Archiv

"Konterbunt"
Eine App gegen Stammtischparolen

Dumpfe Stammtischparolen begegnen uns im Bierzelt, aber auch auf der Arbeit oder bei Familienfeiern. Um davon nicht unvorbereitet überrumpelt zu werden, will jetzt eine App Abhilfe schaffen. Aber ist so ein digitales Argumentationstraining auch alltagstauglich?

Von Alexander Budde | 09.07.2019
"Stammtisch" steht an einem Schild über einem Tisch in der Gaststube in einem Wirtshaus
Die App "Konterbunt" will Argumente gegen platte Stammtischparolen liefern (Armin Weigel/dpa)
Mikis Rieb tippt auf den Bildschirm seines Smartphones, genauer gesagt auf das Icon der Applikation "Konterbunt". Deren Gestaltung und Entwicklung hält den Projektleiter der niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung seit bald anderthalb Jahren im Stressmodus. Bevor es losgeht, muss der Politikwissenschaftler allerdings erstmal etwas klarstellen:
"Diese App ist kein Tool, um mit harten Rechtsextremisten ins Gespräch zu gehen und deren Einstellungen zu knacken. Wir wollen allgemein Menschen dazu ermutigen, sich mit Vorurteilen und diskriminierenden Einstellungen auseinanderzusetzen und zu diskutieren, aber ganz wichtig auch: demokratisch zu widersprechen."
Verzeichnis mit gängigen Parolen
Das kleine Argumentationstraining für die Hosentasche ist daher auch primär als Handreichung für all jene gedacht, die das unreflektierte Schwadronieren unterbinden, Mithörerinnen und Zauderer einbeziehen oder einfach nur ihre Schockstarre überwinden wollen.
In der App "Konterbunt" ist ein Parolenverzeichnis zu finden, in dem zum Beispiel Begriffserläuterungen zum Thema Rassismus stehen.
Um die ganze Vielfalt der Zwietracht zu erfassen, haben die App-Entwicklerinnen und -Entwickler ein Verzeichnis gängiger Parolen eingebaut. Beteiligt sind Partnerorganisationen wie die Stiftung Akademie Waldschlösschen. Sie wendet sich gegen Trans- und Homosexuellenfeindlichkeit.
"Da gibt es dann Parolen wie:´'Homosexualität ist ansteckend' - und hier hat uns die Akademie Waldschlösschen eine Kurzantwort mit einem möglichen Erwiderungstext beigetragen", sagt Rieb.
Vorschläge für besseren Diskurs
Klaus-Peter Hufer ist außerplanmäßiger Professor für politische Erwachsenenbildung an der Universität Duisburg-Essen, Argumentationstrainer und Buchautor. Von ihm stammt eine Art Bedienungsanleitung mit 22 Tipps und Tricks. Sie sollen den Diskurs beflügeln.
"Eine wichtige Strategie ist zum Beispiel Widersprüche aufdecken: Niemand lebt im völligen Einklang mit sich selbst", so Rieb. Doch grau ist alle Theorie - trainiert wird nach dem Lustprinzip.
"Wenn ich dieses Minispiel dann starte, sehe ich eine kleine Stadtkarte, auf der ich verschiedene Orte freispielen kann. Das sind Orte, an denen ich dann mit verschiedenen Parolen oder Vorurteilen konfrontiert bin und eine gute oder mögliche Antwort auswählen muss", erklärt Rieb. Wäre da nur nicht oben dieser Balken mit den beiden Smiley-Antipoden - grün-lächelnd bis griesgrämig-rot.
Möglichst nah am grünen Smiley
Rieb: "Mein Ziel im Spiel ist, das Gespräch in einem positiven Bereich zu halten, das heißt näher am grünen Smiley".
Reporter: "Also, ich habe jetzt persönlich zugespitzt, Fronten aufgeworfen. Wie werde ich jetzt da behandelt von der App, weil, hier ist irgendwas in Richtung roter Bereich marschiert…?"
Rieb: "Dann wäre das eine eher schlechte Antwort gewesen. Wenn mein Gegenüber nicht ausgeflippt ist, dann habe ich es geschafft und komme in die nächste Stufe bei diesem Spiel."
"Betreutes Denken" oder sinnvolles Argumentationstraining?
Auf geht's zum Praxistest! Erste Anlaufstation: die AfD-Fraktion im niedersächsischen Landtag. Der Abgeordnete Christopher Emden daddelt - doch nach zwei Minuten: ein rotverfärbter Smiley und dem AfD-Mann ist die Lust am Spiel vergangen. Emden schimpft sofort los:
"Das ist betreutes Denken, so scheint es mir! Es wird sehr viel an Kritik gleich abgetan als völlig verkehrt beziehungsweise nicht gesellschaftsfähig, nicht korrekt, darf man nicht sagen. Es wird tabuisiert. Und das zeigt einmal mehr, in welcher schwierigen Situation sich unsere Demokratie befindet, wenn's solche Apps inzwischen gibt!"
Zweite Anlaufstation: das Gaypeople-Zelt auf dem Schützenfest Hannover. Gleich startet hier die Travestieshow, das Publikum sitzt dicht gedrängt. Doch Magnus und Susanne sind so lieb und schlagen sich mit den von allerhand "-ismen" und Schachtelsätzen gespickten Erläuterungstexten herum, während unten am Spielfeldrand eine Stoppuhr abläuft - wegen der Schlagfertigkeit.
"'Wer nicht auf's Gymnasium geht, ist doof!' Aber was passt da als Antwort? 32 Sekunden haben wir, um uns das durchzulesen."
"'Homosexualität ist ansteckend'"
"Es geht darum, Menschen zu lieben und miteinander auszukommen. Das hat jetzt in diesen Antworten gefehlt, dass es halt um Menschlichkeit geht."
"Hier ist zum Beispiel eine Strategie: 'Keine Belehrung!' Dem würde ich ausnahmsweise mal zustimmen. Aber das ist so ein bisschen mein Problem, dass ich im Grunde so etwas vor 30 Jahren gebraucht hätte."
"Diese App werden Leute nutzen, die sich sowieso schon dafür interessieren. Aber ich glaube nicht, dass irgendwer sich die runterlädt, um halt friedlichere Gespräche zu führen", bilanzieren Susanne und Magnus zum Abschluss. Reden ist nämlich immer gut, gemeinsames Feiern allerdings noch besser. Und deshalb ist jetzt auch keine Zeit mehr: die Show beginnt!