Das Interview in voller Länge:
Gerd Breker: Der Bundesnachrichtendienst, kurz BND, ist für die Auslandsaufklärung zuständig. Von daher hat er wohl gute Kontakte zu den Geheimdiensten befreundeter Staaten. Und da hilft man sich gegenseitig, kleine Gefälligkeiten eben, und offenbar waren es solche Gefälligkeiten gegenüber dem amerikanischen Geheimdienst NSA, die den BND und das ihn kontrollierende Kanzleramt in Nöten bringt. Das Kanzleramt räumt technische und organisatorische Defizite ein und umschreibt damit, dass der Geheimdienst wohl gegen Gesetze verstoßen hat. Die Bundesanwaltschaft ermittelt oder auch nicht.
Am Telefon sind wir verbunden mit Wolfgang Neskovic. Er war Richter am Bundesgericht, saß für die Linke im Bundestag, sieben Jahre lang war er im Parlamentarischen Kontrollgremium, das die Aktivitäten des Geheimdienstes kontrollieren soll, und war im BND-Untersuchungsausschuss, der sich mit der Verwicklung Deutschlands und des US-Geheimdienstes befasst. Guten Tag, Herr Neskovic.
Wolfgang Neskovic: Schönen guten Tag!
Breker: Christian Ströbele, Mitglied im jetzigen Parlamentarischen Kontrollausschuss, fühlt sich belogen. Ist das denkbar, dass im Parlamentarischen Kontrollgremium gelogen wird?
Neskovic: Denkbar ist das schon, und bei Geheimdiensten liegt es häufig sogar nahe, dass gelogen wird. Ich will das mal vom Einzelfall loslösen und ganz abstrakt betrachten. Die gegenwärtige Gesetzeslage gestattet praktisch den Geheimdiensten gegenüber den Kontrollgremien eine Lizenz zum Lügen. Als das Gesetz geändert wurde in der 16. Legislaturperiode, haben andere und ich vorgeschlagen, dass beispielsweise bei einer Vernehmung von BND-Beamten im Kontrollgremium, im Parlamentarischen Kontrollgremium, diese einen Zeugenstatus bekommen. Dann würden für sie die gleichen Regeln gelten wie vor Gericht, wenn ein Zeuge vernommen wird, oder vor einem Untersuchungsausschuss. Das hat man abgelehnt. Stattdessen steht zwar im Gesetz drin, sie müssen die Wahrheit sagen, aber ein Verstoß dagegen ist nichts weiter als eine dienstrechtliche Ahndung, die es zur Folge haben könnte, und über die dienstrechtliche Ahndung entscheidet ausgerechnet dann der Dienstherr, in dessen Interesse möglicherweise ein BND-Mitarbeiter die Unwahrheit sagt. Und wenn man dann auch von der Öffentlichkeit Auskunft verlangt über ein solches Disziplinarverfahren, wird im Hinblick auf den Persönlichkeitsschutz mit Sicherheit darauf verwiesen werden, dass man dazu keine Auskunft erteilen wird.
Das ist schon in sich ein System, das nicht funktioniert. Wir brauchen unbedingt ein Sonderstrafrecht für die Verletzung von Informationspflichten im Parlamentarischen Kontrollgremium. Bisher ist es so, dass eine Nichtinformation, eine Falschinformation oder sogar eine Lüge im Parlamentarischen Kontrollgremium zum Beispiel auch durch die Regierung, nicht nur durch Mitarbeiter, sondern da ist ja auch die Regierung vertreten, keinen Straftatbestand darstellt.
Lügen von BND-Mitarbeitern können ohne Folgen bleiben
Breker: Im Gremium, Herr Neskovic, wird gelogen ohne Folgen?
Neskovic: Kann gelogen werden ohne Folgen, so würde ich das formulieren, und das darf nicht sein. Es muss im Grunde genommen das, was allgemein in der Gesellschaft gilt, auch im Parlamentarischen Kontrollgremium gelten, und da insbesondere, denn was kann es an doch minderschwerem Unrecht geben, das Parlament zu belügen, oder dem Parlament die Unwahrheit zu sagen oder es auszutricksen? Da lassen sich ja viele Schattierungen denken. Das ist mit Sicherheit strafrechtlich Unrecht, das verdient es, bestraft zu werden. Wenn man heute Fahrgeldhinterziehung bestraft, muss erst recht es bestraft werden, wenn die Wahrheit gegenüber dem Parlamentarischen Kontrollgremium hinterzogen wird.
Breker: Nun ist das Parlamentarische Kontrollgremium die eine Instanz, die die Geheimdienste kontrolliert. Die andere ist das Kanzleramt, und das Kanzleramt hat gestern organisatorische und technische Defizite festgestellt. Aber erst jetzt! Hat da einer seine Amtspflicht verletzt?
Neskovic: Ja! Man muss auch mal ins Gesetz gucken. Diejenigen, die sich bisher dazu geäußert haben, sind ja Juristen, und als Jurist guckt man normalerweise ins Gesetz. Es gibt natürlich im BND-Gesetz eine Vorschrift, die sich mit der Frage der Übermittlung von Daten an ausländische Dienste befasst, und da steht ausdrücklich drin, dass die nur übermittelt werden dürfen, wenn dies zur Wahrung außen- und sicherheitspolitischer Belange der Bundesrepublik Deutschland erforderlich ist - und jetzt kommt es - und das Bundeskanzleramt seine Zustimmung erteilt hat. Wenn das Bundeskanzleramt jetzt die Wahrheit sagt, haben sie gar nicht die Zustimmung erteilt. Da liegt schon ein klarer Gesetzesverstoß vor durch den BND.
Wenn sie die Zustimmung nicht erteilt haben und ihnen das praktisch durchgerutscht ist, dann ist das ein schwerer Organisationsmangel im Bundeskanzleramt. Denn wenn man eine solche gesetzliche Vorschrift hat, dann muss man natürlich durch organisatorische Mittel sicherstellen, dass diese Zustimmungspflicht des Bundeskanzleramtes eingehalten worden ist. Und wenn schon 2008 das aufgefallen sein soll, dann hat man über diesen langen Zeitraum nachweislich diese Kontrollpflicht verletzt. Auch das wäre aus meiner Sicht etwas, was nicht nur politische Folgen haben muss für diejenigen, die dafür im Kanzleramt verantwortlich sind, sondern auch das wäre etwas, was mit einem strafrechtlichen Tatbestand zukünftig verhindert werden sollte.
Regierung soll zur Aufklärung beitragen
Breker: Der BND ist der Dienst, ich hatte es eingangs gesagt, der für die Außenaufklärung zuständig ist. Nun hat er Amtshilfe für die NSA geliefert, die auch bei uns im Inland spioniert. Das ist doch ein merkwürdiger Zusammenhang?
Neskovic: Das ist sicherlich richtig. Wir haben ja zurzeit das Problem, dass durch den gegenseitigen Austausch von Informationen zwischen den unterschiedlichen Nachrichtendiensten praktisch gesetzliche Vorschriften, die in den jeweiligen Heimatländern gelten und die einen abgestuften Schutz von Ausländern und Inländern vorsehen, dass die umgangen werden. Der BND kann im Ausland US-amerikanische Staatsbürger abhören und die Informationen weitergeben und umgekehrt können die NSA und andere Geheimdienste Informationen über Deutsche an den BND weitergeben. All das muss unbedingt verhindert werden, und diese Lücke, die ist auch Gegenstand des Untersuchungsauftrages des NSA-Untersuchungsausschusses, und man wird sehen, wie dieser Ringtausch - so wird das fachlich bezeichnet - funktioniert hat, und ich hoffe, dass dort die Regierung das notwendige Maß an Mitwirkungshilfe leistet, um diese Sachverhalte aufzuklären.
Breker: Es geht um 40.000 Selektoren, so werden die Suchbegriffe genannt, also eigentlich um 40.000 rechtswidrige Abhöraktionen. Da ist doch das Argument, dass der BND unwissentlich abgeschöpft wurde, mehr als naiv.
Neskovic: Das ist mehr als naiv. Das ist eine faule Ausrede, nicht mehr und nicht weniger. Das lässt darauf schließen, dass man einfach diese gesetzliche Vorschrift, die ich eben benannt habe, völlig missachtet hat. Es mag ja sein, dass es vielleicht eine generelle Übermittlungsberechtigung gegeben hat, aber das wäre eindeutig rechtswidrig, weil nach dem Gesetzeswortlaut und auch dem Verständnis ist es so, dass praktisch jede einzelne Abhörmaßnahme für sich gesehen, also jeder einzelne Datensatz unter diesem Vorbehalt steht. Er muss erforderlich sein, nicht irgendwie dienlich oder notwendig sein, sagen wir mal ein netter Hilfsdienst, sondern er muss notwendig sein zur Wahrung außen- und sicherheitspolitischer Belange der Bundesrepublik, und es muss jeweils die Zustimmung dazu vorliegen. Und wenn das Ganze automatisiert geschehen sein sollte, dann ist das von vornherein schon ein Gesetzesverstoß, der offenkundig ist. Und wenn man das nicht weiß im Bundeskanzleramt, dann zeigt das, dass diese Kontrolle dort überhaupt nicht funktioniert, und wenn man das im Parlamentarischen Kontrollgremium nicht weiß, zeigt es, dass auch dort die Kontrolle nicht funktioniert.
Breker: Im Herbst 2013 gab es eine BND-interne Prüfung. Ein Prüfbericht soll vorgelegen haben. Kann das sein, dass so ein Prüfbericht erstellt wird und das Kanzleramt erfährt davon nichts?
Grundrechte sind betroffen
Neskovic: Das kann ich mir nicht vorstellen. Und wenn es so gewesen sein sollte, dann würde ich sagen, da herrscht Kuddelmuddel. Das ist eine grobe Nachlässigkeit in den Aufsichtspflichten, die man hier hat. Hier geht es um Grundrechte. Hier geht es um unsere Privatsphäre. Hier geht es um Artikel eins und Artikel zwei unseres Grundgesetzes. Das sind die beiden ersten, die prominentesten Artikel. Und gerade in der jetzigen Zeit, in der wir eine Technologie haben, die einen brutalen, totalen Überwachungsmodus ermöglicht, ist es besonders wichtig, hier jetzt sorgfältig und gewissenhaft die Kontrollmechanismen einzubauen und die zu wahren, und das geschieht ganz offenkundig nicht.
Breker: Einer der Selektoren, dieser Suchbegriffe soll EADS gewesen sein. Dass das Industriespionage ist, das muss doch auf einen Blick erkannt werden.
Neskovic: Auch das sehe ich so, dass dies offenkundig erkannt werden kann und auch erkannt werden musste. Aber ich sehe jetzt schon wie bei all diesen Skandalen - und dies ist nach dem, was wir bisher schon wissen, für sich gesehen ein Skandal -, dass dann das allmählich wieder im öffentlichen Bewusstsein versackt, weil dann irgendwelche unzulänglichen und auch nicht glaubwürdigen Erklärungen in die Öffentlichkeit gereicht werden durch die, die eigentlich hier versagt haben, und dann eine mehr oder weniger, sagen wir mal, besänftigte Öffentlichkeit das nicht mehr zur Kenntnis nimmt. Und die Konsequenzen, die gezogen werden müssten, endlich mal eine effektive Kontrolle nicht nur im Kanzleramt, sondern auch im Parlament zu installieren, dass die leider wohl auch nicht erfolgen wird.
Breker: Die Einschätzung von Wolfgang Neskovic. Er saß sieben Jahre lang für die Linkspartei im Parlamentarischen Kontrollgremium, das die Geheimdienste kontrollieren soll. Vielen Dank, Herr Neskovic, für dieses Gespräch.
Neskovic: Ich danke Ihnen auch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.