Archiv


Kooperation nicht nur unter Verwandten

Evolutionspsychologie. - Die Kooperationsfähigkeit hat der Mensch nicht exklusiv. Doch im Tierreich ist die Zusammenarbeit meist streng auf Verwandte beschränkt. Beim Menschen scheint dagegen die Zusammenarbeit zwischen nicht Verwandten bei weitem zu überwiegen.

von Katrin Zöfel |
    Die meiste Zeit, seitdem die Art Homo sapiens auf diesem Planeten aufgetaucht ist, hat der moderne Mensch als Jäger und Sammler verbracht, also rund zwei Millionen Jahre. Die meisten Impulse, die für seine Entwicklung wichtig gewesen sind, stammen also vermutlich aus dieser Lebenswelt. Kleine Gruppen mit vielleicht 20 Mitgliedern, weit verstreut im Wald oder in der Savanne, kleine Siedlungen, die jederzeit verlegt werden können, und eine Umwelt, die Nahrung und Ressourcen aber auch manche Gefahr birgt. Doch aus den wenigen Überbleibseln unserer Vorfahren lässt sich längst nicht alles erfahren, was Anthropologen gerne wüssten. Kim Hill von der Universität von Arizona sucht deshalb bei heutigen Naturvölkern nach Antworten. Die Wahrscheinlichkeit sei groß, argumentiert er, dass sich heutige Jäger und Sammler und unsere Vorfahren gleichen.

    "Die archäologischen Funde ähnelt dem, was wir heute bei Naturvölkern sehen, die Menschen lebten in ähnlich großen Gruppen und ernährten sich auf ähnliche Weise, ihre ganze Lebensweise war also vermutlich vergleichbar."

    Kim Hill hat deshalb Daten von 32 Naturvölkern zusammen getragen, um eine Frage zu klären, die nur anhand von ein paar Steinwerkzeugen und Tonfragmenten tatsächlich schwer zu beantworten ist. Nämlich: Wie waren die Gruppen der frühen Menschen zusammengesetzt? Wie wurde das Heiraten geregelt? Wer verließ die Eltern nach der Pubertät, Sohn oder Tochter? Das Ergebnis: Beide konnten gehen oder bleiben. Hill:

    "Beide Geschlechter, Männer und Frauen, bleiben oft zusammen als erwachsene Geschwister in der Gruppe, in die sie hineingeboren wurden, und holen sich ihre Ehepartner von außen dazu. Und anders herum, beide Geschlechter können die Eltern verlassen und ihrem Ehepartner in dessen Gruppe folgen."

    Was unspektakulär klingt, hat weitreichende Konsequenzen. Betrachtet man die Angelegenheit etwa aus der Sicht einer Frau, die bei der Heirat ihrem Ehemann in dessen Gruppe folgt, ergibt sich folgendes Bild: Ihr Ehemann interessiert sich naturgemäß für seinen Nachwuchs und will ihn beschützen. Dieses Interesse teilt er mit seinem Schwiegervater, der in der Nachbargruppe lebt und seine Enkel liebt. Bei diesem wiederum lebt vielleicht auch noch ein weiterer Bruder der Frau, und dessen Kinder gehören auch zur Schar der Menschen, die dem Ehemann nahestehen. Ein anderer Bruder vielleicht hat in eine weitere Nachbargruppe hineingeheiratet, auch dort gibt es nun Verwandte. Kim Hill:

    "Daraus ergibt sich ein riesiges Netzwerk aus Männern aus verschiedenen Sippen, die starke Bündnisse eingehen, obwohl sie nicht in derselben Gruppe leben."

    Dasselbe gilt für Frauen und die Netzwerke unter ihnen. Und noch etwas ergibt sich aus diesen Heiratssitten: die Gruppen werden so stark durchmischt, dass die wenigsten Mitglieder einer Gruppe direkt untereinander verwandt sind. All die enge Kooperation innerhalb der Gruppe - bei der Suche nach Nahrung, beim Hüttenbau, bei der Verteidigung gegen Raubtiere oder bei der Weitergabe von Jagdtechniken - all diese Kooperation findet also nicht unter Verwandten statt, sondern unter Nachbarn und Freunden. Damit kommt eine Grundannahme der Evolutionspsychologie ins Wanken, nämlich dass Zusammenarbeit besonders gut unter Verwandten funktioniere und dazu diene, den eigenen Nachwuchs zu unterstützen. Menschliche Netzwerke sind viel weiter gespannt. Diese Offenheit sei die erste Voraussetzung dafür gewesen, dass Menschen sich weiter entwickeln konnten, sagt Kim Hill.

    "Wenn man nur mit einer kleinen Gruppe von Leuten zu tun hat, ist es unwahrscheinlich, dass einer davon eine wirklich neue Idee hat, die man sich abschauen könnte. Wenn man aber, wie die frühen Menschen, mit Hunderten von anderen den Austausch pflegt, dann stößt man viel eher auf neue, einzigartige Ideen, die es zu kopieren lohnt."

    Nur weil der frühe Mensch also gute Nachbarschaft pflegte, reichlich Besuche machte, hemmungslos kopierte und die erworbenen Fähigkeiten langsam miteinander verwob, hat sich über die Jahrtausende das entwickelt, was den Menschen von allen anderen Tieren unterscheidet: eine komplexe, reichhaltige Kultur.