Die wirtschaftlichen Folgen der andauernden Corona-Pandemie sind noch nicht vollständig überschaubar. Fest steht: Sie wird wohl zu Schäden führen, die jene aus der Finanzkrise 2008/2009 noch in den Schatten stellen. Die Bundesregierung rechnet mit einem schweren Einbruch der Wirtschaftsleistung, Minister Altmaier legt heute dazu die Frühjahrsprognose vor.
Wir sprechen darüber mit Gustav Horn - Volkswirtschaftler, langjähriger wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, außerdem Mitglied des SPD-Parteivorstands.
Vier bis zehn Prozent Minus vorhergesagt
Dirk-Oliver Heckmann: Herr Horn, die Bundesregierung rechnet wohl mit einem Minus von 6,3 Prozent in diesem Jahr. Ist das eine realistische Einschätzung aus Ihrer Sicht?
Gustav Horn: Na ja, wir sind mitten in einem Absturz und wissen eigentlich noch nicht, wie tief er ausfallen wird. Die Bundesregierung bewegt sich mit ihrer Prognose etwa im oberen Mittelfeld der Prognosen, die die professionellen Vorhersager gemacht haben. Wir haben dort Prognosen von minus vier bis minus zehn Prozent in diesem Jahr, und in diesem Intervall bleibt auch die Bundesregierung – bei all den Unsicherheiten, mit denen das verbunden ist. Klar ist: Wir sind in einer Krise, wie wir sie wahrscheinlich in der Nachkriegszeit noch nicht hatten.
Heckmann: Das ist ja die Frage, wie schwerwiegend die Folgen sind. Es mag ja den einen oder anderen geben, der sagt, die Fixierung auf das Wirtschaftswachstum ist ohnehin nicht nachhaltig, Wachstum ist schädlich für Klima und Umwelt. Welche Folgen hat so ein massiver Wirtschaftseinbruch?
Horn: Wenn das ungebremst zur Geltung kommen würde, dann würde das eine Arbeitslosigkeit hervorrufen, die sicherlich in die Gegend von fünf bis sechs Millionen Menschen gehen würde. Das heißt, es wäre eine schwere Belastung für unsere Volkswirtschaft, was die Produktion angeht, aber eine noch schwerere Belastung, was die soziale Sicherheit in unserer Volkswirtschaft angeht, denn wenn so viele Menschen arbeitslos werden, gehen viele Einkommen verloren und soziale Nöte wachsen. Das kann niemand ernsthaft wollen.
Kurzarbeitergeld-Modell als "Exportschlager"
Heckmann: Trotzdem hat Deutschland ja vergleichsweise ganz gute Voraussetzungen, die folgende Krise wegzustecken. Wie sieht das bei unseren europäischen Nachbarn aus?
Horn: Ja, Deutschland hat ein Sicherheitsnetz aufgespannt und wir hoffen jetzt alle, dass es hält und dass es nicht so dramatisch wird, wie ich es eben geschildert habe. Auch in unseren Nachbarländern wird ja versucht zu stabilisieren. Man orientiert sich dort ja auch teilweise am deutschen Beispiel. Das Kurzarbeitergeld ist ein Exportschlager geworden. Es wird in vielen Ländern angewendet, weil es die Möglichkeit gibt, genau diese Arbeitslosigkeit, die ansonsten droht, zu verhindern, indem die Menschen beschäftigt bleiben bei nur möglichst leicht reduziertem Einkommen. Das passiert auch in unseren Nachbarländern. Insofern hoffen wir auch dort, dass die Krise etwas aufgefangen wird. Allerdings ist der fiskalische Spielraum in diesen Ländern teilweise wesentlich enger. Ich denke da gerade an Italien, das natürlich hoch verschuldet ist, und deshalb können die Belebungsmaßnahmen auch nur schwächer ausfallen im Moment.
Heckmann: Welche Folgen hätte es denn, Herr Horn, wenn sich Deutschland stabilisiert, aber wenn das den Nachbarländern nicht gelingt?
Horn: Ich glaube, so einfach ist es leider nicht. Deutschland wird sich nicht stabilisieren, wenn die Nachbarländer in einer Krise bleiben, denn wir sind ein Exportland und wenn unsere Exportmärkte nicht funktionieren, in einer tiefen Krise sind, dann wird sich auch die deutsche Wirtschaft nicht stabilisieren, denn die Automobilproduktion beispielsweise, die wir in Deutschland haben, können wir nicht allein im Inland konsumieren. Dazu brauchen wir gerade unsere europäischen Exportmärkte und deshalb haben wir auch ein sehr starkes eigenes Interesse daran, dass es in diesen Ländern aufwärts geht.
"Wir brauchen eine europäische Initiative"
Heckmann: Und das heißt? Was folgern Sie daraus?
Horn: Daraus folgt ganz klar, dass wir auch eine europäische Initiative zur Stabilisierung der Wirtschaft brauchen. Das ist ja auch jetzt die Diskussion zwischen den Regierungschefs, wie man das auf die Beine kriegt. Einzelne Maßnahmen sind schon beschlossen. Das waren richtige erste Schritte. Aber wir werden ein europäisches Konjunkturprogramm brauchen, sobald die Corona-Krise abklingt, das die Wirtschaft in allen Mitgliedsstaaten der EU wieder nach oben bringt.
Heckmann: Das heißt, Deutschland sollte doch für die Schulden der anderen Euroländer einstehen?
Horn: Nein, das muss nicht sein. Wir können europäische Mechanismen uns ausdenken, wo die EU-Kommission beispielsweise ins Publikum geht und über Mitgliedsbeiträge finanziert. Die EU-Kommission könnte Fonds auflegen. Da gibt es eine Fülle von Möglichkeiten, wie man diesen Impuls setzen kann, so dass alle Länder davon profitieren, auch Deutschland über seine Exportmärkte, und Europa wieder halbwegs heil aus dieser Krise herauskommt.
Heckmann: Herr Horn, blicken wir noch mal zurück nach Deutschland. Die Bundesregierung hat ja milliardenschwere Hilfskredite aufgelegt, um Wirtschaft und Arbeitsplätze zu schützen und zu sichern, hat jetzt die Kurzarbeiterregelung ein weiteres Mal ausgeweitet, Kredit- und Zuschussprogramme aufgelegt. Wie viele Unternehmer, wie viele Arbeitnehmer und Selbständige wird das retten?
Horn: Ich hoffe, dass es eine ganze Menge retten wird. Zumindest kurzfristig dürfte dies der Fall sein, denn man muss sich ja nur vorstellen: Ein Restaurant, das jetzt wochenlang geschlossen hat, wäre im Normalfall pleite, wenn es diese Rettungsversuche nicht geben würde. Und wenn wir jetzt allmählich die wirtschaftlichen Beschränkungen wieder lockern, dann kann es sein, dass wir jedenfalls aus Gründen der Corona-Krise alle mitnehmen könnte. Das müsste zumindest auch das wirtschaftspolitische Ziel sein.
Je länger aber die Krise dauert, desto schwieriger wird das und mit desto mehr Pleiten ist auch zu rechnen. Desto stärker muss man nachher ganz allgemein die Konjunktur beleben, um die Wirtschaft wieder auf Trab zu bringen.
"Ich erwarte Aussetzung der Dividenden und Bonuszahlungen"
Heckmann: Eine wichtige Branche in der deutschen Wirtschaft ist die Automobilindustrie. Sie haben es gerade selber auch schon angesprochen. Die fordert jetzt Kaufprämien auch für Verbrenner und Dieselfahrzeuge übrigens. Das hat die Präsidentin des Branchenverbands VDA, Hildegard Müller, heute früh im Deutschlandfunk ganz klar gemacht. Auch, wenn die Unternehmen Dividenden zahlen und Boni an die Manager. Denn Hildegard Müller sagt, die Aktionäre, die müssten schließlich bei der Stange bleiben. Was sagen Sie dazu? Sollte man darauf eingehen?
Horn: Das ist ein äußerst schwaches Argument, denn es unterstellt – das hat sie auch so gesagt -, dass es Übernahmeversuche aus dem Ausland gäbe, die dann, wenn die Dividenden und Boni nicht gezahlt würden, zum Tragen kämen. Das unterstellt implizit, dass es den ausländischen Unternehmen so viel besser ginge als den deutschen. Das ist leider, muss man sagen, nicht der Fall, weil wir haben hier eine globale Krise. Und denken Sie auch an amerikanische Automobilhersteller. Denen geht es durchaus nicht besser als den deutschen. Alle Automobilkonzerne in der Welt leiden und Übernahmen sind im Moment so ungefähr das Letzte, an das sie denken.
Insofern halte ich es für angemessen, wenn auch die deutschen Automobilunternehmen jetzt ihre Reserven dazu nutzen, um über diese Krise zu kommen, und nicht alles auf den Staat abwälzen. Es kann ja nicht sein, dass der Steuerzahler letztendlich für Dividenden und Boni einsteht. Das ist auch eine Frage der Gerechtigkeit und ich glaube, hier hat keiner Verständnis dafür, dass die Autounternehmen sich so verhalten.
Heckmann: Das heißt, Kaufprämien sollte es in keinem Fall geben?
Horn: Es sollte Kaufprämien geben, aber ich erwarte auch von den Unternehmen ein angemessenes Verhalten, das heißt Aussetzung der Dividenden und Bonuszahlungen.
Ökologie: "Wir können diese Krise auch nutzen"
Heckmann: Inwieweit müssten denn die Konjunkturprogramme, an denen jetzt gearbeitet wird, ökologisch und klimapolitisch ausgerichtet werden?
Horn: Man kommt aus keiner Krise so hervor, wie man hineingegangen ist, und wir können diese Krise auch nutzen, um tatsächlich eine, für die Zukunft tragfähigere Wirtschaftsstruktur zu gestalten. Das heißt, all diese Maßnahmen sollten mit Anreizen verhaftet sein, die eine Umstellung auf eine ökologischere Produktion ermöglichen. Insofern Bonus bei Abwrackprämien sicherlich eher für Elektroautos oder emissionsarme Autos. Wir wollen nicht einfach wieder eine Rückkehr zum Status quo ante, denn der Status quo ante hat keine Zukunft.
Heckmann: Wir wollen das nicht, sagen Sie, denken Sie. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass es auch wirklich so kommt, wie Sie sich das vorstellen?
Horn: Es wird ein Ringen um diesen Weg gehen. Das hat ja auch schon begonnen. Natürlich wird man die Idealvorstellungen nicht verwirklichen können, aber wenn ein klarer Wegweiser in Richtung einer ökologischen Produktion und sozialen Produktion erfolgt, dann wäre das schon ein Fortschritt.
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