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Konstanz am Bodensee
Grenzüberschreitender Flohmarkt

Auf rund zehn Kilometern reihen sich Stand an Stand mit einigem Nützlichen und Unützen zum Verkauf - es ist Flohmarkt in Konstanz. Das Besondere: Er dauert nicht nur 24 Stunden, sondern überschreitet auch die Grenze zur Schweiz - bislang ohne Grenzkontrollen.

Von Thomas Wagner |
    Konstanz, Hafeneinfahrt mit drei Schiffen.
    Am Bodensee gibt es nicht nur Schifffahrten, sondern am Wasser werden über 24 Stunden Flohmarktsachen feil geboten. (imago)
    "Einen Rucksack, heißt Junior für 6.45 Uhr." - "Ja, das ist ein Kinderrucksack? Das hab' ich aber nicht gewusst." - "Na, jetzt ist zu spät."
    Das Seerheinufer bei Konstanz - kurz nach 22 Uhr gestern Abend: Das dunkle Wolkenfeld am Himmel ist nur noch schemenhaft in der Dämmerung erkennbar. Viele Tausend kleine Lichter spiegeln sich auf der glatten Wasseroberfläche - die Lichter der Flohmarktstände. Er ist einer der jüngsten, die ihre Sachen in der Abenddämmerung feilbieten.
    "Ich bin Juri, fast zwölf Jahre alt. Ich verkaufe meine alten Sachen, die ich früher hatte. Spiele oder Bücher halt. Ich hab bis jetzt schon 140 Euro angenommen. Also, das läuft schon ganz gut bei mir."
    Viel Zeit hat der Zwölfjährige nicht für ein Gespräch. Menschenmassen schieben sich am Seerheinufer entlang, wie jedes Jahr im Juni. Dann nämlich ist Flohmarktzeit in Konstanz.
    "Das macht eigentlich das Besondere aus: Also so in den Großstädten wie Köln oder Berlin gibt es jede Woche so einen Flohmarkt. Und da ist das Ganze dann schon kommerzialisiert. Dann sind das Leute, die damit Geld machen wollen. Und hier ist das so: Einmal im Jahr wollen die Leute ihre Sachen loswerden. Und es geht eben ums Loswerden, nicht darum, viel Geld damit zu machen. Und das macht, glaube ich, viel von der Atmosphäre hier aus."
    Buntes Sortiment, das zum Verkauf angeboten wird
    Hanniah Blendin, Ende 20, hat, so scheint es, alles auf ihren Flohmarktstand gepackt, was zuhause nicht niet- und nagelfest war: Bücher, ein Altes Radio, Bilder, Tassen, Teller, Tischecken. Doch ob das alles Käufer findet - nicht so wichtig. Hannah Blendin schaut versonnen nach vorne.
    "Also erst mal blick ich natürlich auf den Rhein, was sehr schön ist. Und das Rheinufer ist voller Lichter, Menschen und Stände. Und überall flanieren wahnsinnig viele Menschen rum, schon seit Stunden: 24 Stunden, zehn Kilometer, Wahnsinn."
    "Ja, das sind viel mehr Kunden: ein paar Schweizer, die schon fleißig Deutsch sprechen: Eine hatte einen ziemlich englischen Akzent."
    "Ich komme aus Südafrika. Mein Name; Sima. Das ist meine erste Zeit in Konstanz. Die Atmosphäre ist sehr schön. Alle Leute sind sehr fröhlich."
    Hektisch, fast schon überlaufen und ein wenig chaotisch: Brian aus Arizona schwimmt regelrecht mit der Menge der rund 70.000 Besucher mit, die sich am Seerheinufer entlang schiebt, hinein in die Altstadt, wo sich die Stände über die historische Brotlaube erstrecken. Das ist normalerweise ein vierspuriger Umfahrungsgürtel; an diesem Wochenende bleibt er für Autos gesperrt. Zwei Männer schnuppern an einem Würstchenstand. Sie kommen:
    "Von Rorschach, Bodensee. Aus dem Nachbardorf in Horn. Wir sind praktisch jedes Jahr hier seit vielen, vielen Jahren."
    "Ich bin Carlo Bonette, ein halber Italiener. Und ich bin Karol-Heinz Thür aus Horn."
    Mit der Eisenbahn sind die beiden an den Bodensee gekommen. Ausgestiegen allerdings sind sie noch in der Schweiz, nämlich:
    "In Kreuzlingen, das in der Schweiz. Das ist Grenzstadt zu Konstanz. Zuerst in Kreuzlingen, da ist auch Flohmarkt, länderübergreifend."
    Zehn Kilometer Flohmarkt
    Will heißen: Der wie an einer zehn Kilometer langen Perlenkette aneinandergereihten Flohmarktstände erstrecken sich vom EU-Land Deutschland hinüber ins Nicht-EU-Land Schweiz; die EU-Außengrenze schlängelt sich quer durch die beiden Nachbarstädte, wird schon im Alltag meistens kaum mehr als Grenze wahrgenommen - und an dem Wochenenden, an dem Flohmarkt ist, schon gar nicht.
    "Gar keine Grenze mehr, nichts mehr. Ja, aber der Zoll ist schon noch da. Ja, aber niemand kontrolliert. Und vom Franken vom Euro wechselt's. Aber die meisten nehmen auch Franken hier in Konstanz."
    Und so ist für die beiden Schweizer die Flohmarkt-Nacht in Bodenseenähe auch eine Nacht der Zuversicht.
    "Also ich find's super. So soll es weitergehen. Ich find es total daneben, dass jetzt wieder darüber diskutiert wird, über die Grenzen, sie zu schließen und wieder kontrollieren. Ich verstehe nicht, dass man wieder darüber diskutiert, das wieder einzuführen."
    "Es ist auch ein bisschen ein angespanntes Verhältnis zu den Schweizern hier in Konstanz, wenn die alle rüberkommen. Und ich find das gut, dass da alles wieder zusammenwächst - beim Flohmarkt."
    Auch die Konstanzer selbst schätzen es, dass der Tag-und-Nachtflohmarkt bis weit in die Schweizer Nachbarschaft hinüberreicht.
    "Konstanz rot durchgestrichen. Und dann Schweiz. Und dann zwar die Grenze. Aber kein Schwein steht zur Kontrolle da. Das finde ich jetzt mal richtig gut."
    Rüber in die Schweiz
    Es ist weit nach Mitternacht: Flohmarktbesucherin Gabi Joop geht ganz einfach hinüber, zu den Flohmarktständen im schweizerischen Kreuzlingen. Die sehen nur auf den Blick fast gleich aus wie die deutschen in Konstanz. Wer sich dort umsieht, der entdeckt aber schnell das gewisse schweizerische Etwas.
    "Das ist eine Kuhglocke. Die bringt ungefähr 80 Franken."
    Robert Kern ist eigens aus dem Allgäuörtchen Marktrettenbach zum Flohmarkt gekommen, sowohl zum Konstanzer als auch zum Kreuzlinger in der Schweizer Nachbarschaft - und muss doch feststellen:
    "Eigentlich ist der in Kreuzlingen besser wie der Konstanzer. Qualitativ hochwertigere Ware, nicht so viel Ramsch."
    "Ein vegetarisches Dinnele."
    Morgengrauen nach einer turbulenten Flohmarktnacht - das ist die große Stunde für Bäckermeister Mathias Menge. Seine badischen Dinnele sind der Verkaufsschlager am Konstanzer Seerheinufer:
    "Das Zwiebel-Speck-Dinnele, das vegetarische Dinnele - das ist eine flache Pizza, nur anders belegt, mit Zwiebeln und Speck überbacken. Das geht sehr gut."
    Heute Vormittag, 9 Uhr: Und schon wieder ist, dieses Mal bei Nieselregen, das vielhundertfache Feilschen um ein paar Euro hin oder her in vollem Gange - und das, obwohl die Nacht, die Flohmarkt-Nacht in Konstanz, eine kurze war:
    "Um drei bin ich ins Bett und um Sieben bin ich wieder hiergewesen."
    Doch dafür sieht Jenny Lüttge aus Allensbach noch sehr, sehr munter aus:
    "Das ist die Motivation des Flohmarktes, der Flohmarkt an sich."