Antje Allroggen: Einen Monat vor Weihnachten sind die Deutschen nämlich in ungebremster Kauflaune. Das teilte die Gesellschaft für Konsumforschung vor einigen Tagen mit. Da kommt es gerade recht, dass nun auch in Deutschland der sogenannte "Black Friday" zelebriert wird. Der letzte Freitag im November nach Thanksgiving, an dem in den USA die Tüten tonnenweise von den Armen baumeln. Aus Protest an diesem Kaufrausch führten konsumkritische Geister den "Buy Nothing Day" ein, der mittlerweile in 45 Ländern organisiert wird. Shoppen, Shoppen, Shoppen soll also in sein Gegenteil verkehrt werden: nix, nix, nix. - Muss der Verzicht auf Konsum unweigerlich in die Askese führen? Das habe ich den Sozialpsychologen Harald Welzer gefragt.
Harald Welzer: Nein, überhaupt nicht. Es ist ja nicht so, dass es sinnvoll wäre, überhaupt nichts mehr zu kaufen, weil wir in einer Form von Gesellschaft leben, die arbeitsteilig ist und wo Dinge von anderen hergestellt werden, die man dann selber zum Konsum braucht. Vollkommen auf Konsum verzichten, das ist ja nicht vorstellbar.
Allroggen: Was wäre Ihr Vorschlag? Sie betreiben ja seit einiger Zeit die Internet-Plattform "FUTURZWEI". Dort werden unterschiedliche Geschichten des guten Gelingens erzählt, die den Einzelnen zum Mitmachen und Ausprobieren motivieren sollen. Ist ein kollektiv praktizierter Konsumverzicht einfacher und vielleicht auch nachhaltiger als der individuelle Versuch?
Welzer: Nein, den gibt es ja in der Form nicht. Konsumieren tut man in einer modernen Gesellschaft individuell und insofern ist der Hebel natürlich auch genau an dieser Stelle. Ich glaube, es ist nur verkehrt, in dem Zusammenhang von Verzicht zu reden, weil heute ja mehr Zeit für Konsumentscheidungen und Informationen und Preisvergleiche aufgewendet wird als für das Konsumieren selber. Viele Produkte werden auch nur gekauft, aber nie benutzt. Das wissen wir gerade aus einer neuen Studie zu Textilien, dass 40 Prozent der Dinge, die man im Kleiderschrank hat, nie getragen werden. Das gilt für andere Konsumbereiche auch und insofern ist, wenn man weniger hat, das eher eine Entlastung und kein Verzicht.
Allroggen: Sie selber haben sich ja vom akademischen Leben mehr und mehr verabschiedet und sehen Ihre berufliche Zukunft jetzt eher im Aktivischen. Vor allem engagieren Sie sich in Sachen Klimawandel. Beschäftigen Sie sich auch mit der Verbindung zwischen Konsumverhalten und Klimawandel?
Welzer: Machen wir es mal ganz plakativ. Es gibt ja keinen anderen Grund für den Klimawandel als ausufernden Konsum und Hyperkonsum, zumindest dann, wenn man den Konsum soweit definiert, dass es natürlich auch so was wie Wohnen, wie Mobilität mit einschließt. Und da wir in jedem Bereich unserer Existenz Material- und Energiebedarf immer weiter ausweiten, ob das die Größe von Wohnungen ist, der Pro-Kopf-Anteil von Quadratmetern an Wohnraum, ob das die Größe der Autos ist, ob das die Zahl der gefahrenen Kilometer ist, ob es die Menge der Textilien ist, die man besitzt, ob es die Menge der elektronischen Güter ist. Alles das wird ausgeweitet, und zwar in unglaublicher Zahl. Das ist verantwortlich für den Klimawandel.
Allroggen: Das sind alles Geschichten, die schon schwarz gefärbt sind, voller Pessimismus sind. Nun plädieren Sie für Geschichten des guten Gelingens.
Welzer: Wir erzählen Geschichten darüber, wie Menschen andere Lebensstile pflegen, andere Formen des Wirtschaftens entwickeln und praktizieren in ihren Unternehmen. Wenn wir beispielsweise eine Geschichte eines Textilunternehmens in Deutschland haben, das regional produziert und zeigen kann, dass die Transportwege viel geringer sind, und die Klamotten, die sie machen, viel dauerhafter sind, das ist so ein Weg aus dem Hyperkonsum heraus. Und ich muss auch noch mal darauf hinweisen: Wenn man einfach realistisch ausspricht, was der Fall ist, dann ist das nicht pessimistisch, sondern das sind einfach Sachverhalte, an denen man sich nicht vorbeilügen kann. Was ist denn daran pessimistisch?
Allroggen: Aber ist der Konsumverzicht nicht auch ein echtes Luxusproblem? In Deutschland leben ja auch viele, die sich diesen Luxus dann doch nicht leisten können eines überfüllten Kleiderschranks etwa.
Welzer: Wissen Sie, komischerweise spricht man über soziale Unterschiede und soziale Probleme nie. Aber dann, wenn man sagt, es gibt zu viel, was die Leute haben, dann wird plötzlich das Augenmerk auf die sogenannten Unterschichten gelegt. Das ist mir nicht ganz nachvollziehbar. Wir können auch hier die Perspektive ja mal positiv umdrehen. Und wir haben ja in diesem Sommer eine beispiellose Welle von Hilfsbereitschaft gegenüber Menschen gehabt, die nichts haben, Flüchtlinge, die hier herkommen. Und plötzlich haben die Menschen, die hier leben, festgestellt, wir haben ja viel zu viel. Und wieso sucht man immer jedes Argument, um jetzt mit Händen und Füßen zurückzuweisen diesen schlichten Sachverhalt, dass Sie zum Beispiel zuhause erheblich mehr Dinge haben, als Ihre Eltern noch gehabt haben. Warum kann man das nicht einfach mal zur Kenntnis nehmen, um sich zu überlegen, vielleicht ist das eine Belastung. Vielleicht ist es ganz schön, sich davon zu entlasten.
Allroggen: Weniger Pessimismus also - Harald Welzer war das über den heutigen Kauf-nix-Tag.
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