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Konjunktur "am seidenen Faden"

Der Wirtschaftsforscher Rüdiger Pohl sieht den Aufschwung in Deutschland gefährdet. "Ich will nicht sagen, dass die Konjunktur abschmiert im nächsten Jahr, das sicherlich nicht, aber sie hängt am seidenen Faden", sagte der Wissenschaftler von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Moderation: Gerd Breker |
    Gerd Breker: Am Telefon begrüße ich nun Rüdiger Pohl, Wirtschaftswissenschaftler an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Guten Tag, Herr Pohl!

    Rüdiger Pohl: Guten Tag, Herr Breker!

    Breker: Herr Pohl, wäre Ihnen auch ein schon jetzt ausgeglichener Haushalt lieber gewesen?

    Pohl: Na ja, lieber schon, aber da muss man sich natürlich auch fragen, wie kriegt man das hin? Das wäre ja nur möglich gewesen, wenn der Bund seine Ausgaben praktisch eingefroren hätte. Und nun wissen wir natürlich, dass die Hälfte der Bundesausgaben Sozialleistungen sind, und Sie wissen ja, wie die Diskussion bei uns ist. Es geht ja eher um Ausweitungen von Sozialleistungen, also der politische Wille, ein Einfrieren der Ausgaben zu machen, ist schlicht nicht da.

    Breker: Und zu Recht nicht da?

    Pohl: Das ist eine Gestaltungsfrage, natürlich. Ich meine, wir haben ja jetzt mit dem Defizit auch ein Problem, dass natürlich die Zinsausgaben 15 Prozent der Bundeseinnahmen wegschlucken, und die Zinsausgaben werden natürlich nicht sinken, solange die Nettoverschuldung nicht abnimmt oder beziehungsweise sogar ein Rückgang der Schulden zu erwarten ist.

    Breker: Zum Glück aber, Herr Pohl, sprudeln die Steuereinnahmen. Inwieweit liegt das hauptsächlich an der Mehrwertsteuererhöhung?

    Pohl: Na ja, die Umsatzsteuer ist in diesem Jahr in den ersten drei Quartalen ja schon um 16 Prozent gestiegen. Das hat natürlich eine Konjunkturkomponente, aber auch die Erhöhung und die Steuereinnahmen sind ja insgesamt sehr stark gestiegen. Nun muss man natürlich sagen, in dem Haushaltsplan für die Jahre nach 2008 sind natürlich nur noch bescheidene Steigerungen der Einnahmen eingeplant, das halte ich auch für realistisch. Das größere Problem ist, dass der ausgeglichene Haushalt 2011 wohl auch nur dann kommt, wenn man nach 2008 praktisch die Ausgaben nicht mehr steigert. Das ist natürlich ein sehr ehrgeiziges Ziel, und da möchte ich erst mal sehen, ob die Politik dafür Mehrheiten schafft.

    Breker: Das werden wir dann gemeinsam sehen, Herr Pohl. Lassen Sie uns über die Haushaltsrisiken reden. Inwieweit ist die gut laufende Konjunktur etwas, was notwendig ist, damit die Pläne so funktionieren?

    Pohl: Ja, sie ist absolut notwendig auf der Einnahmenseite. Wir sehen das ja auch an den Einkommenssteuern, die stark steigen, und sie ist aber auch notwendig auf der Ausgabenseite, weil das das Sozialbudget entlastet. Nun muss man natürlich sagen, die Konjunktur fürs nächste Jahr hängt wirklich am seidenen Faden, denn von den Investitionen vom Außenhandel erwarten wir ja keine großen Impulse mehr, alles hängt also daran, dass der Konsument konsumfreudig wird und bleibt. Das ist natürlich jetzt eine Hoffnung, die wir haben bei den Preissteigerungen, die jetzt angesagt sind, aber vielleicht eine vage.

    Breker: Wie kann denn das erreicht werden? Heißt das, dass in den Tarifauseinandersetzungen des kommenden Jahres von Arbeitnehmerseite ordentlich gefordert werden muss, einfach um das Standbein Binnennachfrage zu sichern?

    Pohl: Also ich denke, dass in allen Prognosen natürlich drin ist, dass die Lohnsteigerungsrate im kommenden Jahr höher sein wird als in den letzten Jahren. Das ist ja auch angemessen hinsichtlich der konjunkturellen Entwicklung, natürlich keine zweistelligen Zahlen sind da drin. Aber das Problem ist, dass Sie sich natürlich die Frage stellen müssen, was machen die Leute mit ihren Ersparnissen. Sparen sie wirklich etwas weniger, so wie das eigentlich viele Prognostiker jetzt unterstellen und gehen dann in den Konsum? Oder bleiben sie verunsichert, weil ja eben doch am Arbeitsmarkt trotz aller Verbesserungen noch hohe Risiken sind und sparen dann mehr? Das weiß man noch nicht. Und dann steigen die Ölpreise, die Energiepreise, und dann muss man natürlich einen Teil des Geldes, was man vielleicht für andere Ausgaben vorgesehen hat, muss man dann anders verwenden.

    Also es gibt ja Risiken. Ich will nicht sagen, dass die Konjunktur abschmiert im nächsten Jahr, das sicherlich nicht, aber sie hängt am seidenen Faden, und insofern sind, sagen wir mal, Belastungsaktionen eigentlich nicht angebracht.

    Breker: Dieser seidene Faden, den Sie erwähnen, Herr Pohl, hat der auch damit zu tun, dass der Euro ja immens stark geworden ist im Vergleich zum Dollar?

    Pohl: Also das ist sicherlich ein Problem, insbesondere natürlich für die Unternehmen, die stark in den Dollarraum exportieren. Man muss ja sehen, dass es einfach das Tempo ist der Abwertung des Dollars, welches hier zu Buche schlägt, es ist ja ein Riesentempo. Und in der Summe natürlich muss man sehen, dass wir als Deutsche weniger als zehn Prozent unserer Exporte in die USA geben, also das sollte man nun auch nicht übergewichten. Viel größer wäre meine Sorge, dass die USA eben immer noch als Nachwirkung dieser Subprime-Krise vielleicht ihre Konjunktur nicht halten können. Und dann haben wir zu dem Dollarproblem auch noch ein Absatzproblem von der Konjunktur in der Amerika her, und dann wird es natürlich schon happig.

    Breker: Und wir haben im kommenden Jahr, Herr Pohl, ein ziemlich wichtiges Wahljahr hierzulande, in den Ländern wird gewählt werden. Inwieweit besteht die Gefahr, dass die Große Koalition sozusagen die Spendierhosen anzieht, je nach dem, wie die Wahlergebnisse ausfallen?

    Pohl: Die Gefahr sehe ich als groß an, denn wir müssen ja sehen, wir haben jetzt, 2007/2008, eine konjunkturelle Belebung, aber die nachhaltige Wachstumskraftstärkung, die steht ja noch aus. Wir haben jetzt, im letzten Jahr, erstmals wieder seit Langem eine gewisse Belebung der Investitionen gehabt. Und das war auch verbunden mit einer Rückführung der Sozialbelastung. Wenn ich die Diskussion aber über Sozialleistungen mir in Deutschland anschaue, ist doch damit zu rechnen, dass wieder die Sozialbelastungen steigen. Und das wird natürlich das Wachstum nicht fördern, sondern mittelfristig eher reduzieren, so dass man hier das Problem hat, dass die Politik sich populär natürlich am Wähler orientiert, aber das ist dann nichts Gutes für die Wirtschaftsentwicklung.

    Breker: Denn für die müssten eigentlich die Reformen fortgesetzt werden, vorangetrieben werden?

    Pohl: Das ist der Punkt, denn ich meine, man muss ja immer mal sehen, wir haben ein Wachstumspotenzial im Moment, das immer noch unter 2 Prozent liegt. 2 Prozent Wachstumspotenzial, 1,5 oder 1,6 oder 1,7, ist natürlich nicht viel, und das bedeutet, dass wir mit so einem geringen Wachstumspotenzial es auch schwer haben, sagen wir mal, mittelfristig die Beschäftigungslage zu stabilisieren. Wir haben ja jetzt einen konjunkturellen Beschäftigungsanstieg, aber noch keinen, der mittelfristig gesichert ist.

    Breker: Und Schuldenabbau, das rückt in weite Ferne?

    Pohl: Schuldenabbau rückt in weite Ferne. Nun muss man natürlich sagen, das gilt für den Bund. Wenn wir auf die gesamten öffentlichen Haushalte gucken, also einschließlich auch der Länder, dann muss man ja sagen, dass das langjährige Defizit seit 2007nicht mehr besteht. Wir haben hier also gesamtwirtschaftlich schon einen leichten Überschuss bei allen Gebietskörperschaften, aber zwischen den Gebietskörperschaften gibt es eben die Verteilungsprobleme. Der Bund steht noch hinten an.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das Rüdiger Pohl, Wirtschaftswissenschaftler an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Herr Pohl, für dieses Gespräch Danke.

    Pohl: Bitteschön, Herr Breker.