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Konfrontation mit den Alten Meistern

Der Maler Georg Baselitz gibt mit einer ungewöhnlichen Ausstellung in Dresden Einblick in die Entstehung seiner Kunst. Er hat seine Werke mit vergrößerten Reproduktionen von Klassikern wie der "Sixtinischen Madonna" gepaart. Das Ergebnis ist überraschend.

Von Carsten Probst |
    "In der Schule wurde immer gesagt, dass man die Natur beobachten sollte, weil die Quelle ist immer die Natur. Für mich war die Quelle immer die Kunst, ich hab immer Bilder geschaut, und mein erster Besuch hier war natürlich das Fundament für meine ganze künstlerische Tätigkeit in der Folge, ich muss achtzehn gewesen sein, als ich hier war, also schon ziemlich weit, aber ziemlich blöd im Kopf."

    Georg Baselitz besuchte also als 18-Jähriger mit seiner Schulklasse erstmals die Dresdner Kunstsammlungen, ein Jahr, nachdem die am Ende des Zweiten Weltkrieges von der Roten Armee nach Russland geschafften Kunstschätze an die Elbestadt zurückgegeben worden waren. Die Eindrücke der zerstörten Stadt mischten sich mit denen der Alten und Neuen Meister, die für Baselitz, wie er heute sagt, ein Leben lang als Modell für viele seiner Malereien gedient hätten. In dieser Ausstellung hängen nun Baselitz-Bilder aus fünfzehn Jahren solchen immer wieder in verschiedenen Weisen erinnerten Modellen aus den Dresdner Sammlungen gegenüber.

    Es ist eine Würdigung der besonderen Art, für die die Kunstsammlungen und ihr Generaldirektor Hartwig Fischer alles getan haben, um Baselitz einen würdigen Rahmen zu bereiten, so wie sie es in anderer Form auch schon für Gerhard Richter als Sohn der Stadt getan haben. Eine bislang noch nicht renovierte und in der Rohheit ihrer Mauern überaus beeindruckende Etage des Residenzschlosses wurde freigemacht. Zwölf großformatige Gegenüberstellungen von Alt und Neu finden sich hier, unter Beteiligung einschlägiger kunsthistorischer Prominenz: Adam und Eva von Lucas Cranach dem Älteren aus dem Jahr 1531 sieht man hier etwa bezogen auf ein Remix-Bild von Baselitz' "Blick über Brüssel hinüber" aus dem Jahr 2003, ein auf dem Kopf stehendes Doppelporträt des Malers und seiner Frau; Raffaels Sixtinische Madonna neben einem Gemälde mit dem Titel "Statement": einer Ansammlung von Hunden, die wie die Madonna von sich öffnenden Vorhängen gerahmt werden, lässt sich wohl eher als ironischer Kommentar verstehen denn als tatsächliche Aneignung.

    Nicht immer sind die Beziehungen von Alt und Neu so offensichtlich. Bei manchen scheint nur der Bildaufbau oder ein Farbschema ausschlaggebend gewesen zu sein. Paula Modersohn-Beckers "Selbstbildnis als stehender Akt" von 1906 ist mit einem Selbstbildnis Baselitz' kombiniert, bei dem er sich auf dem Kopf, aber vom Bauch abwärts mit kurzer Hose und Lackschuhen gemalt hat, in derselben Trockenheit und Grobheit wie Modersohn-Becker es getan hätte, sagt Baselitz. Aber das erscheint schon eher als eine Frage der Interpretation.

    Allein, die Gemälde der Alten Meister erscheinen in dieser Ausstellung nicht einmal als Kopien, sondern lediglich als im Format aufgeblähte, hochkopierte Drucke - und das wirft in der Tat Fragen auf. Dass man hier ausschließlich Baselitz-Bilder im Original zu sehen bekommt, mag im Einzelfall, wie bei Raffaels Sixtinischer Madonna, nachvollziehbare konservatorische Gründe haben. Aber Baselitz selbst hatte offenkundig gar kein Interesse daran, sich hier mit Originalen zu umgeben:

    "Es ging nicht darum, die Bilder aus der Sammlung hier rüber zu holen, sondern es ging darum, dass ich eine sogenannte schmutzige Ästhetik vorfinden wollte. Ich hab mehr Ausstellungen gesehen, die gut gemeint waren, die dasselbe Problem enthielten, neu und alt, und dabei blieb der Alte immer auf der Strecke, egal wie berühmt er war, wie großartig er war."

    Das ist zumindest eine originelle Begründung. In der Wirkung für diese so sehr auf Würdigung ausgerichtete Schau aber ist es einigermaßen fatal. "Trashig" mag als Attribut für ein Ausstellungskonzept à la Baselitz vielleicht noch als authentisch durchgehen. Allerdings sind die hochgepixelten Reproduktionen von einer so lächerlich miserablen Qualität, dass man sich etwa angesichts von Jan Vermeers nunmehr in Bonbonfarben leuchtender "Kupplerin" fragt, ob hier vielleicht insgeheim die Berliner Vergrößerungsaktion einer Käthe-Kollwitz-Skulptur für Schinkels Neue Wache durch den damaligen Bundeskanzler Kohl Schule gemacht haben könnte - und ob aus Sicht der Dresdner Kunstsammlungen so viel kunsthistorische Selbstkasteiung am Ende nicht der Ehre doch ein wenig zuviel ist - auch für einen Georg Baselitz.