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Kontrolle der Masern-Impfpflicht
"Aufgabe, für die Lehrkräfte weder ausgebildet noch eingestellt sind"

Die Impfpflicht für Masern sei wichtig, sagte Markus Hanisch von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft im Dlf. Damit würden die Schwächsten geschützt. Doch die Überprüfung der Impfnachweise sei für Lehrkräfte und Erzieher eine zusätzliche Aufgabe, für die es an anderer Stelle keine Entlastung gebe.

Markus Hanisch im Gespräch mit Stephanie Gebert |
Ein gelber Impfpass mit einer Spritze mit dem Impfpfstoff gegen Masern in Nahaufnahme.
Zum stärkeren Schutz vor hoch ansteckenden Masern gilt seit dem 1. März eine Impfpflicht für Kinder in Kitas und Schulen (imago / Arnulf Hettrich)
Seit dem 1. März 2020 gilt in Deutschland die Masern-Impfplicht und ruft Eltern auf den Plan, die gegen den staatlichen Zwang zum Impfen sind. Sie haben gestern Eilanträge und Verfassungsbeschwerden in Karlsruhe gestellt und wollen die Impfpflicht kippen.
Bis eine Entscheidung steht, sind aber erstmal die Kita- und Schulleitungen gefragt. Der Gesetzgeber sagt: Sie sollen kontrollieren, ob Kinder den Impfschutz haben oder nicht. Dazu gab es zwar von den Bildungsverwaltungen Informationsschreiben für die Schulen - diese ließen aber noch viele Fragen offen, kritisiert die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft.

Stephanie Gebert: Sie warnen vor dem großen Zusatzaufwand für Schulleitungen. Was ist denn nun konkret deren Aufgabe. Müssen die sich jetzt sämtliche Impfpässe vorzeigen lassen?
Markus Hanisch: Ja, so sieht es aus. Also wie die Schulen oder die Schulleitungen das dann organisieren, ich tippe mal nicht, dass sie jetzt selber jeden Schüler bei sich antanzen lassen, sondern dass das vielleicht eher die Klassenleitungen machen. Aber wie sie das organisieren, das ist, soweit wir wissen, ihnen überlassen, aber vom Prinzip muss jetzt jede Schülerin, jeder Schüler, der im System ist, bis Ende Juli nächsten Jahres diesen Impfpass nachweisen. Von jeder neu eingeschulten Schülerin muss das ab sofort vorliegen.
"Schulpflicht wird nicht durch Impflicht außer Kraft gesetzt"
Gebert: Wie lange ist denn dann die Frist, die den Eltern gegeben wird, falls diese Impfung nicht vorliegt? Gibt es da Vorgaben, oder ist das auch dem Schulleiter beziehungsweise der Klassenlehrerin, dem Klassenlehrer überlassen?
Hanisch: Also nach den Informationen, die wir haben, gibt es da keine Übergangsfrist, sondern da muss das mit der Einschulung vorliegen. Nun ist es allerdings ja so, dass anders als bei den Kitas, wo ein Kita-Platz gar nicht erst vergeben wird ohne diesen Nachweis, ist es in den Schulen so, dass hier eine Schulpflicht besteht. Das heißt, der Impfnachweis muss erbracht werden, aber wenn er nicht erbracht wird, dann werden die Schüler trotzdem aufgenommen, und dann geht eine Meldung raus ans Gesundheitsamt, und das nimmt das Verfahren dann an sich. Dann sind wohl Strafen bis zweieinhalbtausend Euro im Gespräch. Aber die Schulpflicht wird da sozusagen nicht von außer Kraft gesetzt in der Impfpflicht.
Impfpflicht "halten wir auch für wichtig"
Gebert: Es gibt dennoch Eltern, die versuchen wollen, sich gegen diese Masernimpfpflicht zu wehren. Beim Bundesverfassungsgericht liegt eine Verfassungsbeschwerde vor. Was raten Sie denn Schulleitern, wie sollen die ganz praktisch mit Eltern umgehen, die sich weigern zu impfen? Die haben ja trotzdem dann die Kinder bei sich in der Klasse sitzen, die nicht geimpft sind.
Hanisch: Ja, das ist schwierig dieser Umgang. Also grundsätzlich sind wir als GEW für die Impfpflicht. Wir halten das auch für wichtig. Ich denke, dass es da sinnvoll ist, drauf zu verweisen, dass man mit dieser Impfung auch die Schwächsten schützt. Da würde ich auch an die Eltern entsprechend appellieren.
Ein Arzt impft ein Mädchen.
Masern-Impfpflicht: Viele Detailfragen noch offen
Wenn Eltern ihr Kind im Kindergarten oder in der Schule anmelden wollen, müssen sie vom 1. März an nachweisen, dass es gegen Masern geimpft ist. Doch einige Kitas und Schulen fühlen sich mit dem Thema Impfpflicht allein gelassen – auch angesichts ungeklärter Fragen.
Gebert: Aber was passiert mit Schulleitern, juristisch betrachtet, wenn vielleicht nicht richtig in den Impfpass geguckt wurde – beziehungsweise manchmal ist das ein bisschen chaotisch in diesen Impfheften –, also wenn da ein Fehler passiert ist und doch Masern an der Schule ausbrechen?
Hanisch: Ja, das ist aus unserer Sicht auch nicht so ganz klar, was passiert. Auch da habe ich von Strafen bis zweieinhalbtausend Euro gelesen. In den Informationsschreiben, die an die Kitas und Schulen gegangen ist, steht das nicht, also in Berlin, wenn wir jetzt von Berlin reden. Also das ist eine von vielen Fragen, die aus unserer Sicht auch offen sind.
"Zusätzliche Aufgaben" für Lehrkräfte und Erzieher
Gebert: Fühlen Sie sich alleingelassen, fühlen die Schulleiterinnen und Schulleiter sich da alleingelassen an der Stelle?
Hanisch: Ich glaube, das ist unterschiedlich von der einen Einrichtung zur anderen Einrichtung. Manche haben ja auch schon gesagt, sie finden sich ausreichend informiert, aber man muss das, glaube ich, immer auch daran messen, an den Einrichtungen, die sich verunsichert fühlen.
Man muss bedenken, dass das Aufgaben sind, die eigentlich nicht pädagogisch sind, dass das Aufgaben sind, für die Lehrkräfte und Erzieher eigentlich weder ausgebildet noch wirklich eingestellt sind und die zusätzlich in dieses Bildungssystem hineingegeben werden. Das sind Aufgaben neben vielen anderen Aufgaben organisatorischer Art, die in den letzten Jahren hinzugekommen sind in die Kitas und in die Schulen. Für diese Aufgaben sind eigentlich keine Entlastungen eingezogen in das System. Das ist ein riesiges Problem. Also wir sind, wie gesagt, für die Impfpflicht, und wir würden auch nicht sagen, dass jetzt diese Nachweise, die da zu erbringen sind, jetzt irgendwie eine unmenschliche Herausforderung darstellen, aber es sind weitere zusätzliche Aufgaben.
In einem System, das so auf Kante genäht ist, da ist jede zusätzliche Aufgabe ein riesiges Problem, und das zeigt sich dann immer besonders an den Einrichtungen, wo die Probleme am größten sind. Vielleicht sind das dann auch wieder die Einrichtungen, wo Eltern sich besonders schwer damit tun, die Impfnachweise zu erbringen, weil sie ganz andere Probleme haben, wo dann die Schulleitungen lange hinterherlaufen müssen, um diese Nachweise überhaupt vorgezeigt zu bekommen.
"Es ist logisch, dass Eltern Fragen haben"
Gebert: Hätte es denn einen anderen Weg gegeben, den Sie sich gewünscht hätten oder hätten vorstellen können, wie die Impfpflicht, wer die Impfpflicht hätte kontrollieren sollen, die Gesundheitsämter?
Hanisch: Also aus unserer Sicht ist es nicht optimal, dass diese Informationsschreiben wirklich erst in der Woche vor Eintreten der Impfpflicht rausgegangen sind an die Schulen und an die Kitas. Es ist logisch, dass Eltern Fragen haben und dass Eltern diese Fragen auch schon vor dem 1. März stellen und dass natürlich diese Unsicherheit auch dadurch entsteht, dass nicht ausreichend Informationen da sind. Da wäre natürlich eine umfassendere und rechtzeitige Information hilfreich gewesen.
Ansonsten fordern wir als GEW ständig Entlastung ein. Also mal ein Beispiel: mehr Verwaltungspersonal, mehr Zeit auch jenseits der direkten Arbeit mit dem Kind, also zur Vor- und Nachbereitung der pädagogischen Arbeit. Und wenn ich da überhaupt keine Zeit habe, wenn da im System überhaupt keine Zeit für eingeplant ist, in welcher Zeit soll ich denn dann diese Nachweise bitte schön kontrollieren und auch, wie gesagt, dazu auffordern, sie zu erbringen. Also dafür müsste man vielleicht zusätzliches Personal einstellen oder zumindest Stunden im System freimachen für diese Verwaltungstätigkeiten. Das passiert leider viel zu wenig.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.