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Konjunktur
"Sorgen vor Deflation sind unbegründet"

Manfred Neumann im Gespräch mit Andreas Kolbe |
    Andreas Kolbe: Wenn Sie nicht mit dem Flieger unterwegs in den Urlaub waren, sondern mit dem Auto, dann ist Ihnen sicher auch schon aufgefallen: Die Benzinpreise sind derzeit relativ günstig. Und das schlägt sich auch in den aktuellen Inflationszahlen nieder. Dank der niedrigeren Energiepreise ist die Teuerungsrate in der Euro-Zone auf 0,3 Prozent gefallen – ein Wert, bei dem sich Wirtschaftsexperten anfangen, Sorgen zu machen.
    Die Inflationsrate in der Euro-Zone fällt auf den niedrigsten Stand seit fast fünf Jahren, und das nährt Sorgen vor der gefürchteten Deflation. Darüber wollen wir nun sprechen mit Manfred Neumann. Er ist emeritierter Professor für internationale Wirtschaftspolitik an der Universität Bonn und einer der führenden Geldpolitik-Forscher in Deutschland. Guten Abend, Herr Neumann!
    Manfred Neumann: Guten Abend!
    Kolbe: Lassen Sie uns zunächst mal auf die Ursachen schauen. Warum steigen die Preise so langsam?
    Neumann: Die Preise steigen deswegen so langsam, weil wie schon gesagt bestimmte Einfuhrpreise für Energie insbesondere, aber nicht nur für Energie, auch für Nahrungsmittel relativ nachgegeben haben. Die steigen langsamer, das wirkt sich dann aus, langsamer als vor einem Jahr, denn wir messen ja immer die Inflationsrate im Vorjahresvergleich. Das heißt, der jetzige August gegenüber August im vorigen Jahr. Und da muss man sagen, bei den Energiepreisen, um da kurz noch mal drauf zurückzukommen, insbesondere Erdgaspreise zum Beispiel, Erdöleinfuhr auch natürlich, aber auch Steinkohle, alle diese Preise sind heute um zehn Prozent bis 15 Prozent niedriger als vor einem Jahr. Das wirkt sich aus im Index für die Verbraucherpreise in der Form, dass der um 0,2 Prozentpunkte niedriger ist, als er sonst wäre.
    Kolbe: Das heißt, wenn wir die Energiepreise rausrechnen, wäre die Inflation höher?
    Neumann: Wenn wir die Energiepreise rausrechnen, dann würde die Inflation nicht 0,3 betragen, sondern 0,6 Prozent. Und wenn wir darüber hinaus, was die Europäische Zentralbank häufig tut, auch die Preise von Nahrungsmitteln herausrechnen würden, dann wären wir bei 0,9 Prozent. Diese 0,9 Prozent würde man die Kerninflationsrate nennen und das bedeutet, dass man auf Dauer davon ausgehen kann, dass sie ungefähr auf diesem Niveau liegen wird.
    "Richtig ist, dass die Weltkonjunktur nicht so schnell geht, wie wir uns das vorstellen"
    Kolbe: Jetzt sind Energiepreise, Nahrungsmittelpreise Dinge, die von der Geldpolitik der Notenbanken kaum zu beeinflussen sind. Sind aus Ihrer Sicht die Sorgen vor einer Deflation, also auf breiter Sicht fallende Preise, unbegründet?
    Neumann: Ja. Ich glaube, das ist unbegründet. Es sei denn, wir würden einen riesigen Einbruch der Weltkonjunktur bekommen. Das ist im Moment nicht zu sehen. Richtig ist, dass die Weltkonjunktur nicht so schnell geht, wie wir uns das vorstellen würden, auch in den USA nicht mehr so stark. Aber es ist nicht so, dass wir irgendwo einen Einbruch haben. Von daher glaube ich überhaupt nicht, dass wir eine Deflation bekommen. Eine Deflation wäre ja ein Prozess, wo von Monat zu Monat die Preise fallen würden und gleichzeitig würden wir steigende Arbeitslosigkeit haben, es würde einen Einbruch der Konjunktur geben und so weiter und so fort. Das haben wir nicht. Wir haben zwar einen Rückgang der Wirtschaftsaktivität zum Beispiel in Griechenland aufgrund der Maßnahmen zur Einsparung der Ausgaben zum Beispiel im griechischen Staatshaushalt. Ja, aber wir haben es nicht über die ganze EG.
    Kolbe: Jetzt ist ja so eine Deflation auch deshalb so gefährlich, weil – Sie haben es gesagt – das ist so eine Art Teufelskreis aus sinkenden Preisen und nachlassender Wirtschaftsleistung. Wenn man da erst mal drinsteckt, gibt es kaum Rezepte, da wieder rauszukommen. Aus einigen Ländern – Sie haben Griechenland genannt – beobachten wir ja nun schon Monat für Monat sinkende Preise. Muss man solche deflationären Tendenzen – nennen wir es mal so – nicht doch im Ansatz schon bekämpfen?
    Neumann: Sekunde! Für Griechenland zum Beispiel wollen wir das ja haben. Und zwar wollen wir es deswegen haben, damit Griechenland wieder wettbewerbsfähiger wird, zum Beispiel die Preise im Tourismus in Griechenland. Man kann heute da billiger im Hotel wohnen, als man das vor zwei, drei Jahren konnte, und das genau ist erwünscht, denn dadurch werden mehr Menschen dort hinfahren. Das muss man schon unterscheiden. Wir wollen nicht generell sinkende Preise, aber wir wollen mehr Wettbewerbsfähigkeit. Bei uns ist es so, dass die Preise eigentlich auf ein Niveau steigen, wie gesagt wenig. Das bedeutet eigentlich, dass wir richtige Preisstabilität haben, denn wir haben natürlich immer bei allen Produkten über die Zeit eine gewisse Verbesserung der Qualität der Produkte und dafür darf man einen etwas höheren Preis haben.
    "Zins kann nicht kurzfristig gesenkt werden"
    Kolbe: Jetzt hat EZB-Präsident Mario Draghi in der vergangenen Woche angedeutet, dass er glaubt, diese relativ niedrige Inflation könnte vielleicht doch länger anhalten, dass das nicht nur ein kurzfristiges Phänomen ist und dass die EZB womöglich doch weitere Schritte einleiten muss, um Deflationsgefahren zu bekämpfen. Ist das aus Ihrer Sicht überflüssig?
    Neumann: Überflüssig ist es auf keinen Fall, sich auf Möglichkeiten einzustellen. Das heißt, ich finde es richtig, dass die Europäische Zentralbank darüber nachdenkt, welche zusätzlichen Instrumente brauchen wir vielleicht, damit wir, wenn es darauf ankommt, die Geldpolitik stärker expandieren können. Das ist vernünftig, das ist richtig. Aber wir müssen nicht davon ausgehen, dass das kurzfristig erforderlich ist. Ein Problem der Europäischen Zentralbank ist natürlich, dass der Zins kurzfristig nicht gesenkt werden kann, weil er einfach schon so niedrig ist, dass das gar nichts mehr bringen würde.
    Kolbe: Was ist denn Ihrer Einschätzung nach das Motiv? Warum bereitet Mario Draghi die Märkte auf eine weitere Lockerung der Geldpolitik vor? Es wird ja schon über Maßnahmen in der nächsten Woche spekuliert.
    Neumann: Ich glaube nicht, dass es zu Maßnahmen in der nächsten Woche kommt, aber man weiß das natürlich nie. Es geht jetzt eigentlich darum, was er vorbereitet hat und ja auch schon verkündet hat bei der letzten Zentralbankratssitzung, dass die Banken erleichterte Kredite bekommen werden, Refinanzierungskredite, wenn sie sich verpflichten, genügend Kredite auch an die Wirtschaft zu geben. Das ist eine schwierige Geschichte, denn normalerweise sind die Banken berechtigt, sich zu refinanzieren, das heißt Schulden aufzunehmen bei der Europäischen Zentralbank, ohne weitere Bedingungen, außer dass sie natürlich den Zins bezahlen müssen. Das ist etwas schwierig. Außerdem wird vorbereitet die Idee, dass man private Wertpapiere aufkaufen könnte als EZB, und zwar in der Form, dass Kredite verbrieft werden, viele Kredite zusammengepackt werden in ein Paket. Dieses Paket: da gibt es dann ein Wertpapier und das kann die EZB kaufen. Das ist natürlich nicht risikofrei.
    Kolbe: Aber Sie glauben nicht, dass es in der kommenden Woche da schon Beschlüsse geben wird?
    Neumann: Nein, das glaube ich nicht.
    Kolbe: Danke schön! – Das war Professor Manfred Neumann von der Universität Bonn über Ursachen und Auswirkungen der inzwischen wieder und weiter gefallenen Inflationsrate in der Euro-Zone. Ihnen vielen Dank für das Gespräch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.