Birgid Becker: Der Blick auf den Arbeitsmarkt im kommenden Jahr. Wenn es ein Politikfeld gibt, in dem es gut läuft, dann war das im vergangenen Jahr die Beschäftigungslage. Die Dezemberzahlen der Nürnberger Bundesagentur für Arbeit gibt es in den ersten Januartagen des Neuen Jahres. Im November aber, eigentlich kein Boom-Monat für den Arbeitsmarkt, meldete die Bundesagentur gerade mal 2,5 Millionen Arbeitslose.
Umso wenige registrierte Arbeitslose zu finden, muss man schon in die Statistiken aus den Jahren der Wiedervereinigung zurückblicken. Geht das so weiter, trotz der Flüchtlingszuwanderung? Das habe ich vor der Sendung den Prognose-Chef des IAB, des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Enzo Weber, gefragt.
Enzo Weber: Wir sehen grundsätzlich, dass der Arbeitsmarkt sich auch weiterhin gut entwickeln wird. Die Konjunktur, die läuft ganz gut, trotz aller weltwirtschaftlichen Probleme. Wir sehen, dass die Arbeitslosigkeit noch immer fällt, und das, obwohl wir ja diesen Sondereffekt der Flüchtlingszuwanderung haben. Aber trotzdem sinkt die Arbeitslosigkeit nach wie vor. Das liegt an der Konjunktur, aber das liegt auch gerade daran, dass die Entlassungsrate so niedrig ist. Wir haben nicht unbedingt einen großen Einstellungs-Boom, aber wer einmal in Beschäftigung ist, der bleibt auch länger da.
Becker: Nach Ihrer Prognose sind die Job-Chancen für Inländer so gut, dass sie das aufwiegen, was an neuen Nachfragern auf den Arbeitsmarkt kommt in Gestalt von Migranten?
Weber: Ohne diesen Sondereffekt der Flüchtlingszuwanderung hätten wir in der Tat eine Arbeitslosigkeit, die noch deutlich stärker sinken würde. Das heißt, der Arbeitsmarkt ist wirklich gut in Form und ist auch so gut in Form, dass wir auch einen solchen Zusatzeffekt aufnehmen können und wirklich auf die Integration dieser Flüchtlinge setzen können. Wir wissen, dass da nichts wirklich schnell gehen wird, aber wir wissen auch, dass sich Investitionen in die Integration, in die Ausbildung wirklich lohnen werden, und zwar nicht nur für die Flüchtlinge, sondern auch für die deutsche Gesellschaft und auch fiskalisch für den deutschen Staat.
"Es wird weitere Erfolge geben"
Becker: Nun ist es ja in den vergangenen Monaten nach Ihren Zahlen so, dass wirklich nur ein Bruchteil der Flüchtlinge in Deutschland eine reguläre Arbeit erhalten hat. Von Dezember 2015 bis Dezember 2016 waren das nur 34.000 Menschen. Realistisch war auch mehr nicht zu erwarten, oder?
Weber: Man muss sehen: Wie viele von den Flüchtlingen sind im Moment überhaupt schon in der Situation, auf Arbeitssuche gehen zu können. Man kann ja nicht von denen, die in den Integrationskursen sind, erwarten, dass sie Jobs finden. Das sollen sie ja in der Phase noch gar nicht, sondern dann sollen sie zunächst die Kurse beenden.
Natürlich kommen mehr und mehr auch in die Arbeitslosigkeit, aber gerade da zeigt sich dann auch der Förderbedarf. Gerade da muss dann auch investiert werden, um diese Menschen zu fördern. Das heißt, es sind keineswegs bereits die meisten tatsächlich in der Phase angekommen, wo es unmittelbar darum geht, einfach Jobs zu finden, und das muss man berücksichtigen. Es ist keineswegs so, dass von einer Million Menschen, die jetzt in Arbeit sein sollten, nur 34.000 in Arbeit sind, sondern das Ganze ist ein längerer Prozess und der wird auch noch weitergehen. Da wird es auch noch weitere Erfolge geben, aber natürlich auch noch weitere Schwierigkeiten.
Becker: Was erwarten Sie denn an Zahlen von Flüchtlingen, die tatsächlich sich im kommenden Jahr als arbeitssuchend registrieren werden? Wie hoch wird diese Zahl denn sein?
Weber: Für die Arbeitslosigkeit, da erwarten wir einen zusätzlichen Effekt von 90.000. Das heißt, ohne diese große Flüchtlingszuwanderung hätte sich die Arbeitslosigkeit insgesamt im Jahr um 90.000 besser entwickelt.
Insgesamt erwarten wir, dass circa die Hälfte der Flüchtlinge irgendwo am Arbeitsmarkt angekommen ist. Das heißt, es kommt noch mal ein Schub, der größte in 2017, und das zeigt auch, man darf da nicht nachlassen. Die größte Herausforderung steht uns noch bevor. Aber nach unseren Prognosen ist der Arbeitsmarkt gut genug in Form, um das auch über kurz oder lang meistern zu können.
"Das A und O bei der Flüchtlingsintegration ist die Ausbildung"
Becker: Wenn man die Situation jetzt zum Maßstab nimmt, in welchen Branchen finden überhaupt Flüchtlinge Zugang in reguläre Beschäftigung? In der Industrie ist das ja eher nicht der Fall.
Weber: In der Industrie haben in der Tat bisher nicht viele Flüchtlinge Arbeit gefunden. Das war bisher eher in den einfachen Dienstleistungsjobs, zum Beispiel Reinigungsgewerbe und Ähnliches. Das war auch durchaus zu erwarten.
Wir haben im Vorfeld Analysen angestellt, wo sind eigentlich die Jobs, die keine formale deutsche Berufsausbildung erfordern und die auch keine besonders guten deutschen Sprachkenntnisse erfordern. Da gibt es durchaus viele Jobs in Deutschland. Das sind über 100.000. Aber man muss auf der anderen Seite auch sehen, dass gerade in diesem Bereich ja auch die Arbeitslosigkeit in Deutschland besonders hoch liegt.
Das heißt, das A und O bei der Flüchtlingsintegration ist die Ausbildung. Wenn wir da nicht vorankommen, dann werden wir auch mittelfristig keine gute Arbeitsmarktintegration schaffen können. Aber mit dieser Ausbildung kann man vorankommen, denn viele sind jung, viele haben alles verloren, setzen aber jetzt auf ihre neuen Chancen. Da kann man ansetzen. Aber natürlich gibt es Hürden und da braucht es weitere gute Konzepte, weiter hohe Investitionen. Das darf man auch nicht übersehen.
Becker: Was sich jetzt feststellen lässt bei der Integration in den Arbeitsmarkt, die bereits erfolgt ist, ist wohl, dass die Zeitarbeit hier eine durchaus wichtige Rolle spielt.
Weber: Die Zeitarbeit spielt deshalb bisher bei den Jobs, die Flüchtlinge angenommen haben, eine wichtige Rolle, weil Zeitarbeit ja sehr vielseitig ist. Anders als in anderen Branchen bezeichnet Zeitarbeit nicht schon den Beruf, den ich ausübe, sondern erst einmal nur eine bestimmte Arbeitsform, und dann kann ich entsprechend meiner Kenntnisse von der Zeitarbeitsfirma eingesetzt werden. Das ist die Stärke der Zeitarbeit. Aber man muss natürlich auch sehen, dass das für die wenigsten auch wirklich eine dauerhafte Perspektive in Deutschland sein kann. Weiterentwicklung ist auch hier unbedingt nötig.
"Ein Anschlag, wie er jetzt passiert ist, der ist sicherlich kritisch"
Becker: Tatsächlich hängt ja die Frage, ob Flüchtlinge einen Weg in den Arbeitsmarkt finden, auch von der Bereitwilligkeit von Arbeitgebern ab, diesen Menschen eine Chance zu geben. Es hängt auch von der Bereitwilligkeit der Arbeitsplatzbesitzer ab, mit Migranten zusammenzuarbeiten und Migranten im Job zu unterstützen.
Wie ist Ihre Annahme, wird sich ein Ereignis wie der Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt auswirken auf diese Bereitschaft?
Weber: An der Bereitschaft muss man in der Tat arbeiten und das liegt nicht so sehr an diffusen Vorbehalten, die es da gibt, sondern an ganz konkreten Problemen. Zuerst sind die sprachlichen Fähigkeiten zu nennen, danach ist einfach die Gewöhnung an die deutschen Systeme zu nennen, zum Beispiel auch an die deutschen Ausbildungssysteme, die überhaupt erst mal erklärt werden müssen, was ist denn eine betriebliche Ausbildung überhaupt und warum ist sie so wertvoll. Ein Anschlag, wie er jetzt passiert ist, der ist da sicherlich kritisch. Das ist keine Frage. Aber auch da muss man wirklich ruhig bleiben, die Lage beurteilen und sehen, die ganz große Mehrheit der Menschen, die ist hier hergekommen, weil sie in ihrem Land alles verloren haben und eine neue Chance brauchen. Das ist das Entscheidende, wo man ansetzen kann.
"Ganz wichtig ist, dass man den Übergang gestaltet"
Becker: Was kann vonseiten der Jobcenter getan werden, vonseiten der Bundesagentur auch?
Weber: Ganz wichtig ist, dass man den Übergang gestaltet, nicht erwartet, dass man mit irgendeiner Vermittlungsmaßnahme sofort einen hundertprozentigen vollwertigen Job erreichen kann. Das passiert zwar auch, aber relativ selten. Sondern man braucht einen Übergang. Das kann Probearbeiten sein, das kann parallel zum Beispiel noch eine Teilnahme an Weiterbildungs-, Weiterentwicklungsmaßnahmen sein, während man schon mal mit einem Praktikum in einen Betrieb einsteigt. Man muss diesen Kontakt herstellen.
Becker: Häufig ist von der Bundesagentur selber gesagt worden, man braucht ungefähr ein Jahr, um auch organisatorisch soweit auf die Beine zu kommen, dass diese Integrationsaufgabe praktisch auch organisiert werden kann. Wie weit ist die Bundesagentur?
Weber: Insgesamt ist bei der Integration von Flüchtlingen noch viel zu tun. Aber wenn wir mal ein Jahr zurückschauen, dann müssen wir auch sehen: Es ist schon enorm viel passiert. Und daraus kann man auch die Hoffnung schöpfen, dass es diesmal besser läuft und mehr Flüchtlinge früher in Arbeit kommen, als wir das in der Vergangenheit beobachten konnten.
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