Musik: Sergej Prokofjew, Violinkonzert Nr. 1 D-Dur, Andantino
Eine sanfte Kantilene der Sologeige eröffnet das erste Violinkonzert von Sergej Prokofjew. "Verträumt" und "sehr leise" steht in der Partitur. Die Violine spielt ihre ätherische Melodie über dem Tremolo der Bratschen.
Musik: Sergej Prokofjew, Violinkonzert Nr. 1 D-Dur, Andantino
Angeblich wurde Prokofjew zu diesem lyrischen Thema durch eine Liebesaffäre angeregt. Die anderen zwei Sätze des Konzerts sind teilweise von den "Mythen" inspiriert, ein Werk seines polnischen Komponistenkollegen Karol Szymanowski. Prokofjew hatte es ein Jahr zuvor in Sankt Petersburg gehört.
Musik: Sergej Prokofjew, Violinkonzert Nr. 1 D-Dur, Andantino
Ohne Schock ein Flopp
1917: Russland steht kurz vor der Oktoberrevolution, als Prokofjew die Arbeit an seinem ersten Violinkonzert beendet. Bis zur Premiere in Paris dauert es aber noch einige Zeit – ganze sieben Jahre. Der Grund: Prokofjew findet keinen geeigneten Solisten. Paul Kochanski kann nicht nach Paris kommen, Nathan Milstein ist in Russland und Bronislaw Huberman schaut noch nicht mal in die Noten. Der Solopart gilt als zu kompliziert und zu sentimental. Letztendlich spielt ihn der Konzertmeister des Pariser Opernorchesters Marcel Darrieux.
Aber die Uraufführung floppt. Denn im selben Konzert hat auch das Bläseroktett von Igor Strawinski Premiere und wird sogar vom Komponisten höchstpersönlich dirigiert. Publikum und Kritiker finden das Violinkonzert zu romantisch. Paris ist längst gewöhnt an die avantgardistischen Klänge eines "Sacre du printemps" und erwartet von zeitgenössischer Musik eine Schockwirkung. Damit kann Prokofjews Violinkonzert aber nicht aufwarten.
Musik: Sergej Prokofjew, Violinkonzert Nr. 1 D-Dur, Andantino
Die Violine lässt dem Orchester nur wenig Raum im ersten Satz. Sie selbst pausiert nur zehn Takte. Das melodische Spektrum weitet sich zunehmend und die Rhythmen werden komplizierter. Immer wieder schließen die einzelnen Themen nahtlos aneinander an.
Musik: Sergej Prokofjew, Violinkonzert Nr. 1 D-Dur, Andantino
Schimmernd-transparenter Geigenklang
Abrupte Wechsel zwischen gestrichener und gezupfter Saite und schwierige Doppelgriffe – Prokofjew gestaltet schon den ersten Satz für die Sologeige äußerst virtuos. Diese Ausbrüche münden in eine ruhige Solostelle, nur von wenigen Pizzicati der Streicher begleitet. Danach übernimmt zum ersten Mal das Orchester die Melodie. Zuerst die Flöte, dann Oboe und Streicher. Die Sologeige spielt währenddessen im Hintergrund mit einem Dämpfer Zweiunddreißigstel.
Musik: Sergej Prokofjew, Violinkonzert Nr. 1 D-Dur, Andantino
Isabelle van Keulens Geige klingt schimmernd-transparent, sie verschmilzt mit dem Klang der NDR Radiophilharmonie. Dirigent Andrew Manze gestaltet das Werk wie aus einem Guss. Linien oder Phrasen brechen nie ab, sondern gehen immer in einander über. Das Werk erscheint wie ein riesiges Themengeflecht.
Musik: Sergej Prokofjew, Violinkonzert Nr. 1 D-Dur, Scherzo: Vivacissimo
Der Mittelsatz ist ein Scherzo. Es dauert keine vier Minuten und schäumt fast über an Vitalität und Ausdrucksfreude. Van Keulen holt hier alles aus ihrer Geige heraus. Sie trillert wild, spielt Glissandi über dreieinhalb Oktaven oder mit viel Bogendruck direkt auf dem Steg. Es entsteht ein kratzig-kerniger Klang, der etwas Spukhaftes hat.
Musik: Sergej Prokofjew, Violinkonzert Nr. 1 D-Dur, Scherzo: Vivacissimo
Das Scherzo endet mit einem wilden Geisterritt. Das Orchester wiederholt das Anfangsmotiv in schillernden Klangfarben, während sich Isabelle van Keulen mit luftigen Flageolett-Tönen immer weiter in die Höhe schraubt.
Musik: Sergej Prokofjew, Violinkonzert Nr. 1 D-Dur, Scherzo: Vivacissimo
Uraufführung durch Paul Hindemith
William Walton gilt heute als bedeutendster englischer Komponist zwischen Ralph Vaughan Williams und Benjamin Britten. Diesen Ruf bringen ihm vor allem seine frühen Werke ein. Außerdem pflegte Walton sehr enge Beziehungen zum englischen Königshaus: Queen Elizabeth II. nahm ihn in den "Order of Merit" auf, ein Exklusivzirkel, der maximal 24 Mitglieder besitzen darf. Und 1937 komponierte er den bekannten Krönungsmarsch "Crown Imperial" für George VI., der ihn wenige Jahre später sogar zum Ritter schlug.
Inspiriert von Sergej Prokofjews erstem Violinkonzert schuf Walton 1929 ein Konzert für Bratsche. Es ähnelt dem Violinkonzert des russischen Kollegen in Aufbau und Besetzung. Außerdem hatte Walton, genau wie Prokofjew, Schwierigkeiten einen Solisten zu finden. Das Konzert war für den Bratscher Lionel Tertis komponiert, doch Tertis lehnte ab. Das Werk sei zu modern. Zum Glück sprang Paul Hindemith für ihn ein.
Musik: William Walton, Violakonzert, Andante comodo
Das Violakonzert von Walton besteht genau wie Prokofjews Violinkonzert aus drei Sätzen mit der etwas untypischen Abfolge langsam – schnell – langsam. Auch die thematische Verarbeitung erinnert an Prokofjew. Der erste Satz eröffnet mit einer elegischen Melodie der Solobratsche. Im weiteren Verlauf verliert auch sie sich in Tonleitern und Doppelgriffen.
Musik: William Walton, Violakonzert, Andante comodo
Isabelle Van Keulen spielt energisch, mit einem zupackenden Ton, aber stellenweise unsauber. Wie bei vielen anderen Geigern, die auch Bratsche spielen, gelingt ihr der Wechsel zum größeren Instrument nur bedingt. Die Bratsche lässt sich zwar fast genauso greifen wie eine Geige, aber man benötigt mehr Kraft, um die Saiten herunterzudrücken. Außerdem unterscheidet sich die Klangproduktion. Damit die Bratsche optimal anspricht, benötigt sie mehr Bogenstrich und eine höhere Belastung. Van Keulen erreicht auf diesem Instrument technisch nicht das hohe Niveau wie auf ihrer Geige. Sie wählt zügige Tempi, in denen die Läufe nicht immer perfekt artikuliert sind.
Musik: William Walton, Violakonzert, Vivo, con moto preciso
Im dritten Satz, dem Allegro moderato, beginnt wie bei Prokofjew das Fagott mit dem Eingangsthema. Die Bratsche übernimmt es und gibt es an das Orchester weiter, wo es durch die verschiedenen Stimmen wandert und sich nach und nach in eine spätromantisch-süffige Melodie verwandelt.
Musik: William Walton, Violakonzert, Allegro moderato
Sinnlich-dunkler Bratschenklang
Breite, nostalgische Themen wie dieses sind prägend für den dritten Satz von William Waltons Violakonzert. Isabelle van Keulen präsentiert hier den sinnlich-dunklen Klang der Bratsche, ohne pathetisch zu werden. In der Mitte taucht eine Fuge auf, sie verarbeitet das Fagott-Thema vom Anfang. Die Instrumentierung wird immer dichter, bis die Fuge mit ihrem erhabenen Klang an Edward Elgar erinnert, den William Walton sehr verehrt hat.
Musik: William Walton, Violakonzert, Andante comodo
Das dritte Stück auf der CD ist das berühmte "The Lark Ascending" für Violine und Orchester von Ralph Vaughan Williams. Es basiert auf dem gleichnamigen Gedicht von George Meredith und beschreibt den Aufstieg einer Lerche.
"Sie fliegt empor und beginnt zu kreisen,
lässt sich entfallen die silberne Lautkette,
vielgliedrig, ohne abzusetzen
im Trällern, Zirpen, Tirilieren und Schlagen.
Ihr Himmel füllendes Singen
ist Liebe zur Erde, die sie auf uns überträgt,
und hoch und höher flattert sie,
unser Tal ist ihr goldener Kelch,
und sie der Wein, der überquillt,
um uns mit ihrem Flug zu erheben.
Bis sie bei ihrem luftigen Kreisen entschwindet
im Licht, und dann die Fantasie singt."
lässt sich entfallen die silberne Lautkette,
vielgliedrig, ohne abzusetzen
im Trällern, Zirpen, Tirilieren und Schlagen.
Ihr Himmel füllendes Singen
ist Liebe zur Erde, die sie auf uns überträgt,
und hoch und höher flattert sie,
unser Tal ist ihr goldener Kelch,
und sie der Wein, der überquillt,
um uns mit ihrem Flug zu erheben.
Bis sie bei ihrem luftigen Kreisen entschwindet
im Licht, und dann die Fantasie singt."
Der Erste Weltkrieg unterbricht Vaughan Williams bei seiner Arbeit an dem Werk. Er lässt sich einberufen, kämpft vier Jahre lang für England an der Front und kehrt traumatisiert zurück. Viele seiner Freunde sind gestorben, sechs Jahre lang schafft er es nicht zu komponieren. "The Lark Ascending" ist sein erstes Stück, an das er sich wieder herantraut.
Musik: Ralph Vaughan Williams, "The Lark Ascending"
Einfachheit und Klarheit
Das Spiel von Isabelle van Keulen zeichnet sich aus durch Einfachheit und Klarheit. Sie hält sich immer nah am Notentext. Im Vordergrund steht nicht die Interpretin, sondern die Musik. Es stört auch nicht, dass die Werke mit drei unterschiedlichen Dirigenten eingespielt wurden, weil die NDR Radiophilharmonie das verbindende Element ist. Das Orchester unterstützt die Phrasierungen und kleidet die Solostimme in einen homogenen Klang. Obwohl "The Lark Ascending" programmatisch etwas abseits steht neben den eng verwobenen Konzerten für Violine und Viola und auch wenn die Bratscherin van Keulen nicht ganz das Weltklasse-Niveau der Geigerin erreicht, ist das eine sehr hörenswerte Aufnahme, erschienen bei Challenge Classics.
Musik: Sergej Prokofjew, Violinkonzert Nr. 1 D-Dur, Moderato. Allegro moderato
Interpreten: Isabelle van Keulen, NDR Radiophilharmonie, Andrew Manze, Keri-Lynn Wilson, Andrew Litton
Komponisten: Sergej Prokofjew, William Walton, Ralph Vaughan Williams
Werke: Violinkonzert Nr. 1, Violakonzert, The Lark Ascending
Label: Challenge Classics (LC 00950) EAN: 608917279320
Komponisten: Sergej Prokofjew, William Walton, Ralph Vaughan Williams
Werke: Violinkonzert Nr. 1, Violakonzert, The Lark Ascending
Label: Challenge Classics (LC 00950) EAN: 608917279320