Dirk-Oliver Heckmann: André Hahn ist Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums, also des Gremiums, das die Aufgabe hat, die Geheimdienste zu kontrollieren, er gehört der Partei Die Linke an. Schönen guten Tag, Herr Hahn!
André Hahn: Ja, guten Tag!
Heckmann: Herr Hahn, die Union schlägt vor, einen ständigen Geheimdienstbeauftragten einzurichten, um die Mitglieder des PKGr zu unterstützen. Wie groß ist Ihre Begeisterung?
Hahn: Die Begeisterung hält sich sehr in Grenzen, und ich bin auch sehr im Zweifel, ob das ein geeignetes Instrument sein kann. Der Vergleich von Wehrbeauftragten hinkt ja, der Wehrbeauftragte ist quasi der Kummerkasten der Soldaten. Jetzt soll ja ein Geheimdienstbeauftragter Akten einsehen, Vorgänge bewerten und so weiter und uns dann Unterstützung leisten. Wir haben eine Taskforce schon eingerichtet, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die den Kontrollgremien zuarbeiten, ich weiß nicht, was da noch ein Geheimschutz- oder Geheimdienstbeauftragter soll, den dann die Mehrheit wählt, also die regierungstragenden Fraktionen. Was soll das bringen? Und ich habe eher die Befürchtung, dass man künftig dann sagt, der sieht Akten ein, die Abgeordneten dürfen das nicht mehr, so wie wir das ja jetzt schon diskutieren bei den Selektorenlisten der NSA. Das ist, glaube ich, kein geeigneter Weg, und deshalb bin ich da äußerst skeptisch und glaube nicht, dass uns ein solcher Beauftragter wirklich nützen kann.
Heckmann: Das heißt, Sie würden sagen oder nicht vertrauen jedenfalls der Arbeit eines Geheimdienstbeauftragten, der dann möglicherweise von der Mehrheit der Koalition gewählt würde.
"Ein solcher Beauftragter kann die Abgeordneten nicht ersetzen"
Hahn: Ich vertraue zunächst mal auch meiner Arbeit, und es ist ja nicht so, dass das Kontrollgremium nicht intensiv arbeitet oder überfordert ist. Das Problem besteht ja darin, dass die Bundesregierung und die Nachrichtendienste in vielen Fragen uns notwendige Informationen vorenthalten. Das ist ja das generelle Problem, dass wir nur das bewerten können, was man uns mitteilt oder als Unterlagen vorlegt. Und da – haben Sie völlig recht – haben wir viel erst aus den Medien erfahren, aber das wird ja bei einem Geheimdienstbeauftragten nicht anders sein. Wir brauchen viel mehr Rechte als Kontrollgremium, und ein solcher Beauftragter kann die Abgeordneten nicht ersetzen und schon gar nicht politische Bewertungen vornehmen. Und wenn der dann noch von der regierungstragenden Koalition selbst bestellt und gewählt wird, dann ist doch absehbar, dass da keine große Bereitschaft sein wird, auch Konflikte mit der Regierung einzugehen. Doch genau die sind notwendig, wenn man die Regierung und das Handeln der Geheimdienste wirksam kontrollieren will.
Heckmann: Wobei Clemens Binninger ja ein externer Beauftragter vorschwebt offenbar, also ein Bundesrichter, ein Bundesanwalt. Denken Sie nicht, dass eine solche Persönlichkeit das Standing hat, solche Konflikte auch auszutragen?
Hahn: Das kann ich im Einzelnen nicht bewerten. Wir haben aber jetzt schon die Möglichkeit, Ermittlungsbeauftragte zu unserer Unterstützung einzusetzen. Wir haben dies gerade getan, indem wir einen ehemaligen Bundestagsabgeordneten, der selber Rechtsanwalt ist, eingesetzt haben, um den Fall Corelli, einen V-Mann, der unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen ist, zu untersuchen.
Heckmann: Dann scheint das Instrument doch zu funktionieren ...
Hahn: Ja, das funktioniert bei einem konkreten Fall, in dem er uns zuarbeitet und von uns einen Auftrag dazu erhält, aber wir haben natürlich trotzdem die volle Akteneinsicht gehabt. Wir haben die ganze Zeit die Möglichkeit, selbst uns ein Bild zu machen von den Vorgängen, und treffen am Ende eine politische Bewertung. Die kann ein solcher Beauftragter nicht ersetzen. Und wir haben inzwischen fast zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die für uns auch Akten lesen sollen, Kontrollbesuche unterstützen sollen der Abgeordneten, und das kann eine einzelne Person aus meiner Sicht auch gar nicht leisten. Und deshalb kann man das punktuell machen, aber ich glaube nicht, dass wir einen solchen Geheimdienstbeauftragten brauchen. Und wie gesagt, der Vergleich mit dem Wehrdienstbeauftragten, der hinkt völlig, der hätte ganz andere Aufgaben, der ist nicht der Kummerkasten der Mitarbeiter. Dann sollten sie viel eher die rechtlichen Rahmenbedingungen für das Kontrollgremium ändern, mehr Rechte ermöglichen, zum Beispiel auch, dass die Mitglieder der Dienste und Mitarbeiter der Dienste sich direkt an uns wenden können. Bisher müssen sie den Vorgesetzten darüber informieren, wenn sie uns etwas mitteilen, und da passiert natürlich überhaupt nichts. Also es gibt Möglichkeiten, uns zu stärken. Ich befürchte, ein solcher Beauftragter wird uns eher schwächen, und dann sagt die Bundesregierung, ihr habt doch da jemand, der kann doch die Akten einsehen, dem zeigen wir sie auch, aber euch nicht. Das kann nicht der Weg sein.
"Der Anfang vom Ende parlamentarischer Kontrolle"
Heckmann: Wobei davon bisher ja nicht die Rede ist, dass der Geheimdienstbeauftragte Akteneinsicht bekommen soll und die Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums nicht mehr – das interpretieren Sie jetzt hinein. Aber eine andere Frage ...
Hahn: Nein, nein, Moment, das interpretiere ich nicht hinein, sondern so soll ja verfahren werden bei den Selektorenlisten. Da soll jemand die Listen einsehen und uns dann im Groben sagen, was drinsteht, ohne Details zu nennen. Und das ist der Anfang vom Ende parlamentarischer Kontrolle. Und ich befürchte, dass man genau das Gleiche künftig machen will, indem man sagt, wir zeigen ja einem die Akten – nicht euch, sondern diesem Geheimdienstbeauftragten –, und das ist für uns völlig indiskutabel.
Heckmann: Sie haben diesen Skandal um die sogenannten Selektoren angesprochen in der NSA-Affäre, die Bundesregierung, auch wenn es jetzt noch nicht offiziell ist, die will offenbar einem Ermittlungsbeauftragten Einblick gewähren in diese Liste. Jetzt kommt ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags zu dem Schluss, dass ein solcher Ermittlungsbeauftragter verfassungswidrig sei und auch Bundestagspräsident Lammert weist den Vorschlag zurück, jedenfalls dann, wenn dieser Ermittlungsbeauftragte von der Bundesregierung benannt werden sollte, das hält er für abwegig. Das heißt, die ganze Idee ist eine Totgeburt?
Hahn: Der Ermittlungsbeauftragte ist ja ein Gesetz, eine Möglichkeit, die vorgesehen ist, allerdings immer nur dann, wenn das jeweilige Gremium das beschließt, ein Untersuchungsausschuss oder das Parlamentarische Kontrollgremium, dann kann ein solcher Ermittler eingesetzt werden zur Unterstützung, aber er kann es niemals ersetzen. Und insofern ist auch das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes für mich eindeutig, das ( ... ) hat die parlamentarische Kontrolle, und er kann oder sie kann uns unterstützen, wenn wir das wollen, aber natürlich kann nicht die Regierung ihren eigenen Kontrolleur einsetzen, und sie kann auch nicht ihm mehr Unterlagen geben, als das Parlament erhält. Das ist sehr deutlich gesagt worden, und darüber bin ich sehr froh, und ich hoffe, dass das noch mal dazu führt, dass man in der Koalition umdenkt.
"Beim Verfassungsgericht wird eine Entscheidung zugunsten parlamentarischer Kontrolle ausfallen"
Heckmann: Wobei ja ganz offenbar vorgesehen ist, dass das Parlament einen solchen Ermittlungsbeauftragten in Sachen NSA-Spähliste vorschlägt und dann die Bundesregierung nur noch ernennt.
Hahn: Ja, die Bundesregierung kann so was nicht ernennen. Ich glaube auch nicht, dass ein Parlament das vorschlägt, für einen Beschluss des gesamten Bundestages gibt es doch keine Rechtsgrundlage. Es gibt in zwei Gesetzen die Möglichkeit, das zu tun – im Untersuchungsausschussgesetz und im Kontrollgremiumsgesetz –, und dort können die Abgeordneten sich eine Unterstützung bestellen und können die Person auswählen, aber nicht eine Ernennung durch die Bundesregierung, die kann aus meiner Sicht gar nicht erfolgen, das wäre in der Tat rechtlich nicht haltbar. Und ich glaube, das weiß inzwischen auch die Koalition, weshalb man nun immer weiter nach Auswegen sucht, um den Abgeordneten die Liste weiter vorenthalten zu können. Ich glaube, das wird nicht lange gut gehen, denn spätestens beim Verfassungsgericht wird dann eine Entscheidung zugunsten parlamentarischer Kontrolle ausfallen, da bin ich ziemlich sicher.
Heckmann: André Hahn war das, Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums. Er gehört der Partei Die Linke an. Herr Hahn, danke Ihnen für Ihre Zeit!
Hahn: Sehr gern, auf Wiederhören!
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