber ich finde schon, dass sich die Hamburger Polizei wirklich bemüht, sehr professionell vorzugehen und zur Professionalität gehört auch Abgewogenheit. Und Ruhe und Gelassenheit."
Am 28. Dezember, eine Woche nach den gewaltsamen Zusammenstößen im Schanzenviertel, werden drei Polizisten in der Nähe der Davidwache angegriffen und dabei schwer verletzt. Die Täter werden in der linksautonomen Szene vermutet, über den Ablauf der Ereignisse gibt es allerdings bis heute widersprüchliche Angaben.
Kurz nach diesem Vorfall erklärt die Polizei weite Teile von St. Pauli, Altona und der Sternschanze zum „Gefahrengebiet“. Die Beamten dürfen dort ohne konkreten Verdacht kontrollieren. Die Empörung in den betroffenen Stadtteilen ist groß, viele Bewohner fühlen sich in ihren Grundrechten eingeschränkt und unter Generalverdacht gestellt. Polizeipräsident Wolfgang Kopitzsch verteidigt die Maßnahme: "Ein Gefahrengebiet stellt nicht die Menschen in den Quartieren generell unter Generalverdacht, das ist der völlig falsche Begriff, das gibt es auch im Polizeirecht überhaupt nicht. Völlig unzulässig. Sondern es ermöglicht der Polizei früher zu kontrollieren als es nach anderen Rechtsgrundlagen möglich wäre. Es ist genau definiert worden, warum wir es tun: weil es Übergriffe und Angriffe auf Polizeieinrichtungen, aber auch auf Polizistinnen und Polizisten gegeben hat. Und immer wieder Gruppen unterwegs waren in den benannten Gebieten, die exakt dieses Potenzial hatten und von denen Gewalt ausgehen konnte.
In Hamburg kann die Polizei allein darüber entscheiden, ob sie ein Gefahrengebiet einrichtet, formal ohne Rücksprache mit den politisch Verantwortlichen. Ein Punkt, der Christiane Schneider von den Linken besonders empört: "Wenn die halbe Innenstadt in einen kleinen Ausnahmezustand versetzt wird, dann ist es untragbar, dass das weder der Senat beschließt, und es noch mehr untragbar, dass die anderen Gewalten, also die Legislative oder die Gerichte, keinerlei Recht auf Vorbehalt haben. Die Maßnahmen können erst Jahre später überprüft werden und das geht überhaupt nicht."
Die Opposition in der Bürgerschaft will den „Gefahrengebieten“ nun durch Parlamentsbeschluss die gesetzliche Grundlage entziehen.
"Sonderrechte" auch für die Berliner Polizei
Berlin, U-Bahnstation Wilmersdorfer Straße. Vier Polizeibeamte in Zivil schlendern den Bahnsteig entlang. An der Treppe steht ein junger Mann, der offenbar auf jemanden wartet. Als er die Polizisten auf sich zukommen sieht, nimmt er Reißaus. Die Beamten jagen ihm hinterher. "Schönen guten Tag, die Berliner Polizei, Personenüberprüfung. Zeigen Sie mir mal bitte Ihre Hände, bevor wir anfangen, Danke schön. Haben Sie Ausweispapiere dabei? Sprechen Sie Deutsch? Nein."
Der junge Mann ist blass geworden. Er schüttelt den Kopf und zuckt mit den Schultern.
"Muss ich Sie trotzdem belehren: Es stellt hier 'nen kriminalitätsbelasteten Ort dar; hier kann die Polizei verdächtige Personen überprüfen; aus diesem Grunde werden wir Sie jetzt durchsuchen, ob Sie Ausweispapiere dabei haben, Betäubungsmittel, Messer, Waffen etc., okay? Dann bitte die Arme zur Seite. Ja, Danke schön."
Vor allem, um den Rauschgifthandel wirksamer bekämpfen zu können, wurden der Polizei auf dieser U-Bahnstation Sonderrechte einräumt: Der Bahnhof wurde als "kriminalitätsbelastet" eingestuft. Keine neue Maßnahme: Bereits 1997 hatte der damalige CDU-Innensenator Jörg Schönbohm 20 sogenannte "gefährliche Orte" im innenstädtischen Bereich Berlins ausweisen lassen. Später, unter sozialdemokratisch geführten Landesregierungen, wurde dafür die Sprachregelung „kriminalitätsbelastete Orte“ eingeführt. Berlins Polizeisprecher Stefan Redlich: "Das heißt, wir analysieren, wo wird besonders viel mit Drogen gehandelt; wo finden Körperverletzungen statt; wo wird geraubt – und wenn es Orte gibt, bei denen das besonders häufig passiert, wird dieser Ort definiert als ‚kriminalitätsbelasteter Ort‘. Und dann hat die Polizei dort besondere Kontrollbefugnisse. Das heißt: Wir können den Ausweis kontrollieren, und wir können auch mal in die Taschen gucken von Personen, die sich dort aufhalten."
Nach Angaben von Stefan Redlich sind die besonderen Kontrollbefugnisse der Polizei an diesen Stätten durch das "Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz" des Landes geregelt. Danach erfolgt die Einstufung eines Platzes als "kriminalitätsbelastet" auf der Grundlage von Ermittlungsdaten – anders als in Hamburg sind die Gebiete in Berlin eng begrenzt. Verantwortlich für die Einstufung sind die bezirklichen Polizeidirektionen. "Das sind Parks, Grünanlagen, das ist auch mal ein Straßenzug, aber das ist immer ein regional sehr eingegrenzter Bereich, wo es Drogenhandel gibt, wo es mehr Raubüberfälle gibt als woanders und wo wir deswegen mehr kontrollieren müssen als woanders."
Anders als in Hamburg wird in Berlin nicht veröffentlicht, welche Straßen, Plätze oder Parkanlagen als "kriminalitätsbelastet" gelten. Angeblich, um die Orte nicht zu stigmatisieren. Die Oppositionsparteien im Berliner Abgeordnetenhaus - Linke, Piraten und Grüne - fordern, dass alle 'kriminalitätsbelasteten' Orte bekanntgegeben werden. Das sei ein Bürgerrecht, mahnt Benedikt Lux, Jurist und innenpolitischer Sprecher der Bündnisgrünen im Landesparlament. "Das finde ich, ist das Mindeste: Wenn man hier die Grundrechte einschränkt, dann muss das auch transparent und klar sein."
Benedikt Lux hat als Student am eigenen Leib erlebt, wie es ist, wenn die Polizei ohne Vorwarnung die Papiere sehen will. "Ich hatte das Gefühl, dass, auch wenn ich da ganz unbescholten rumsitze, die Polizei auf mich zukommen kann und ich denen dann Rede und Antwort stehen muss und, wenn ich mich dem widersetze, dann auch gleich mitgenommen werden kann. Und man hat ein Gefühl der Ohnmacht – das war nicht schön."
Strategiesuche seit den Maikrawallen von 1987
Wer an einer Demonstration teilnimmt, darf von der Polizei allerdings ohne konkreten Verdacht auf eine Straftat nicht kontrolliert und durchsucht werden. Das Recht auf freie Meinungsäußerung sei ein von der Verfassung geschütztes Gut, unterstreicht auch Berlins Polizeisprecher. Wie aber soll die Polizei mit gewaltbereiten Demonstranten umgehen? Eine Antwort auf diese Frage hat das Land Berlin lange gesucht. Genauer gesagt: Seit dem 1. Mai 1987.
An diesem 1. Mai werden in Berlin Kreuzberg ein Supermarkt abgefackelt, Feuerwehrautos blockiert, Straßenzüge verwüstet und zahlreiche Menschen schwer verletzt. Die CDU-geführte Innenbehörde reagiert mit Aufrüstung: In den Folgejahren stehen den Mai-Demonstranten in Berlin Polizisten in Reihen gegenüber; ausgerüstet mit Schutzwesten, Schilden und Helmen, oft auch mit Schlagstöcken und Tränengasmunition. An ihrer Seite polizeiliche Panzerfahrzeuge und Wasserwerfer. Die gewaltbereiten Demonstranten reagieren mit Krawall.
Nach dem Regierungswechsel im Herbst 2001 entwickelt die neue rot-rote Landesregierung eine polizeiliche Doppelstrategie, die aus De-Eskalation und Null-Toleranz besteht. Seitdem begleitet die Polizei Demonstrationen mit sogenannten Anti-Konflikt-Teams. Die setzen auf das Gespräch mit potenziellen Gewalttätern. Auch vor der Demonstration führt die Polizei Gespräche mit Anmeldern und Unterstützern. Wer dann allerdings trotzdem Steine oder Molotow-Cocktails wirft, wird mit harter Hand zur Rechenschaft gezogen.
Seit der Einführung der Doppelstrategie hat die Gewalt auf Mai-Demonstrationen in Berlin bis auf eine Ausnahme im Jahr 2009 stetig abgenommen. Weshalb auch Berlins neuer Innsenator Frank Henkel, CDU, die Doppelstrategie für richtig hält. Es gilt für den Ersten Mai, an der Strategie festzuhalten und nicht zu experimentieren.
Rufe nach Aufrüstung der Polizei in Hamburg
Auch in Hamburg sprechen Senat und Polizei von einem Erfolg ihres Modells – trotzdem fahren sie die Einschränkungen für St. Pauli, Altona und die Sternschanze nach kurzer Zeit wieder zurück. Nach einigen Tagen werden die Gefahrengebiete erst verkleinert und dann auf die Nachtstunden beschränkt. Die Menschen in den betroffenen Vierteln reagieren mit kreativem Protest: mit einer Kissenschlacht und einer Klobürste als Symbol des Widerstandes.
Am Schluss zieht die Polizei eine positive Bilanz: Durch die gezielten Kontrollen habe man potenzielle Störer erkannt und schwere Straftaten verhindern können. Rafael Behr von der Hochschule der Polizei sieht dagegen vor allem den Imageschaden für die Polizei: "Ein Gefahrengebiet auszurufen, um die Polizei zu schützen und damit ganze Stadtteile in ein Besatzungsgebiet zu verwandeln, halte ich für weit überzogen. Das schadet auch dem Ruf der Polizei. Weil sie sich zunehmend von der Bürgerpolizei zur Besatzungspolizei entwickelt."
Die Deutsche Polizeigewerkschaft dagegen bedauert, dass das Gefahrengebiet mittlerweile wieder aufgehoben wurde. Ihr Vorsitzender Joachim Lenders bezweifelt, dass es dafür sachliche Gründe gegeben habe. "Ich glaube, dass an der einen oder anderen Stelle das schon ein wichtiger Entscheidungsgrund gewesen ist, der politische Druck, der öffentliche Druck, der Mediendruck da war, das Gefahrengebiet jetzt an dieser Stelle aufzuheben."
Lenders sieht seine Kollegen weiter gefährdet und verweist auf ein Pamphlet auf einer linksautonomen Internetplattform, das zu Gewalt gegen Polizisten aufruft. Der Gewerkschafter würde die restriktive ‚Hamburger Linie‘ gerne noch weiter verschärfen. Er fordert mehr Schutz für Polizisten und Polizeiwachen, auch die Ausstattung der Beamten mit sogenannten „Tasern“, Elektroschockgeräten sei zu diskutieren. Nicht für Demonstrationen, aber im Einzeldienst. Aus den Reihen der oppositionellen CDU gab es sogar die Forderung nach Gummigeschossen.
Rafael Behr von der Hochschule der Polizei hält die Diskussion über eine solche „Maximierung des polizeilichen Einsatzspektrums“ für gefährliche Rhetorik. "Es gibt Leute auf der anderen Seite, die darauf warten, dass genau solche Dinge diskutiert werden. Weil man dann eben – das war in den Vorstadien der RAF auch so – man hat gewartet, bis der Staat tatsächlich seine grausame Seite zeigt. Wenn das erwartet wird, dann ist natürlich so eine Äußerung Öl aufs Feuer. So nach dem Motto: Wenn die aufrüsten, rüsten wir auch auf."
Die Krawalle vom Dezember erinnern den Soziologen an die Auseinandersetzungen um die Hafenstraße. Dort hatten 1981 Jugendliche zwölf Häuser besetzt, die die Stadt abreißen lassen wollte. Die Besetzung entwickelte sich zu einem Symbol für den Widerstand gegen den Staat, weit über die Stadtgrenzen hinaus. Immer wieder kam es zu regelrechten Schlachten zwischen den Besetzern und der Polizei. Als 1987 eine Räumung die Lage weiter zu eskalieren drohte, bürgte der damalige Erste Bürgermeister, Klaus von Dohnanyi, mit seinem Amt für die Durchsetzung eines neuen Pachtvertrages. Bedingung: Die Bewohner mussten die Barrikaden binnen weniger Stunden abräumen. Dohnanyis Strategie ging auf: Es kam zur Unterzeichnung eines Mietvertrages und zu einer Befriedung der Lage. "Herr von Dohnanyi hat die Hafenstraßenproblematik ganz anders gelöst, als es jetzt Herr Scholz tut. Und zwar mit einer anderen Grundhaltung: Indem er nämlich gesagt hat: Wir müssen denen die Hand reichen, die gegen uns sind. Aber mit diesem Pathos, wo gesagt wird: Das sind Verbrecher, die unsere Stadt in Schutt und Asche legen wollen, - mit diesem Pathos findet natürlich nur schlecht ein Kommunikationsangebot statt. Und das wurde schon mal anders gelöst."
Am vergangenen Samstag gingen in Hamburg wieder Bürger auf die Straße. Sie demonstrierten für eine generelle Abschaffung der "Gefahrengebiete", für ein Bleiberecht der Lampedusa-Flüchtlinge und für eine sozialere Wohnraumpolitik. Dieses Mal blieb die Lage friedlich, unter den Demonstranten waren nur wenige Vermummte. Aber dafür viele Familien, Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten. Die Konflikte in der Stadt sind also nach wie vor da. Aber die Auseinandersetzung hat sich – zumindest im Moment - zivilisiert.