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"Konsolidierung nach Krise notwendig"

Der Präsident der Bundesbank, Axel Weber, sieht trotz schlechter Wirtschaftsprognosen Anzeichen für eine Besserung der wirtschaftlichen Lage. Die Talsohle könnte schon im kommenden Jahr durchschritten werden, sagte Weber. Dann sollten die Ausgaben der öffentlichen Haushalte schnell wieder zurückgefahren werden. Die Konsolidierung sei ohne Alternative.

Axel Weber im Gespräch mit Jürgen Liminski |
    Jürgen Liminski: Es ist gerade mal drei Wochen her, dass die Großen dieser Welt auf dem G20-Gipfel über eine neue Finanzarchitektur beraten haben. Es wurden neue Maßnahmen ins Auge gefasst, die nun auf dem Gipfel der Notenbankchefs, des Weltwährungsfonds und der Weltbank konkretisiert werden sollen. Aber gibt es für das Wichtigste eine Maßnahme? Das Wichtigste ist Vertrauen. Der erste Präsident der Bundesbank, damals noch Direktorium der Bank Deutscher Länder, Wilhelm Vocke, drückte es wörtlich so aus:

    Wilhelm Vocke: Die Unabhängigkeit der Bank und ihrer Leiter ist eine unabdingbare Notwendigkeit. Nur wenn diese, der Verantwortung der Bank entsprechende Unabhängigkeit nach allen Seiten gewahrt wird, wird die Notenbank das Gut erwerben, das wichtiger ist als Popularität und Beifall, ja sogar wichtiger als Gold und Devisen: Vertrauen im In- und Ausland.

    Liminski: Wilhelm Vocke vor gut 60 Jahren. 1948 wurde die Rede noch nicht aufgezeichnet; wir haben das Zitat vertont. - Gilt diese Priorität immer noch? Haben wir noch Vertrauen in die Staatsbank, oder auch in die Europäische Zentralbank? Steuern wir auf eine Inflation zu? Was sind Dollars und Euros noch wert? - Zu diesen Fragen begrüße ich den Präsidenten der Bundesbank, Professor Axel Weber, seit heute beim Finanzgipfel in Washington. Guten Morgen oder guten Abend, Herr Weber.

    Axel Weber: Ich grüße Sie, guten Morgen!

    Liminski: Herr Weber, ist die Unabhängigkeit der Staatsbanken das wesentliche finanzpolitische Unterscheidungsmerkmal zwischen Europa und Amerika?

    Weber: Das würde ich so nicht sagen. Die Deutsche Bundesbank und die auch hier nachempfundene Europäische Zentralbank zeichnen natürlich sich durch ein hohes Maß an Unabhängigkeit von der Politik aus. Das ist konstitutives Element des Euro-Systems, das ist auch Grundlage für den Euro, und insofern dürfen die europäischen Bürger sich darauf verlassen, dass sie es mit einer unabhängigen Zentralbank zu tun haben, die auf Preisstabilität bedacht ist.

    Liminski: Und in Amerika?

    Weber: In Amerika, die Kollegen haben eine andere Art und Weise, wie sie Geldpolitik machen. Ich will das nicht vergleichen. Meine Verantwortung ist für den Euro-Raum und ich würde mich in meinen Aussagen gerne darauf konzentrieren.

    Liminski: Sie waren noch vor einigen Stunden in der Sitzung der EZB, wieder in einigen Stunden geht es zum Gipfel der Bankenchefs. Kommt man mit der Eindämmung der Finanzkrise voran?

    Weber: Ich würde schon sagen, dass nach dem Niedergang von Lehman Brothers, diesem Bankhaus, die folgenden Monate dadurch gekennzeichnet waren, dass ein Schwelbrand wirklich zu einem Flächenbrand wurde, und alle damit beschäftigt waren, die Folgen dieses Flächenbrandes einzudämmen. Das ist in Teilen gelungen.

    Natürlich kämpfen wir noch mit nachhaltigen Problemen an den Finanzmärkten. Wir haben aber in diesem Jahr - insbesondere in den ersten zwei, drei Monaten - eine zunehmende Erholung gesehen an den Interbankmärkten. Wir sind noch nicht aus der Talsohle heraus, aber leichte Anzeichen für eine Besserung gibt es in der Tat.

    Liminski: Einer Ihrer Vorgänger, Karl Blessing, hat einmal gesagt, es gibt keine harte Währung ohne harte Maßnahmen. Welche harten Maßnahmen haben wir zu erwarten, zum Beispiel von diesem Wochenende der Bankenchefs?

    Weber: Nun, es gibt eine Reihe von Maßnahmen, die wir hier in Washington beim Internationalen Währungsfonds und bei der Weltbank besprechen. Hauptsächlich sind dies die Lehren aus der Krise, die schon auf dem G-20-Gipfel der Staats- und Regierungschefs - erstmals in Washington, dann in London - gezogen wurden. Hier geht es auf der Ebene der Finanzminister und Notenbankchefs um die Umsetzung dieser Gipfelprozesse. Hier reden wir miteinander, was wir in den verschiedenen internationalen Gremien - im Basler Bankenausschuss, im Internationalen Finanzstabilitätsforum und auch hier im IWF - zu tun haben.

    Wie Sie wissen wurden die Mittel des IWF deutlich aufgestockt. Der IWF ist damit in die Lage versetzt, dass er sehr massiv eben auch zur Krisenbewältigung in Schwellenländern beitragen kann, und das ist wichtig, denn die deutsche Betroffenheit über die Exporte kommt ja hauptsächlich daher, dass wir eine sehr synchrone weltweite wirtschaftliche Abschwungsphase zurzeit durchlaufen, und da sind wir mit dem Export sehr stark betroffen. Maßnahmen des IWF in den Schwellenländern helfen auch uns - und wir helfen, diese Maßnahmen zu finanzieren.

    Liminski: Also keine harten, sondern eher weiche Maßnahmen?

    Weber: Nein, es sind schon auch eine ganze Reihe von harten Maßnahmen, die an den Kern der Krise gehen, nämlich die Lehren für das Finanzsystem, die zu ziehen sind. Ich würde das darauf konzentrieren, dass ich sage, dass wir eine Reihe von Themen umsetzen werden, wo es darum geht, zum Beispiel die Prozyklizität, also die sehr starke Schwankungsanfälligkeit des Finanzsystems, zu verbessern.

    Wir werden uns mit Vergütungssystemen im Finanzsektor beschäftigen, wir werden das Krisenmanagement verbessern müssen, und hier sind auch eine Reihe von Maßnahmen, einschneidenden Maßnahmen zu erwarten, auf der Aufsichtsseite zum Beispiel, dass es keine Regionen mehr gibt, die nicht der Aufsicht unterliegen, dass Hedgefonds, insbesondere solche, die systemrelevant und groß sind, mit einbezogen werden in die Aufsicht, also eine Reihe von Maßnahmen auch zum Beispiel für Rating-Agenturen, die dann in der konkreten Umsetzung schon einiges an deutlichen Änderungen an den Finanzmärkten mit sich bringen werden. Die Märkte der Zukunft werden nicht so sein wie die Märkte der Vergangenheit.

    Liminski: Im Moment herrscht in Deutschland teilweise ein Klima des Banker- und Manager-Bashings. Auch die Bundesregierung hat jetzt neue Regeln für die Vergütung von Managern erlassen - es geht natürlich um Top-Manager. Sind wirklich die Banker an allem schuld und nicht doch auch die Politiker, die in Amerika zum Beispiel jedem Bürger ein Haus versprochen haben, oder die in Deutschland in den Aufsichtsräten der Banken sitzen?

    Weber: Die Ursachen der Krise sind nie an einem einzigen Faktor festzumachen. Einzelne Faktoren hätten erkannt werden können. Was sich bei dieser Krise gezeigt hat ist, dass wir ein sehr ungutes Gebräu von verschiedenen Problemen hatten, die insbesondere in ihrem Zusammenwirken sich wirklich als unguter Cocktail, als wirklich teuflisches Gebräu ergeben haben, was in dieser Kombination dann auch die Probleme deutlich verschärft hat.

    Eines der Probleme sind natürlich auch die Anreizstrukturen in den Banksystemen, sehr stark auf kurzfristigen Profit orientierte Entlohnungssysteme, Bonisysteme. Auch hier gibt es weit reichende Empfehlungen, dies in Zukunft auf eine längerfristige, dauerhaftere Basis zu stellen, ohne Anreizstrukturen zu zerstören. Ich denke, das ist wichtig. Und nach Ihrer Frage, ob es denn nur die Banken sind: Ich glaube, alle haben hier in dieser Krise Lehren zu ziehen, die Banken sicherlich allem voran, aber auch die Aufsicht, auch die Politik und letztendlich wird auch der Weg nach vorne nur durch ein gemeinsames Bekämpfen der Krisenursachen stattfinden. Also ich denke, man kann das nicht auf einzelne Ursachen und einzelne Akteure konzentrieren, da macht man es sich zu leicht.

    Liminski: Herr Weber, es werden derzeit krisenbedingt natürlich unglaubliche Schulden angehäuft. Sehen Sie eine Chance, dass die jemals zurückgezahlt oder wenigstens in einen Rahmen zurückgeführt werden können, der wieder politische Handlungsspielräume öffnet?

    Weber: Die Konsolidierung muss kommen, sie ist alternativlos. Wenn die Bürgerinnen und Bürger jetzt in dieser Phase, wo massive Ausgaben erfolgen - sowohl von den Regierungen als auch von den internationalen Institutionen -, wo die Notenbanken ihre Geldpolitik expansiv gestalten, wenn die Bürger in dieser Phase das Vertrauen in die langfristige Aufrechterhaltbarkeit der Vermögenswerte oder auch der staatlichen Ausgabenprogramme verlieren, dann ist alles, was wir kurzfristig tun und versuchen zu tun, Schall und Rauch.

    Also es muss einen Zweiklang geben von jetzt expansiven Maßnahmen, aber gleichzeitig damit beschlossenen und auch den Bürgern vermittelten Konsolidierungsmaßnahmen, die sofort einzuleiten sind, wenn das Schlimmste in dieser Krise vorbei ist. Hier wird das Jahr 2009 mit deutlichen Schwierigkeiten noch belastet sein.

    Ich sehe aber durchaus eine Chance, dass wir im Jahr 2010 dann doch die Talsohle durchschritten haben. Vermutlich kommen wir schon wieder zu etwas weniger starkem Abwärtsdruck im Laufe dieses Jahres, insbesondere über den Sommer, aber so richtig besser dürfte es dann erst im Jahr 2010 so langsam werden. Ich erwarte keine dynamische Erholung, aber zumindest eine Besserung, und dann sollten wir sicherlich auch dazu übergehen, dass wir die jetzt expansive Geld- und Fiskalpolitik wieder zurückfahren und eher langfristig versuchen zu konsolidieren.

    Liminski: Noch ein Wort zu dieser Fiskalpolitik. Im Moment sagen uns Chefvolkswirte und auch der Chef des Internationalen Währungsfonds Strauss-Kahn, die Gefahr sei nicht die Inflation, sondern die Deflation. Wäre denn eine kontrollierte Inflation, also einstellig, nicht die intelligenteste Lösung, Schulden abzubauen, oder ist ein Währungsschnitt eine Alternative?

    Weber: Die Welt besteht nicht nur aus Schuldnern. Die Welt besteht insbesondere auch aus vielen strebsamen Bürgerinnen und Bürgern, die versuchen, für ihre Altersversorgung vorzusorgen, die Gelder über ihr Leben durch harte Arbeit erworben haben, die diese Gelder anlegen, die für ihre Pensionen vorsorgen, und all die würde man bestrafen.

    Von mir als Notenbanker bekommen Sie immer nur eine einzige Aussage zur Inflation: Wir müssen sie verhindern. Inflation ist kein Mittel zur Verbesserung, sondern sie ist Ursache vieler Probleme - und diese Ursachen werden wir als Notenbanken immer bekämpfen.

    Ich glaube, Inflation hilft hier auch nicht weiter an dieser Stelle, weil es ist immer Inflation zutiefst unsozial. Es ist eine Umverteilung von denjenigen, die verschuldet sind - die profitieren von einer solchen Inflation. Und diejenigen, die Vermögenswerte haben, verlieren. Solche Systeme sind meines Erachtens, wo es zu Umverteilungsmechanismen kommt, mit erheblichen Problemen belastet.

    Langfristig ist Preisstabilität immer das beste Gut. Es ist ein planbares Umfeld, wenn die Preise nicht stark steigen, und wir als Notenbanken sind auch deswegen unabhängig, damit wir diese Preisstabilität garantieren können, auch wenn die Politik in dem Umfeld, wo wir dies tun, uns nicht immer mit Begeisterungsstürmen hier begleitet, wenn wir Preisstabilität garantieren. Manchmal erfordert das harte Maßnahmen. Wir sind unabhängig, um sie dann auch umzusetzen, wenn sie notwendig sind.

    Liminski: Gestern haben die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute den deutschen Wohlstandsbürger in den Abgrund schauen lassen und es wird gern auf die Krise vor 80 Jahren hingewiesen. Aber schrumpfen wir nicht doch nur auf sehr hohem Niveau, dem höchsten, das uns die Weltgeschichte je beschert hat? Ist dieser kollektive Krisenrausch berechtigt?

    Weber: In der Tat, die häufige Diskussion von Wachstumsraten spiegelt so etwas die Philosophie wieder, dass es immer nach oben gehen muss, je steiler je besser. Wir sind zurzeit in der tiefsten Rezession der Nachkriegszeit. Das sollte man nicht versuchen, schönzureden. Wir haben eine Chance, dass diese Rezession im Laufe des Jahres sich leicht abschwächt und dass wir dann im nächsten Jahr wieder herauskommen.

    Viel wichtiger ist jedoch, was Sie angedeutet haben, das Pro-Kopf-Einkommen. Deutschland, die Bundesrepublik ist eines der reichsten Länder der Welt, und ich denke, man soll trotz aller Beeinträchtigung zurzeit in den Wachstumsraten nicht vergessen, dass der Wohlstand bei uns in Deutschland in der gesamten Nachkriegszeit kontinuierlich gestiegen ist. Er bricht jetzt etwas ein vor dem Hintergrund dieser sehr weltweiten Rezession, die uns über die Exporte einholt, aber Deutschland wird auch danach noch ein relativ vermögendes Land bleiben.

    Liminski: Krise ja, aber sie ist zu meistern. Das war hier im Deutschlandfunk Axel Weber, Präsident der Bundesbank, zurzeit in Washington. Wir haben das Gespräch heute Morgen unmittelbar vor der Sendung aufgezeichnet.