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Konstruktiver Journalismus
Auf der Suche nach Lösungen

In den Medien wird ständig über aktuelle Debatten, Skandale und Probleme berichtet. Lösungen werden dagegen nur selten aufgezeigt. Deswegen schließen sich immer mehr Journalisten einer Bewegung an, die das ändern will. Sie arbeiten an einem konstruktiven und lösungsorientierten Journalismus.

Von Stefan Fries |
    Geschäftsmann und Geschäftsfrau beim Handschlag mit Stangen über einer Felsspalte.
    Bisher arbeiten Journalisten noch selten daran, Lösungen zu finden (imago stock&people / Mark Airs)
    Achtung: Ich spreche gleich erst mal über Probleme. Denn wir Journalisten sprechen immer gerne über Probleme. Das sehen wir als unsere Aufgabe: darauf hinweisen, was nicht gut läuft. Für das Lösen von Problemen sehen wir uns aber nicht zuständig, das sollen die anderen machen. Deswegen kommen Probleme in Nachrichten und Magazinen viel öfter vor als Lösungen – obwohl es die geben mag. Und deswegen spreche ich gleich auch mal über Lösungen, die Nutzer heute von uns verlangen – durchaus zu Recht.
    Auch der dänische Journalist Orla Borg hat 30 Jahre lang vor allem über Probleme berichtet, sagt er selbst – für die Nachrichten und als investigativer Journalist bei der Tageszeitung "Jyllands Posten". Bis er erkannt hat, dass das nicht reicht, weil die Nachrichten dadurch zu negativ sind.
    "Sie zeigen die Welt nicht, wie sie ist. Wir haben diese Nachrichtenkriterien sehr stark verinnerlicht, und das erste ist, über Konflikte und Probleme zu berichten. Aber wir finden, dass sich die Nachrichtenkultur ändern muss, wir also auch versuchen müssen, nach Lösungen für die Probleme zu suchen."
    Konstruktiver Journalismus gegen die Krise
    Nach 30 Jahren als Journalist arbeitet Borg jetzt beim Constructive Institute in Aarhus in Dänemark. Es versucht, wissenschaftlich einen Weg für diesen sogenannten konstruktiven Journalismus zu finden. Gegründet wurde das Institut von Ulrik Haagerup, dem früheren Chefredakteur des Dänischen Rundfunks, einem der maßgeblichen Köpfe der neuen Bewegung.
    Lösungen bietet auch Tina Rosenberg an. Sie schreibt in der "New York Times" eine Kolumne mit dem Titel "Fixes", also Lösungen. Beim Tag des konstruktiven Journalismus in Hamburg hat sie ihren Ansatz vorgestellt, mit dem sie gleich beiden Krisen des Journalismus begegnen will. Einerseits der Finanzierungskrise und andererseits der Vertrauenskrise, die sie aus Sicht eines amerikanischen Mediums beschreibt.
    "Zum Beispiel wenn wir in ein schwarzes Viertel gehen, dann schreiben wir über Waffengewalt. Die Leute dort mögen das nicht, weil das nur ein Teil dessen ist, was ihr Leben ausmacht. Die anderen Teile interessieren die Medien aber nicht."
    Im Interesser der Leser
    Wenn über bestimmte Bevölkerungsgruppen immer wieder klischeehaft berichtet werde, fühlten sich die Menschen nicht respektiert und nicht richtig wahrgenommen, glaubt Rosenberg.
    Die Finanzierungskrise wiederum zwinge die Medien dazu, ihre Berichterstattung neu auszurichten. Früher habe sich Journalismus vor allem über Anzeigen finanziert. Seit die Werbegelder zurückgehen, müssten Journalisten vor allem auf die Interessen der Leser selbst achten.
    Tina Rosenberg hat deswegen zusammen mit Kollegen den Begriff "Solutions Journalism" geprägt, also Lösungsjournalismus oder lösungsorientierter Journalismus. Lösungsansätze finde man zum Beispiel oft schon anderswo – an einem anderen Ort, in einer anderen Zeit. Wenn etwa eine Stadt Probleme mit Gewaltkriminalität hat, recherchieren Journalisten, mit welchen Mitteln diese in anderen Städten gelöst worden sind. Für Tina Rosenberg bedeutet das vor allem mehr Druck auf Politik und Verwaltung.
    Beispiele aus Redaktionen in Deutschland
    "Lösungsjournalismus zeigt Behörden, dass man es besser machen kann. Sie können sich nicht damit entschuldigen, dass es nicht besser geht, wenn wir zeigen, dass es geht, zum Beispiel dass eine Nachbarstadt dem Problem viel besser begegnet. Das ist viel peinlicher für die Verantwortlichen als wenn wir nur schreiben, dass unsere Stadt ein Problem hat."
    Inzwischen gibt es auch in Deutschland mehrere Redaktionen, die mit solchen Ansätzen an ihre Berichterstattung gehen – bisher aber nur in Nischen. Die "Sächsische Zeitung" etwa schreibt solche Artikel unter dem Label "Gut zu wissen". Der Norddeutsche Rundfunk hat ein Format in seiner Morgensendung beim Nachrichtensender NDR Info und einen eigenen Podcast.
    Moderatorin Birgit Langhammer stellt Projekte vor, die ein konkretes Problem angehen, etwa Leute, die eine Dorfschule im Nirgendwo gründen, die einen Treff gegen Altersarmut gegründet haben und etwas für die Integration von Flüchtlingen tun.
    Neue Herangehensweise an Themen
    (Ausschnitt aus dem Podcast "Willkommenskultur beim Welcome Dinner"): "Julia ist Mitgründerin von Welcome Dinner. Das Welcome richtet sich an geflüchtete Menschen. Die kommen zum Essen vorbei und haben danach – so ist es zumindest gedacht – einen vollen Bauch und das Gefühl, hier tatsächlich willkommen zu sein."
    Für Birgit Langhammer bedeutet die Arbeit am Podcast eine neue Herangehensweise an Themen – entgegen dem, wie sie es als Journalistin gelernt und jahrelang umgesetzt hat.
    "Bei einem Problem hast du das Problem und sagst: Warum ist das Wasser hier grün und nicht blau? Ganz einfache Frage. Wenn du konstruktiv rangehen müsstest, wäre ja dann die Frage eher: Was könnte dazu führen, dieses Wasser wieder blau zu machen – oder: ist Grün das neue Blau? Man muss ja dann einmal um die Ecke den Weg mitgehen und der dauert länger."
    Häufiger Blick auf kurzfristiges Geschehen
    Zeit, die sich viele Redaktionen nicht nehmen in einer Kultur von Online-Nachrichtenjournalismus und Pushmeldungen. Ein weiteres Problem des lösungsorientierten Journalismus: Er findet in der Regel nur in Nischen statt und ist im regulären Programm kaum verankert, räumt Adrian Feuerbacher ein, Leiter der Redaktion Politik und Aktuelles bei NDR Info.
    "Da sehe ich schon zum Beispiel in unseren Nachrichten auch noch Luft nach oben, weil wir schon dazu neigen, bei vielen Entwicklungen allein auf ein sehr kurzfristiges Geschehen zu schauen. Beispielsweise wenn sich die Zahl von Verkehrstoten irgendwo erhöht hat, dann vergessen wir oft darauf hinzuweisen, dass auf eine etwas längere Perspektive hin die Zahl der Verkehrstoten in Deutschland deutlich zurückgegangen ist."
    Wenn die Zahl der Verkehrstoten vorgestellt wird, ist das normalerweise ein absehbarer Termin. Journalisten können also schon vorher entsprechende Hintergrundinformationen recherchieren. Das macht es leichter, konstruktiv zu berichten. Bei vielen nachrichtlichen Ereignissen geht das aber nicht, weil sie unerwartet auftreten, etwa eine Naturkatastrophe, ein Terroranschlag oder eine politische Krise. Dafür erscheint lösungsorientierter Journalismus also eher ungeeignet. Dabei ist es genau der aktuelle Breaking-News-Journalismus, den viele Nutzer als problematisch erachten, weil ihnen die Nachrichten zu negativ erscheinen.
    Lösungen brauchen Zeit
    Tina Rosenberg von der "New York Times" räumt ein, dass sich nicht jedes Ereignis für lösungsorientierten Journalismus eigne. Und auch die anderen Macher beim Constructive Journalism Day in Hamburg haben darauf noch keine richtige Antwort.
    Wie gehe ich als konstruktiver Journalist also mit so einer Situation um, wenn ich ein Problem habe, aber keine Lösung dafür? Tina Rosenberg empfiehlt, das Problem so klein zu schneiden wie möglich und dann nach Lösungen für einzelne Teile zu suchen. So schlägt es auch Adrian Feuerbacher von NDR Info vor.
    "Ich glaube, indem man vielleicht gezielt versucht, die Geschichte in zwei Teile aufzuteilen. Und so, wie man das sonst auch gemacht hat, dem Problem Raum zu geben und das sehr journalistisch akkurat, präzise, ausgewogen abzubilden, aber sich dann vornimmt, in einem zweiten Schritt auch noch eine Reportage, auch noch ein Interview zu senden mit Menschen, die sagen: Das ist ein Problem und ich werde dieses Problem auch nicht beseitigen. Ich habe nicht die Lösung dafür. Aber in meinem Bereich ist es mir gelungen, das etwas besser zu machen."
    Probleme entstehen oft kurzfristig, Lösungen brauchen Zeit. Die sollten sich auch Journalisten nehmen – und die Nutzer.