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Konkurrenz um Aufmerksamkeit
Wie sich Corona auf die Klimakrise auswirkt

Verdrängt die Corona-Pandemie die Klimakrise in der öffentlichen Aufmerksamkeit? Oder könnte Corona sogar eine Chance für den Kampf gegen den Klimawandel sein? Schließlich zeigt sich in der Politik nun entschiedenes Handeln.

Von Benjamin Dierks | 01.11.2020
Demonstration von Fridays For Future in Bonn, wegen der Corona-Pandemie mit Mundschutz
Aktivistinnen und Aktivisten von Fridays for Future müssen ihre Aktionen im Internet oder mit Abstand und Mundschutz durchführen (www.imago-images.de)
"Es ist fantastisch, Euch hier alle zu sehen."
Das Berliner Regierungsviertel im Nieselregen. Gut 100 Leute haben sich mit ihren Fahrrädern unter einer Baumgruppe zwischen dem Kanzleramt und dem gegenüberliegenden Bundestagsgebäude versammelt — in pandemiegerechtem Abstand zueinander. Die Organisation Fridays for Future hat zu einer Fahrraddemo aufgerufen. Anstelle eines Lautsprecherwagens haben die Klimaaktivisten ein Lastenfahrrad dabei, auf das sie eine große Box montiert haben.
"Es wäre superwichtig, dass ihr zu jeder Person 1,50 Meter Abstand haltet und auch eure Maske tragt und ja, auch über der Nase."
Corona hat das Land wieder fest im Griff und damit auch die Aktivistinnen und Aktivisten von Fridays for Future. Nachdem sie Ende September zu ihrem großen Klimastreik trotz Pandemie allein in Berlin noch einmal rund 20.000 Menschen auf die Straßen brachten, stehen nun wieder höchstens kleinere Versammlungen an. Wie im Frühjahr und Sommer, als Ausgangsbeschränkungen und Demoverbote der rührigen Protestbewegung zusetzten, müssen die Aktivisten sich fragen, ob sie den Protest und ihren Einsatz gegen den Klimawandel auch ohne großen Druck auf der Straße weiterführen können.
"Wir müssen weitermachen, wir dürfen nicht aufhören. Es ist möglich, wir können es erreichen. Wenn wir aufhören zu kämpfen, dann passiert sowieso gar nichts."
Für die Klimaaktivisten steht einiges auf dem Spiel. Wie keine Protestbewegung zuvor habe Fridays for Future den Klimawandel in die Öffentlichkeit gerückt, sagt Sebastian Haunss, Politikprofessor an der Universität Bremen, der soziale Bewegungen und Proteste erforscht.
"Eine ungeheure Dynamik hat diese Bewegung entwickelt, von Schülerinnen und Schülern getragen, denen im Grunde gelungen ist, was den vorherigen Klimaprotesten nicht gelungen ist: Das Thema wirklich zu einem breit gesellschaftlich diskutierten Thema zu machen, was massenhaft Protest auf die Straße gebracht hat."
2020 hätte ein Jahr fürs Klima werden sollen
Mit Kontaktbeschränkungen und Demoverboten verschwand dieser Protest von der Straße. Und die Organisatoren von Fridays for Future hatten ihre Mühe, mithilfe von Aktionen im Internet weiter Aufmerksamkeit auf das Thema Klimawandel zu lenken.
"Fridays for Future ist es schon gelungen, dadurch, dass sie die Aufmerksamkeit schon hatten, nicht jetzt völlig in der Versenkung zu verschwinden, sondern sie haben ja eben über soziale Medien ganz viele Protestaktionen durchgeführt beziehungsweise auch weiter diese Funktion erfüllt, das Thema an der Tagesordnung zu halten", sagt die Politikwissenschaftlerin Julia Zilles von der Universität Göttingen. Die Vernetzung unter den Aktivisten ist groß. Die virtuellen Proteste erreichten aber in erster Linie die ohnehin aktiven Teile der Bewegung. Die Einschränkung ihrer Proteste trifft die Klimabewegung zu einer kritischen Zeit. Denn nicht nur die Demonstrationen verschwanden. Die Corona-Pandemie zog so viel Aufmerksamkeit auf sich, dass für andere Themen wenig davon übrigblieb.
"Die Corona-Krise hat zunächst mal und auch aus alltagsweltlich völlig nachvollziehbaren Gründen alle anderen Krisen verdrängt, vor allem die Klimakrise", sagt die Sprachwissenschaftlerin Dorothee Meer von der Ruhr-Universität Bochum. Sie analysiert anhand von Medienberichten, sozialen Netzwerken und politischen Äußerungen, wie Politik, Medien und Bevölkerung über die Corona-Krise und den Klimawandel sprechen. Und sie beobachtet, wie die beiden Krisen immer wieder miteinander in Verbindung gebracht werden: Wenn vom blauen Himmel geschwärmt wurde, weil weniger Autos und kaum noch Flugzeuge unterwegs waren – die Krise als Chance. Oder wenn festgestellt wurde, dass die Politik nun im Kampf gegen den Klimawandel eigentlich keine Vorbehalte mehr geltend machen könne. Schließlich habe sie gezeigt, wozu sie in der Lage ist, wenn es darauf ankommt. Aber lassen sich die beiden Phänomene eigentlich vergleichen? Ja, sagt Kira Vinke vom Potsdam-Institut für Klimafolgenabschätzung. Was die Ursachen beider Krisen angeht, gebe es durchaus Parallelen.
"In beiden Krisen ist es so, dass es eine extreme Ressourcenübernutzung gibt. Beim Klimathema ist es natürlich die Ressourcennutzung fossiler Energieformen wie Kohle, Öl und Gas. Bei COVID-19 war es dadurch hervorgerufen, dass der Wildtierkonsum extrem angestiegen ist. Und das zeigt, in was für einer Schieflage unser Verhältnis zur Natur bereits ist."
Flugzeuge der Lufthansa stehen am Flughafen in München am Boden. Bei der Airline sind nach der Coronakrise 22.000 Arbeitsplätze bedroht.
COVID-19 und CO2-Rückgang - "Der Klima-Effekt ist erstaunlich gering"
Die Coronakrise hat weltweit zu einem Rückgang der CO2-Emissionen um fast neun Prozent geführt, so das Ergebnis eines internationalen Forscherteams. Das sei zwar bemerkenswert, aber immer noch zu wenig, sagte einer der beteiligten Wissenschaftler, Hans-Joachim Schellnhuber, im Dlf.
Im Umgang mit den beiden Krisen empfehle sich der Vergleich aber nicht, sagt der Umweltethiker Konrad Ott von der Universität Kiel.
"Man sollte die unterschiedlichen Sachlogiken zwischen einer Pandemie und einem langfristigen globalen Umweltproblem wie dem Klimawandel nicht unter den Tisch kehren. Deswegen sollte man beide Problemtypen genau auseinanderhalten: Langfristige Klimapolitik, ich bin der Letzte, der dagegen ist. Kurzfristige, rasche Pandemiebekämpfung. Und das sind eben Unterschiede."
Aber wie wirkt sich die eine Krise, die kurzfristige Antworten erfordert, auf die andere aus, die uns noch länger begleiten wird? Klimaschützer befürchten, dass die Konzentration auf die Corona-Pandemie dazu führen könnte, dass heute wichtige Weichenstellungen gegen den Klimawandel verpasst werden. Der Botaniker Gregor Hagedorn ist der Initiator der Wissenschaftlerinitiative "Scientists for Future", die sich den Zielen der Klimabewegung verschrieben hat.
"Verglichen mit der Klimakrise und verglichen mit der Nachhaltigkeitskrise insgesamt ist das, was wir hier momentan meistern als Gesellschaft, eine kleine Herausforderung. Wir stehen tatsächlich vor viel größeren Herausforderungen. Wir stehen nicht vor der COVID-Infektionswelle, wir stehen vor einer Welle von existenzbedrohenden Handlungsnotwendigkeiten im Zeichen der der Klimakrise, der Biodiversitätskrise, der sozialen Nachhaltigkeitskrise weltweit."
2020 hätte ein Jahr fürs Klima werden sollen. In diesen Tagen hätte eigentlich dem Plan zufolge rege internationale Klimadiplomatie eingesetzt. Der 26. UN-Klimagipfel stand auf dem Programm, wurde wegen der Corona-Pandemie aber um ein Jahr verschoben. Fünf Jahre nach dem Abschluss des Klimaabkommens von Paris hätten die Länder verbesserte Emissionsziele vorlegen sollen. Deutschland wollte seine EU-Ratspräsidentschaft dem Klima widmen. Nun dominiert auch hier die Bewältigung der Corona-Pandemie das Geschehen. Das hatte die Bundesregierung schon vor Antritt der Präsidentschaft angekündigt. Der Vorwurf aus der Klimabewegung: In der Corona-Krise zeige die Bundesregierung eine Entschlossenheit, die im Fall der Klimakrise bislang vermisst werde. Kira Vinke vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung sitzt im Beirat für zivile Krisenprävention der Bundesregierung.
Es mangelt nicht an bedrohlichen Neuigkeiten
"Wir haben jetzt auch gelernt, dass die Krisenwahrnehmung zum Klimawandel einfach noch nicht so da war. Weil wir jetzt gemerkt haben: Corona-Krise – die Menschen nehmen das als Bedrohung wahr, Politiker nehmen das als eine Bedrohung für ihr Mandat wahr, weil wenn sie jetzt nicht handeln, wird es ihnen auch wieder zulasten gelegt. Das ist im Fall des Klimawandels natürlich nicht so. Weil die Folgen eben erst zeitversetzt eintreten, haben vielleicht bestimmte Entscheidungsträger auch nicht das Gefühl, dass sie jetzt handeln müssten."
Dabei mangelt es nicht an bedrohlichen Neuigkeiten. Naturkatastrophen, die zumindest mit dem Klimawandel in Verbindung stehen, waren auch in diesem Jahr weltweit zu verfolgen: Waldbrände in Australien und Kalifornien, die allein dort 100.000 Menschen zur Flucht getrieben haben. Ungewöhnliche Hitze und Waldbrände in Sibirien. Eine US-amerikanische Studie warnte im August vor einem Worst-Case-Szenario für das Klima. Bodennahe Luftschichten könnten sich um durchschnittlich fünf Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit erwärmen. Die Bochumer Sprachwissenschaftlerin Dorothee Meer ist allerdings der Ansicht, dass der Klimawandel durch die Corona-Krise nicht nur weniger Aufmerksamkeit erfuhr, sondern teils gezielt an den Rand gedrängt worden sei.
"Es hat sehr früh angefangen, dass wir nicht nur über Schutzmaßnahmen und ähnliches gesprochen haben, was dringend notwendig war, sondern, dass eine politische Instrumentalisierung stattgefunden hat, die da lautete: ‚Wir können zum Beispiel jetzt den Green Deal, wenn es den jemals tatsächlich gegeben haben sollte, wir können den jetzt nicht umsetzen, weil wir müssen erst einmal die Wirtschaft wieder in Gang bringen.‘"
Der Green Deal, das Klimaprogramm der EU-Kommission, ist aus Sicht von Aktivisten ein Beispiel dafür geworden, wie Klimapolitik zwar propagiert, dann aber nicht umgesetzt werde. Kritik gibt es in dem Zusammenhang vor allem an der Reform der europäischen Agrarpolitik. Der Vorwurf: Die hohen Subventionen für Europas Landwirte würden nach wie vor nicht ausreichend an Umwelt- und Klimaaspekte geknüpft. Lisa Badum, die klimapolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, lastet dies der Bundesregierung an.
"Die Bundesregierung versucht, Entscheidungen unter dem Corona-Radar verschwinden zu lassen. Die katastrophale Einigung zur Landwirtschaft in Brüssel würde bedeuten, dass weiterhin fast 400 Milliarden im Wesentlichen als Grundbesitzprämie fließen und eben nicht an saubere Luft, Wasser und Boden und gute Tierhaltung geknüpft sind. Der jetzige Entwurf der Novelle zum Erneuerbare-Energien-Gesetz würde dazu führen, dass wir weniger Wind- und Solaranlagen in den nächsten Jahren in Deutschland haben werden. Das Klimagesetz in der EU soll nicht rechtzeitig zu Ende dieses Jahres fertig verhandelt werden, obwohl das das Ziel der deutschen Ratspräsidentschaft war."
Das Erneuerbare-Energien-Gesetz ist in den Augen von Klimaschützern ein weiterer Beleg für die ihrer Ansicht nach halbherzige Klimapolitik der Bundesregierung. Der klimapolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Carsten Träger, weist die Kritik zurück. Seiner Meinung nach werden die Bundesregierung und die beteiligten Abgeordneten zu Unrecht beschuldigt, die Klimapolitik während der Corona-Krise schleifen zu lassen.
"Wir haben das Klimaschutzgesetz verabschiedet, wir haben den CO2-Preis verabschiedet, wir haben den Kohleausstieg geregelt. Das alles waren lange harte Debatten mit einem ziemlich guten Ende aus meiner Sicht. Genauso haben wir jetzt noch die Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes vor der Brust, das wird uns jetzt den gesamten November über beschäftigen. Also, möglicherweise ist das nicht so sichtbar in der öffentlichen Wahrnehmung, aber wir arbeiten an den Themen mit Hochdruck weiter."
Neue Aktionsfelder für die Klimaaktivisten
Und die Klimabewegung? Die findet, das reicht nicht aus, um Emissionen im nötigen Maß zu senken und die Wirtschaft entsprechend umzubauen. Die Aktivistinnen und Aktivisten von Fridays for Future etwa glauben nicht, dass Deutschland so das Ziel des Klimaabkommens von Paris erfüllen kann, die Erderwärmung bis 2035 auf 1,5 Grad zu begrenzen. Sie wollen der Politik deshalb zeigen, wie es gehen kann. Dafür haben sie kürzlich eine Machbarkeitsstudie des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt, Energie vorgestellt, die sie schon Anfang des Jahres in Auftrag gegeben hatten. Sie soll beweisen, dass sich das 1,5-Grad-Ziel einhalten lässt, wenn die richtigen politischen Weichen gestellt werden: vor allem die Abschaffung fossiler Energieträger und eine entschiedene Verkehrswende. Die Studie soll vor der Bundestagswahl im kommenden Jahr das zentrale Werkzeug der jungen Klimabewegung werden, um die Politik an ihre Zusagen und ihre Verantwortung zu erinnern. Fridays-for-Future-Sprecherin Carla Reemtsma kündigte an, dass sie die Parteien zu einer Festlegung drängen wollten.
"Wir werden in unserer Arbeit im nächsten Jahr danach streben, dass alle demokratischen Parteien Parteiprogramme haben, die eben Paris-konforme Pläne vorlegen und damit zum Beispiel einen Reduktionspfad bis 2035 verfolgen."
Auch in anderen Bereichen zeichnen sich neue Aktionsfelder für die Klimaaktivisten ab. Im ganzen Land engagieren sich Ortsgruppen von Fridays for Future. Sie sprechen vor Bezirksversammlungen oder arbeiten mit Kommunalpolitikern zusammen. Sie solidarisieren sich mit Streiks im öffentlichen Dienst und schließen sich Protesten gegen den Autobahnausbau an oder solidarisieren sich mit Aktionen gegen Kohleabbau. Andere spielen mit dem Gedanken, für den Bundestag oder Länderparlamente zu kandidieren. Julia Zilles von der Universität Göttingen erkennt darin ein Muster, das auch andere soziale Bewegungen gezeigt haben.
"Einige radikalisieren sich vielleicht weiter, wenn sie merken, allein das Thema anzusprechen, löst das Thema noch nicht und deswegen muss man noch radikaler sein und radikalere Methoden einsetzen. Und andere gehen eher dazu über, sich selbst konstruktiv in der Problemlösung zu beteiligen."
Den zumindest in der Pose radikaleren Aktionen haben sich die Aktivistinnen und Aktivisten von Extinction Rebellion verschrieben.
Wie vor einem Jahr organisierten sie auch in diesem Herbst Straßenblockaden in der Hauptstadt. In kleinen Gruppen sitzen sie Mitte Oktober auf der Invalidenstraße vor dem Bundeswirtschaftsministerium in Berlin-Mitte. Einzeln werden sie von Polizisten davongetragen.
Einige besonders Entschlossene haben ihre bloßen Hände auf den Asphalt geklebt und schauen singend zu, wie Polizisten versuchen, den Klebstoff zu lösen. Der Managementberater Heiko Erhardt steht mit anderen Aktivistinnen und Aktivisten in einem Kreis und bespricht das weitere Vorgehen bei dem Protest. Er glaubt, dass die Erfahrung mit der Pandemie der Klimabewegung sogar helfen könnte.
"Ich glaube, dass Corona ein Aufwecker für uns gewesen sein kann. Ich glaube, wir haben in der Corona-Krise gelernt, wie schnell Dinge unsere ganzen Lebensumstände verändern können und dass man schnell und entschlossen darauf reagieren muss. Und genau dasselbe möchten wir in Punkto Klimakrise auch. Wir müssen jetzt was tun, sonst ist es einfach zu spät."
Über die Nothilfen in der Corona-Krise wurde erbittert gestritten
Kann Corona also nicht nur ablenken vom Klimawandel, sondern dazu führen, dass Menschen bereit sind, beherzt einzugreifen, um eine andere bedrohliche Krise abzuwenden? Eine Überlegung, die auch Kira Vinke vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung anstellt.
"Das ist meine Hoffnung, dass dadurch, dass wir auch in Deutschland merken, wie schnell wir von diesen globalen Schocks betroffen sein können, dass wir unser Verhältnis zur Natur überdenken und überlegen, was muss sich ändern, damit wir solchen Risiken in Zukunft entgehen können."
Was helfen kann: Die Akzeptanz für Klimapolitik zu erhöhen. Vinke will nicht nur die Einschränkungen betonen, sondern auch positive Effekte: sauberere Luft und bessere Gesundheit etwa durch die Verkehrswende.
"Ich denke, beim Klimawandel ist es einfach wichtig, dass wir diese systemische Transformation voranbringen. Es ist nicht unbedingt wichtig, dass wir jeden Tag in den Nachrichten deswegen sind. Es ist einfach ausschlaggebend, ob die Gesellschaft einen anderen Kurs einschlägt."
Wichtig für diesen Umschwung: Wenn die Folgen der Pandemie abgefedert werden, müsse das klimafreundlich geschehen, sagt Vinke.
"Man sieht eben jetzt auch, und ich glaube, das ist auch das, worauf die Aktivisten anspielen, dass sehr viele Gelder freigesetzt worden sind, um das Problem zu beheben oder die Wirtschaft am Laufen zu halten und so weiter. Und da stellt sich natürlich schon die Frage, dass wir jetzt seit ungefähr 30 Jahren darüber debattieren, wie das Klima-Problem zu lösen sei, und noch immer nicht die Finanzströme in die richtige Richtung gelenkt wurden."
Auch über die Nothilfen in der Corona-Krise wurde erbittert gestritten. Schon das im Juni verabschiedete Hilfspaket in Höhe von 350 Milliarden Euro war das größte in der Geschichte der Bundesrepublik. Ein Teil davon beinhaltet klimaschützende Maßnahmen, darunter Investitionen in Klimatechnologien, CO₂-arme Mobilität oder erneuerbare Energien. Im Konjunkturpaket, den Nothilfen, finanziellen Zuschüssen, Darlehen und steuerlichen Erleichterungen für die Wirtschaft, wurde aber nicht darauf geachtet, ob die Produkte und Dienstleistungen klimafreundlich sind. SPD-Klimapolitiker Carsten Träger weist den Vorwurf jedoch zurück, dass bei den Investitionen zu wenig auf Klimaschutz geachtet worden sei.
"Ich erinnere an die schmerzvolle Debatte um die Förderung des Verbrennungsmotors und der Kaufprämie. Das haben wir nicht gemacht, sondern wir haben gesagt, wir setzen auf Wasserstoff und auf E-Mobilität. Und die Wirtschaftshilfen, die jetzt anstehen, sind ja wirklich ganz frisch und mussten schnell aus der Taufe gehoben werden. Ich finde, dass der Vorwurf sehr hart ist und an der Realität vorbeigeht."
Unerwartet deutlich ging Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, CDU, im September mit Deutschlands Klimapolitik ins Gericht als er für einen neuen Pakt von Wirtschaft und Klimaschutz warb.
"Vieles hätte schneller und früher geschehen können. Es liegt aber auch daran, dass die Arbeit an klimapolitischen Vorschlägen immer wieder in den Hintergrund getreten ist, wenn scheinbar wichtigere Themen den Vordergrund beherrscht haben."
Jetzt müsse Altmaier nur noch zeigen, dass er mehr parat habe als eine weitere Ankündigung, hieß es aus der Opposition. Mit den Corona-Stimuluspaketen hätte die Bundesregierung einige Möglichkeiten, Geld klimafreundlich einzusetzen. Experten des Thinktanks Agora Energiewende stellten im Oktober eine Studie vor, wonach die richtigen öffentlichen Investitionen Deutschland bis 2050 klimaneutral machen könnten.
"Erstens: Erneuerbare Energien ausbauen, sie ersetzen Kohle und Gas. Zweitens: Wir fahren und heizen dann elektrisch, Strom wird unser wichtigster Energieträger. Drittens: Wir sanieren unsere Häuser, am Schluss brauchen wir kaum mehr Energie für unsere Gebäude. Und viertens: Wasserstoff befeuert unsere Hochöfen, die chemische Industrie, Flugzeuge und Schiffe", sagt Patrick Graichen, Direktor von Agora Energiewende. Ideen für den klimagerechten Umbau der Wirtschaft gibt es also genug. Vielleicht gibt es am Ende eine Chance, dass der Kampf gegen Corona auch dem Klima zugutekommt.