Christiane Florin: "Auxoffana r untan gristbam" - ein Lied, dessen Titel ich nicht aussprechen kann, Text von H.C. Artmann, dem Dichter, die Musik von Ihnen. Warum ein Blues zu Weihnachten?
Konrad Beikircher: Es gibt keine bluesigere Zeit als Weihnachten. Weihnachten und Blues, das gehört zusammen. Das ist quasi ein Synonym, möchte ich beinahe sagen, wenn jemand allein ist. Und das liegt schon ein bisschen an der Sentimentalisierungsgeschichte von Weihnachten und von Heiligabend. Da hat gefälligst die ganze Familie und da muss man ja ... Ich weiß, ich bin einmal '65/'66 an Heiligabend mit dem Zug nach Hause gefahren, nach Südtirol, als Student von Bonn nach Südtirol. Und da hat mich der Schaffner in den – es war kaum jemand im Zug – Speisesaal gebeten und dann haben die mir aufgetischt. Ich meine, ich fand das natürlich wunderbar, aber das war auch in diesem "und ein Kärtchen" und "es ist ja Heiligabend" und "warum müssen Sie denn ausgerechnet heute fahren" und "haben Sie denn nicht Familie" und so was. Also, Blues kann man schon kriegen, wenn die Situation, in der du Heiligabend bist, nicht dieser Vorstellung entspricht, schön zu Hause und Familie und Geschenke auspacken.
Florin: Und steht bei Ihnen ein Weihnachtsbaum oder ein Christbaum?
Beikircher: Wie würden Sie den Unterschied definieren?
Florin: Das dezidiert Christliche, da würde ich den Unterschied sehen. In der Dekoration, glaube ich, jetzt eher nicht.
Beikircher: Da steht ein Weihnachtsbaum. Religiöse Gefühle und Krippe und Geburt Jesu, das haben wir eigentlich nicht gefeiert. Ich zögere, weil ich den Kindern immer Ludwig Thoma "Die heilige Nacht" vorgelesen habe, auch als sie kleiner waren. Das ist natürlich schon auch etwas Religiöses, wenn man so will. Aber doch eher ethnologisch-religiös, so bayrisch-bodenständig und spielt mit der Vorstellung: Was wäre denn, wenn Josef und Maria Bayern gewesen wären? Also, eigentlich eine ganz schlichte, bisschen ironische Vorstellung. Also, es hat nicht wirklich ein religiöses Gefühl in dem Sinne.
Florin: Wenn Sie ein solches Lied singen, wie das von H. C. Artmann – dem Jodler dann ja auch noch –, wie ist da die Reaktion des Publikums? Gibt es da auch Leute die sagen: Weihnachten, das ist was Heiliges, da geht man nicht dran?
Beikircher: Ja, selbstverständlich, aber Hallo. Ich war in Lennep, in der Klosterkirche, in der alten, und habe den Weihnachtsabend gemacht. Da sind beim Artmann fünf, sechs Leute aufgestanden und gegangen, denen war das zu viel. Was ich nicht wusste war, dass Lennep überwiegend evangelisch ist. Ich habe das immer für einen katholischen Ort gehalten. Einer der wenigen Orte, wo ich mich getäuscht habe. Und die waren wohl ein bisschen alteriert, würde man süddeutsch sagen, also etwas irritiert.
"Ich mache mich nicht über religiöse Gefühle lustig"
Florin: Warum genau, meinen Sie, waren die irritiert? Ist doch eigentlich normal, dass sich über Religion lustig gemacht wird, besonders übers Christentum.
Beikircher: Das ist normal. Aber in dem Lied geht es ja darum, dass jemand sternhagelvoll unterm Weihnachtsbaum sitzt und es ist für mich - und das ist der Hintergrund für den Jodler – ein unglaublich desolat-depressives Bild. Wenn jemand betrunken an Weihnachten ist, dann ist er traurig und dann ist er einsam. Und da passt sowas wie der Jodler schon, finde ich. Das ist nicht über religiöse Gefühle lustig machen. Ich glaube, die sind gegangen, die älteren Herrschaften, weil für die das nicht zusammenpasst: betrunken sein und Heiligabend. Aber wenn man da mal in die Wirklichkeit gucken würde, möchte ich es nicht wissen ...
Florin: Was ist Ihnen heilig?
Beikircher: Die Gefühle anderer Menschen, das ist mir schon heilig. Und die Überzeugungen, wie zum Beispiel religiöse Überzeugungen, das ist mir schon sehr heilig. Ich habe mich noch nie in meinem Leben über Allah oder über – ich weiß nicht – Buddha lustig gemacht, wie es einige Kollegen machen, die Spaß daran haben, dann über Jesus herzuziehen und seine Latschen. Nein, das widerspricht ganz meinem Gefühl, das muss ich doch respektieren.
Florin: Würden Sie sich selber als christlich bezeichnen?
Beikircher: Ja, natürlich.
Florin: Als katholisch?
Beikircher: Ja. Ja, als katholisch. Ich bin der Kirche nicht nahe, überhaupt nicht nahe, aber ...
Florin: Sie sind zweimal ausgetreten.
Beikircher: Ja. Jaja, ich bin im ...
Florin: Und sind auch immer noch ausgetreten?
"Nach dem Kirchenaustritt bin ich gläubiger als vorher"
Beikircher: ... im Zustand des Ausgetretenseins, ja. Genau. Witzigerweise bin ich nach dem zweiten Austritt gläubiger geworden, als ich es vorher war und katholischer geworden. Also, katholisch im Sinne von: den Erdkreis umarmend, so meine ich jetzt katholisch. Aber ich meine nicht die Organisation Kirche, da tue ich mich immer noch schwer.
Florin: Warum sind Sie ausgetreten?
Beikircher: Ich bin ausgetreten an einem Vormittag, an dem Tag, an dem in Berlin abends beim Kirchentag der gemeinsame ökumenische oder wie die Rheinländer gerne sagen "ökonomische" Gottesdienst gefeiert wurde und Kardinal Meisner hat seinem Pressesprecher im WDR dazu genötigt zu verteidigen, dass wer als Katholik abends in Berlin den Gottesdienst besucht und zum Sakrament geht, also zur Kommunion, der wird exkommuniziert. Und da muss man wissen, was Exkommunikation bedeutet, das ist eine ungeheure Strafe, wenn man sie ernst nehmen würde. Du bist unter Umständen in alle Ewigkeit zur Hölle verdammt und kannst eine Ewigkeit lang – und das zieht sich ein bisschen – nicht mehr etwas gutmachen. Du bist aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. Und da dachte ich mir: Moment mal, nur weil ich mit einem Evangelischen die Kommunion empfange, das kann irgendwie nicht sein, da stimmt etwas überhaupt gar nicht!
Mein Vater hat immer gesagt, das müsse ein armseliger Herrgott sein, wenn er zwischen Protestanten und Katholiken unterscheiden würde. Und ich war außer mir vor der Konsequenz, die das haben soll, wenn ich mit einem Protestanten zur Kommunion gehe. Das kann man nicht vertreten, nicht vor den Gläubigen und nicht vor der Ewigkeit – da sowieso nicht. Das geht einfach nicht. Und wenn eine Kirche so reagiert, dann ist es nicht meine Kirche. Und das habe ich dann gemacht.
Gut, ja, man sucht sich immer etwas, worüber man sich vielleicht besonders aufregt. Ich hätte vielleicht toleranter sein können, denke ich mir natürlich schon manchmal. Es ist bei großen Organisationen immer irgendwas.... Aber das ist eine kirchenrechtlich abgesegnete Meinung, also, die ist offiziell. Und ich erinnere mich, dass ich einmal beim Kardinal Meisner – ich glaube 2005 war das – zum Kaffee eingeladen war. Wir saßen da zu dritt – also die Eminenz natürlich, der Pressesprecher Manfred Becker-Huberti und ich – und wir haben uns eine Stunde wirklich schön unterhalten. Das war prima. Ich habe da einen sehr selbstironischen, natürlich sehr klugen, gescheiten, belesenen Mann kennengelernt. Das hat schon Spaß gemacht. Da war mittendrin mal der Satz, wo wir aufs Evangelische kamen und da sagte er: Also, ehrlich gesagt, unter uns gesagt, sagt er: "Ich hasse nichts mehr wie die Protestanten." Hat es aber nicht weiter begründet.
"Ich war außer mir"
Florin: Ernst gemeint oder ironisch?
Beikircher: Na ja, das ... vielleicht ein bisschen augenzwinkernd.
Florin: Das war der zweite Kirchenaustritt. Und der erste?
Beikircher: Der erste war, weil meine ... das hat wehgetan, ja. Der erste war: Meine erste Ehefrau hat sich das Leben genommen, war sehr stark depressiv – aber das klingt jetzt nach Entschuldigung oder so, das will ich gar nicht so. Es war eine völlig unerfahrene und zerfahrene Ehe und das endete damit: Wir hatten uns getrennt, waren ein Jahr lang getrennt und ich war eine Woche in Wien und komme zurück und habe so ein komisches Gefühl und hole die Polizei, weil das ABC, das kannte ich, ich war ja auch im Justizvollzugsdienst in der Zeit, damit Zeugen da sind, wenn irgendwas ist – wer weiß, was alles passieren kann. Also, wir gehen in die Wohnung und sie war da offensichtlich eine Woche tot. Und dann kam die Frage der Beerdigung. Und ich wollte sie in Siegburg auf dem katholischen Friedhof beerdigen, denn sie war katholisch, sie ist allerdings ausgetreten, vor mir. Ich wollte sie da beerdigen lassen und gehe zum Pfarrer, dem zuständigen und sage ihm: Ja, wie sieht es aus und ich möchte gerne ...Ja, natürlich, klar, können wir machen. Woran ist sie denn gestorben? Dann habe ich natürlich die Wahrheit gesagt: Ja, sie hat sich das Leben genommen. Ja, dann geht das leider nicht.
Florin: Unabhängig davon, ob sie noch Mitglied gewesen ist?
Beikircher: Völlig egal. Ja, Suizid war ... Gut, das war – Moment – 1979. Da war das noch geltendes Recht. Und ich war wirklich außer mir. Und dann habe ich auf dem städtischen Friedhof ein Grab gefunden, dann haben wir das da gemacht. Und ein Freund von uns, der evangelische Geistliche vom Knast in Siegburg, hat dann die Beisetzung gemacht. Da bin ich ausgetreten, weil mich das so getroffen hat, ich fand das so unbarmherzig, so schroff. Der Bestatter, zu dem ich gegangen bin, war so ein väterlicher Typ. Und dann sitze ich da und dann hat er mir gesagt: Wissen Sie, Ihre Frau ist so jung gestorben, da muss man einen hellen Sarg nehmen. Und dann sitzt du da, ein fremder Mensch, und du fühlst dich getröstet und umarmt. Und dagegen die Reaktion von dem Pfarrer, also, irgendwie ... Gut. Ich bin danach wieder eingetreten, weil ich mir dachte: Komm' – das war zwei Jahre später. Und ich habe gedacht: Das ist doch dummes Zeug. Gibt's überall und so. Und das ist eine Riesenzeremonie.
"Ich habe diesen kindlichen Glauben noch in mir"
Florin: Sie sagten, nach dem zweiten Austritt, sind Sie katholischer denn je. Woran macht sich das fest?
Beikircher: Ja. Es hat mich mehr beschäftigt als vorher. Bis dahin war es eher so ein bisschen automatisch. Ab und zu bin ich mal in die Kirche gegangen, drei-, viermal im Jahr. Ich war so ein Katholik – wie soll ich sagen –, na ja, Taufbuchkatholik, aber eigentlich mehr nicht. Ich habe mich auch nie wirklich auseinandergesetzt. Nun bin ich das zweite Mal ausgetreten, und zwar aus einem kircheninternen Grund. Und ab da ging das schon. Ich habe angefangen, mich damit zu beschäftigen und habe dann gelesen, habe das Neue Testament gelesen, Evangelien gelesen, und mit anderen Augen natürlich gelesen. Und habe für mich die Definition gefunden, was für mich Christsein bedeutet. Nicht wie für meine Mama, die Hoffnung auf ein ewiges Leben später oder so was, sondern als Verpflichtung jetzt mit den Menschen, mit denen ich lebe, zu tun habe, die Frau, die Kinder, die Freunde, was weiß ich. Da ist die Verpflichtung, so habe ich es für mich übersetzt und aufgenommen. Und das ist bis heute so geblieben. Und ich wäre zu den Auffassungen, glaube ich, nicht gekommen.
Florin: Das heißt, wer wird Weihnachten aus Ihrer Sicht geboren? Der Sohn Gottes oder ein netter Typ, ein Sozialrevolutionär, ein Bergprediger?
Beikircher: Das ist schwer. Also, ein Bergprediger – klar –, einer, der uns wirklich bis heute was zu sagen hat. Aber ein bisschen natürlich auch – ich habe auch diesen kleinen kindlichen Glauben immer noch in mir und dann acht Jahre Franziskaner und so, bei denen ich war als Jugendlicher –, es ist schon auch der Sohn Gottes. Jaja, klar. Aber ob ich leben werde, ob ich ... na ja. Dann erwische ich mich dabei, dass ich in der Kirche sitze – zum Entspannen, Time out – und dann unterhalte ich mich mit meinem Papa und erwische mich bei dem Gedanken: Ich freue mich, dich wiederzusehen. Es ist viel unausgegoren.
Florin: Und katholisch sein oder sich so empfinden, aber nicht mehr Mitglied sein, geht das nur im Rheinland?
Beikircher: Im Rheinland geht es leichter. Ich habe beinahe den Eindruck, wenn ich das jemandem erzähle – 'Jo, normal' –, die Reaktion darauf ist verständnisvoll. Das ist nicht überall so. In Südtirol wäre das anders. Das wäre schon anders. Also, das ist so anders, dass selbst meine beiden Brüder mich darauf angesprochen haben, ob ich denn wirklich ausgetreten sei. Das haben die gesagt bekommen vom Pfarrer in Bruneck. Der hat seiner Pflicht folgeleistend die Angehörigen informiert, dass nun ein schwarzes Schaf da ist. Und dann habe ich dem ältesten Bruder gesagt: Und wenn ich es erst jetzt erfahren hätte, dann hätte ich es jetzt gemacht, weil das finde ich unmöglich.
Religion war peinlich
Florin: Sie sind ein '68er, kann man sagen.
Beikircher: Jaja, klar.
Florin: 1968 haben Sie in Bonn Psychologie studiert und sind auch ein bisschen auf die Barrikaden gegangen.
Beikircher: Jaja.
Florin: War damals Glauben peinlich?
Beikircher: Ja. Absolut. Ja, da hat man sich geschämt. Das hat man nicht zugegeben. Das hat man nicht gesagt. Da ist man – um Gottes Willen – auch nie in die Kirche gegangen – selbstverständlich nicht. Ich habe 1970 das erste Mal geheiratet, im Februar, und wir haben '69 dann so überlegt – beide dem SDS nahestehend, beide eher links und das übliche Zeug. Und dann haben wir überlegt: Ja, wir wollen heiraten. Und da war der Grund: Wir haben konservative Eltern, ihr Vater Physiker und die Mama Hausfrau und bei uns auch Techniker und Hausfrau und sehr konservativ. Wir müssen kirchlich heiraten, da können wir nicht ... Dann kam das Argument: Ja, ist ja auch schöner, weil ein weißes Kleid – wir haben uns dann für eierschalenfarben entschieden, damit es nicht ganz so weiß ist. Und das war aber ... huch, das war aber ein Zirkus im Kopf, aber hallo und dann zum Studentenpfarrer zu gehen. Zu dem sind wir gegangen: Wie soll man das denn machen? Der sich gefreut hat wie jeck, weil wir seit Jahren das erste Studentenpaar waren, das dann auch katholisch heiraten will. Das war ein Riesenaufstand in unseren Köpfen und drum herum.
Florin: Wirklich in den Köpfen oder war das eher so die Mode zu sagen: Religion, das ist Repression, Patriarchat ...?
Beikircher: Das ist schwer zu trennen. Weil es war natürlich die Mode. Ich habe aber mit meinem Papa, mit meinem Vater, Auseinandersetzungen gehabt über Marxismus, Kapitalismus und er hat dummerweise mehr Lenin gelesen als ich, konnte da leider sehr gut kontern und hat mich, der ich dem Ganzen eher modisch verhaftet war als aus wirklich innerer Überzeugung, ziemlich fertiggemacht. Was die Kirche angeht, so hat es mich schon nicht interessiert, überhaupt nicht. Ich habe damals in dem Gefühl gelebt: Jetzt war ich acht Jahre bei Franziskanern, also bis zu meinem 70. Geburtstag brauche ich keine Kirche mehr von innen sehen. Das war das Gefühl.
Florin: Den haben Sie ja hinter sich gelassen, den 70.
Beikircher: Ja.
"Glauben - um Himmels Willen!"
Florin: Wie redet man denn so unter Kabarettisten über Glauben und Religion?
Beikircher: Wird tabuisiert, fast nie berührt. Ich habe mit Hanns Dieter Hüsch ab und zu Gespräche gehabt über Kirche, der sehr darunter gelitten hat, dass die Frankfurter – Eilert, Gernhardt, Knorr und Traxler – ihn fertiggemacht haben, weil er in Basel Predigten gehalten hat. Da hat er sehr drunter gelitten. Da haben wir drüber geredet. Ich habe mit ihm, mit Hanns Dieter, mal einige Male Gespräche mittags gehabt über Christentum, über Glauben, über Gott. Er hat mich angerufen bei einem Programm – oh, ich weiß nicht mehr, wie das hieß –, ich glaube "Und sie bewegt sich doch", war das … egal, eines der Programme, da hat er mich angerufen und sagt: Was meinst du denn, ich möchte gerne den lieben Gott auftreten lassen und er ist Niederrheiner. Kann ich das denn machen? Da habe ich gesagt: Natürlich kannst du das machen. Super. Wunderbar. Es sind hübsche Geschichten geworden. Und mit Jürgen Becker einmal indirekt. Kardinal Meisner – bei dem Kaffeegespräch – hat mich gefragt, was ich denn davon hielte, dass Jürgen Becker von "dem Tünnes da" spricht, "am Kreuz".
Florin: Jesus am Kreuz.
Beikircher: Jesus am Kreuz, ja "der Tünnes". Und ich habe ihm gesagt: Also, ich halte davon überhaupt gar nichts, das, finde ich, ist außerhalb meiner Sichtweise. Und mit Jürgen aber hatten wir auch einmal bei Manfred Lütz – Leiter des Alexianer-Krankenhauses und Buchautor, er lädt zwei-, dreimal im Jahr zum Kabarettistenmittagessen ein – ein sehr ernstes Gespräch. Und da war der Pfarrer Meurer dabei. Da kam Jürgen: "Ja, ich bin ja Atheist und das ist ja sowieso alles Blödsinn." Und dann war aber schon klar, dass es so einfach nicht ist und er hat katholischer argumentiert als der Meurer und ich. Aber das war auch ein schönes Gespräch. Aber ansonsten: "Nein, nein, Glauben, um Gottes Willen, lass mich in Ruhe damit."
Florin: Warum? Weil es zu persönlich ist? Weil man zu viel von sich preisgeben muss? Oder weil das Verhältnis gar nicht geklärt ist?
Beikircher: Ich glaube, es gibt nur noch zwei Tabus im normal-gesellschaftlichen Leben. Das ist nicht mehr Liebe und Sex und das Zeug, das ist Geld und das ist Glaube. Also, Religion und Glauben, das sind offensichtlich Schwachpunkte. Wenn man Geld hat, will man es nicht zugeben, dass man es hat, da redet man nicht drüber. Und Sie werden kaum einen Kabarettisten finden, der Ihnen sagt, wie viel er für einen Auftritt kriegt, auch Kollegen nicht. Also, Hanns Dieter hat erzählt: Ich kriege da so und so viel, weil er neidfrei war und sehr kollegial. Halt, Harald Schmidt auch! Harald war auch immer kollegial und hat auch darüber reden können.
Florin: Aber der redet ja auch über Religion.
"Ohne Christentum wäre es kälter"
Beikircher: Ja. Jaja, der ist da frei von diesen Tabuisierungen. Und ansonsten, Glauben ist schon ein Tabu, über das man nicht redet, weil man denkt, man zeigt Schwäche, wenn man nicht alles aus eigenem was weiß ich, aus eigenen Kräften macht und "ich bin toll" und "ich bin super" und "ich bin fit". Komisch.
Florin: Empfinden Sie das so, dass Glauben, die Vorstellung, dass da ein Gott ist, dem man etwas verdankt, dass das eine Schwäche ist?
Beikircher: Überhaupt nicht. Überhaupt nicht, im Gegenteil. Also, die Verantwortung, die ich jemandem gegenüber habe – so empfinde ich es –, der für das ganze Chaos hier zuständig ist und das Universum und alles, also, die Verantwortung, die ich Gott gegenüber habe, finde ich eine ganz wichtige Verantwortung. Und damit meine ich so die Verantwortung für mein Leben. Und ich habe das Gefühl, dass ich da auch aufgehoben bin. Gar nicht im Sinne dieses mütterlich-katholischen Verzeihens und "komm nur an den Busen der Kirche und dann streichle ich dich und dann ist alles wieder schön", sondern ich bin ein Teil eines größeren Ganzen. Und dem größeren Ganzen bin ich aber auch gegenüber verantwortlich. Das empfinde ich sehr deutlich. Deshalb keine Schwäche, nein, natürlich nicht.
Florin: Ganz schön konservativ für ein 68er, oder?
Beikircher: Ja, wenn ich das vergleiche mit damals – jaja –, wäre es schon konservativ, ja.
Florin: Stört es Sie, wenn jetzt in der Weihnachtsdekoration mehr Elche als Engel auftauchen? Also, Artmann könnte vielleicht gar nicht mehr über die Engel singen und über die Kerzlein, sondern müsste über Elche dichten.
Beikircher: Würde er tun, er war ja perfekt Skandinavist. Ich hasse diese Weihnachtsmärkte und dieses Gedöns und Gelärme. Und das ist laut und das ist nur Glühwein und du gehst oben rein und kommst mit 0,8 Promille unten raus.
Florin: Aber Sie singen ja davon.
Beikircher: Na ja, das ist, denke ich, sehr, sehr modeabhängig. Engeldekoration, das ist für mich stärker kindheitsbetont. Elche oder Engel, wäre egal, jetzt auf der Dimension; Engel wären christlich und die Elche nicht.
Florin: Wie verändert sich denn eine Gesellschaft, wenn weniger Menschen glauben, sich als religiös bezeichnen oder religiöses Wissen haben? Wird es kälter?
Beikircher: Es wird kälter, ja. Es wird brutaler, finde ich schon. Auch wenn im Namen von Glauben – egal, wohin man guckt – Kriege angezettelt worden sind und furchtbare Dinge angestiftet wurden. Trotzdem, wenn das wegfällt, die Eingebettetheit in ein Netz von Regeln, von Normen, sagen wir mal, von Erwartungen, "Du sollst nicht ...", dann haben wir halt jetzt ein Gebot oder so, wenn das wegfällt, ich finde schon, dass es kälter wird.
Florin: Das würden Atheisten bestreiten und wahrscheinlich mit Recht. Denn Christen sind ja nicht die besseren oder immer die sozialeren Menschen.
Beikircher: Ja. Und vielleicht sind sie das deshalb nicht, weil kein Mensch diesen Idealforderungen entsprechen kann – das ist schon klar. Ich finde trotzdem besser, wenn sie da sind, als wenn sie nicht da sind. Klingt sehr konservativ, aber doch, ich denke das so. Also was soll ich denn da drum herumreden.
"Melancholische Lebensheiterkeit"
Florin: Wo Sie eben sagten "eingebettet" – Sie haben in Ihrem Weihnachtsprogramm "Sternstunde" "Heitschi Bumbeitschi" im Originaltext.
Beikircher: Es ist ja bekannt als Schlaflied. Und mit viel gutem Willen kann man das auch irgendwie in die Richtung interpretieren ... aber nein, nein, kann man nicht. Es gilt als Schlaflied, weil Peter Alexander die Kitschversion populär gemacht hat. "Aber heidschi bumbeidschi, schlaf lange, es is ja dein Muatter ausganga; sie is ja ausganga und kimmt neamer hoam und laßt das kloan Biabele ganz alloan! Aber heidschi bumbeidschi bum bum." Und die letzte Strophe: " Der Heidschi bumbeidschi is kumma und hat ma mein Biable mitgnumma;er hat ma's mitgnumma und hats neamer bracht, drum winsch i mein' Biaberl a recht guate Nacht! Aber heidschi bumbeidschi bum bum."
Wenn man so in dem Österreichischen, Tirolerischen stärker drin ist, dann ist das nicht makaber, dann ist das ja, es kommt ja aus der Zeit der Kindersterblichkeit, das Lied. So 200 Jahre alt ungefähr, da ist jedes zweite Kind gestorben, da war das relativ normaler Alltag, in ländlichen Gegenden, in den Alpen sowieso. Bis da um 1780 der Notarzt kam, da war ja schon mal nichts.
Florin: Aber wenn Sie es heute vorlesen, dann hat es ja natürlich etwas Makabres.
Beikircher: Ja, jaja. Jaja, genau. Und das hat deshalb auch was Makabres, weil uns der Alltag des Sterbens und des Todes abhandengekommen ist.
Florin: Ist damit Weihnachten auch ein Memento mori?
Beikircher: Ja.
Florin: Als Geburt und Tod?
Beikircher: Ja, natürlich. Jaja, schon.
Florin: Und nicht nur das Fest der Familie, der Liebe, des Lichterglanzes?
Beikircher: Nein, ich finde schon, es ist auch ein Memento der Vergänglichkeit, des Vorbeigehens. Es ist ein Neuanfang. Es ist ein Neubeginn. So empfinde ich es jedenfalls. Und es ist schon ein Memento mori drin, ja klar, mehr als an Ostern, weil hätte ja auch "schiefjehen" können. Entschuldigung. Jetzt ist es noch ein bisschen überraschend, wenn man bei Weihnachten diesen Gedanken ausspricht, aber der Barock oder Spätrenaissance, mit dem "Oh du lieber Augustin" oder so was, das ist ja eine ganz typisch süddeutsch-melancholische Lebensheiterkeit. Die gehört an Weihnachten schon sehr dazu. Das ist nicht nur die Fröhlichkeit.
Der Kabarettist Konrad Beikircher wurde 1945 in Südtirol geboren. Um Psychologie zu studieren, zog er nach Bonn. Er arbeitete zunächst als Gefängnispsychologe, bevor er vor knapp dreißig Jahren die Beamtenlaufbahn gegen ein freies Künstlerdasein tauschte. Bekannt wurde Konrad Beikircher als Analytiker der rheinischen Seele, als Buchautor und Sänger.