"Ich bin Oliver Reinhardt. Ich bin der stellvertretende Feuilleton-Chef der Sächsischen Zeitung Dresden und, ja, eigentlich zusammen mit unserem Chefredakteur derjenige, der hier seit ein paar Jahren versucht, tatsächlich inzwischen auch - wie wir finden – mit sehr sehr schönem und interessantem Erfolg, etwas mehr den konstruktiven , das heißt den lösungsorientierten Journalismus zu praktizieren, also den Journalismus, der nicht immer nur fragt, was passiert, sondern, wie geht es weiter? Wie kommen wir da raus?"
Unzufriedenheit der Leser als Auslöser
Die Erkenntnis, dass sich etwas ändern müsse, habe sich in der Chefredaktion schon weit vor dem Phänomen von Pegida eingestellt, sagt Oliver Reinhardt. Hinweise der Leser und die Ergebnisse der zurückliegenden Wahlen hätten deutlich gemacht, dass viele Menschen unzufrieden seien und sich "weder gehört noch mitgenommen fühlten".
Daran trügen auch die Medien eine Mitschuld, sagt Reinhardt. Sie hätten mehrheitlich, der alten Schule folgend, stets eher schlechte als gute Nachrichten zum Thema gemacht. Mit der Folge, "dass das zu einem Zustand geführt hat, den wir eigentlich als zunehmend unangenehm empfunden haben, weil man hat das Schlechte in der Welt, das Problematische, die Verwerfungen um die Ohren geschlagen, das hat aber mit der unmittelbaren Lebenswirklichkeit der meisten Leser oder User oder Fernsehzuschauer hat es ja nur relativ wenig zu tun."
Erster Versuch mit positiven Meldungen
Insoweit trügen die Medien und auch sein Blatt, die Sächsische Zeitung, einen Teil der Verantwortung für den allgemeinen Medien- und Politikverdruss, so der Vize-Feuilleton-Chef selbstkritisch. Spätestens seit 2012 habe man sich daher in seiner Zeitung aktiv mit dieser Thematik beschäftigt und überlegt
"Was können wir tun, um dem Journalismus auch wieder ein positiveres Antlitz zu geben. Das heißt zu zeigen, dass wir uns sehr wohl auch um die schönen und konstruktiven und inspirierenden und motivierenden Dinge des Lebens kümmern und wir haben begonnen, uns dann ein Logo auszudenken. Das hieß 'Gut zu wissen', und mit diesem Logo haben wir positive Texte gekennzeichnet."
Der erste Versuch war kein Erfolg. Die Reaktionen fielen zwiespältig bis negativ aus, intern wie extern. Der Hauptvorwurf: hier werde Schönfärberei betrieben.
Augenöffnende Lektüre
Die Zeitung verordnete sich eine Gedankenpause und die Blattmacher studierten das neue Buch des Dänen Ulrik Haagerup zum Thema "Konstruktiver Journalismus":
"Das war wirklich so ein Aha-Erlebnis, wo er uns wirklich vor Augen geführt hat, der Medienlandschaft, wie wir arbeiten, wie wir funktionieren und was daran auch tatsächlich zu einer gehörigen Schieflage geführt hat, denn machen wir uns nichts vor, politische, kritische Berichterstattung ist das eine, das andere ist aber, dass man natürlich auch, indem man immer nur berichtet, wo die Institution, wo Staatlichkeiten nicht mehr funktionieren und aufbrechen, dass man da natürlich auch Schritt für Schritt dazu beiträgt, das Vertrauen in ein Funktionieren von Staatlichkeit überhaupt auszuhöhlen."
Nicht nur mit Hierarchen reden
Doch wie funktioniert das mit dem konstruktiven Berichten? Zunächst einmal müsse man wieder beginnen, ganz normalen Menschen und ihren Tätigkeiten Platz in der Zeitung einzuräumen, sagt der Vize-Chef des SZ-Feuilletons und präsentiert ein aktuelles Beispiel:
"Also es gibt mal eine klassische Geschichte wir nennen das manchmal scherzhaft so mit einem Zwinkern in beiden Augen 'Helden des Alltags'. Das ist ein Text hier, 'Die Arche Näther' heißt das. Es geht um einen jungen Mann, der hier in der sächsischen Provinz einen kleinen privaten Tierpark betreibt. Der hat immer wieder Probleme, immer wieder Ärger. Ihm bricht das Geld weg, der Tierschutz steht andauernd vor der Tür, teils berechtigt, teils etwas alarmistisch."
Neue Themen für die Zeitung
In der ganzseitigen Reportage auf der prominenten Seite 3 gehe es darum, die Lebenssituation des jungen Mannes aus einer völlig neuen Perspektive zu zeigen und herauszuarbeiten, warum er nicht den Mut verliere und warum er immer wieder "auf die Füße komme".
Ein weiteres Beispiel für den neuen Berichtsstil ist eine Reportage aus dem kleinen Lausitzer Ort Nebelschütz. Dahin sei die Redaktion nach der Bundestagswahl 2017 ganz bewusst gegangen um zu ergründen, warum die AfD hier sachsenweit die geringsten Stimmenanteile gewinnen konnte.
"Heraus kam, dass die wirklich ein sehr, sehr funktionierendes, aktives Dorfleben haben, dass die Vereinsstrukturen relativ in Takt dort sind , dass immer noch relativ viele junge Leute da waren, dass Sie vor allem einen Bürgermeister dort haben, der genau das tut, was viele nicht tun, weil sie manchmal nicht dazu kommen. Der geht einfach zu den Leuten, der redet mit denen, der kümmert sich um kleine Belange, der packt selbst mit an."
Vom konstruktiven Journalismus überzeugt
Der Journalist Oliver Reinhardt zieht ein positives Fazit der letzten anderthalb Jahre. Das Umdenken und Umsteuern habe sich für sein Blatt ausgezahlt, sagt er, der Kurs werde fortgesetzt, denn:
"Die Skepsis, die sich am Anfang auch darauf bezog, machen wir jetzt nur noch Schönfärberei, die hat sich total gelegt, weil sich gezeigt hat, dass konstruktiver Journalismus absolut nichts mit Schönfärbe-Journalismus zu tun hat. Es ist im Gegenteil, wenn man so will, eine Entfärbung der Realität, weil es weder Schwarzmalerei noch Schönfärberei ist. Man kommt einfach der Realität am nächsten, wenn man sie konstruktiv betrachtet."